Finale im Süden Spaniens


Einige Kilometer Spanien habe ich ja schon unter dem Reifen. Eigentlich sollte das was jetzt kommt, keine großen Überraschungen mehr bereithalten. Allerdings bin ich in Südspanien und nicht in Nordspanien. Gut, sprachlich komme ich hier mit meinen rudimentären Spanischkenntnissen besser klar als in Portugal und das Galizische oder Baskische hat sich mir nicht ansatzweise erschlossen, aber im Norden spricht ja auch jeder Kastilliano. Ansonsten sind die Unterschiede wohl ebenso ausgeprägt wie zwischen Schleswig-Holstein und Bayern – nur eben in anders. Die Lautstärke von Unterhaltungen bei einem ganz normalen Mittagessen am Sonntag im dörflichen Restaurant könnte auch ein handfester Streit sein und während die Landschaft in Frankreich super sauber war, in Nordspanien unauffällig, ist der Müll am Straßenrand und in der Natur hier schon abstoßend – das Umweltbewusstsein ist hier noch Jahrzehnte im Rückstand. Und weil ich nun mal immer direkt am Straßenrand unterwegs bin, bin ich zeitweise maximal genervt  von dem ganzen Dreck - bis hin zu Wohnungseinrichtungen.

Was in Portugal schon zeitweise landschaftsprägend war, findet hier noch einmal eine deutliche Steigerung: Eine ganze Region unter Folie. Und wo keine Folientunnel-Kulturen sind, sind es endlose Orangen- oder Olivenplantagen.


 

Eine Landschaft in Folie verpackt
Eine Landschaft in Folie verpackt


Mein Weg zu meinem Ziel Gibraltar führt mich an Tarifa vorbei und da will ich die Südspitze Europas nicht auslassen. Allerdings gibt es keine direkte Verbindung von Portugal kommend zur engsten Stelle zwischen Europa und Afrika, denn dazwischen liegt ein großer Nationalpark ohne Straßen oder Radpisten. Deswegen muss ich einen weiten Bogen fahren, der mich fast bis nach Sevilla führen wird. Für Sevilla selbst fehlt mir aber wieder einmal die Zeit und ich werde südlich dran vorbeifahren.

Eine neue Erfahrung mache ich auch, was Dauercamping hier im Süden bedeutet. Gut, Campingplätze mit Grasflächen, auf denen man sein Zelt aufbauen kann, habe ich schon lange nicht mehr gesehen und mich daran gewöhnt, auf Sand oder hartem, trockenen Lehmboden mein Zeit aufzubauen. Aber eigentlich ist es hier für Camping offenbar viel zu heiß und so ist über allen Wohnwagen eine schattenspendende grüne Plane gespannt: Nicht nur das Obst und Gemüse gedeiht hier unter Folientunneln. Dazu kommt, dass der Dauercamper den Sand offenbar nicht mag und deswegen sind alle Stellplätze komplett mit Kunstrasen ausgelegt – dicht an dicht. Käfighaltung auf dem Campingplatz. Auf so einem Platz musste ich auch erstmals meine Sandheringe rausholen, die ich schon oft verflucht hatte, weil sie bis jetzt unnötiger Ballast waren, um das Zelt zum Halten zu bringen – aber man liegt sehr komfortabel auf dem tiefen, weichen Sand.


 

Er gehört einfach zu Spanien: Der Osborne-Stier
Er gehört einfach zu Spanien: Der Osborne-Stier


Von dem ersten Campingplatz in Spanien will ich über Huelva in Richtung Sevilla fahren, weil es hier die einzige Brücke weit und breit über den Odiel gibt. Genau genommen gibt es zwei Brücken: Eine Autobahnbrücke und eine ältere Brücke für den übrigen Verkehr. Diese Brücke ist allerdings wegen Sanierungsarbeiten gesperrt und die Info-Tafel gibt Auskunft darüber, dass sie mit EU-Mittel überholt wird und offenbar war ein Argument für die EU auch, dass die Euroveloroute 1 über diese Brücke führt. Durch Baustellen bin ich schon sehr oft völlig ohne Probleme gefahren und am Sonntag ruhen die Arbeiten ja ohnehin. Allerdings steht am Anfang der Brücke ein Wachmann, der nicht zu überreden ist, mich durchzulassen und verweist mich auf einen 30 – 35km langen Umweg! Vor den Verbotsschildern an der Autobahnauffahrt habe ich schon Respekt, man weiß ja nicht, ob die Polizei hier bei Verstößen ähnlich empfindlich reagiert, wie bei uns. Schließlich möchte ich nicht in den spanischen Verkehrswarnfunk auftauchen. Immerhin stehen hier oft gleich sechs Schilder für alle verbotenen Verkehrsarten: Trecker, Radfahrer, Reiter, Fußgänger, Fuhrwerke und Fußgänger mit Handwagen. Also suche ich mir eine Alternativroute, wieder durch Plantagen und auch hier fehlt eine Brücke über einen Fluss. Naja, jetzt am Ende des Sommers eher ein Bach, den ich problemlos an einer Furt passieren kann. Der Umweg ist für mich dann tatsächlich auch nicht ganz so groß, weil ich nicht nach Huelva zurück muss, sondern direkt auf meine ursprünglich geplante Strecke komme. Hier im „Binnenland“ sind die Campingplätze sehr rar gesät. Wild zelten ist nicht erlaubt und verstecken kann man sich hier in einer brettebenen, intensiv landwirtschaftlich genutzten Gegend auch nicht. Genauso gut kann man sein Zelt auf einem Marktplatz aufbauen und hoffen, dass einen keiner findet. Also bleibt nur eine kleine Pension in einem kleinen Vorort von Sevilla.



Nicht so einfach, hier einen Platz zu finden, wo man sein Zelt aufschlagen kann
Nicht so einfach, hier einen Platz zu finden, wo man sein Zelt aufschlagen kann
Solarkraftwerke in der sonnenreichsten Gegend Europas
Solarkraftwerke in der sonnenreichsten Gegend Europas


Von dort geht es am nächsten Tag durch eine jetzt im Herbst abgeräumte, wattierte Landschaft. Wattiert, weil hier auf riesigen Flächen Baumwolle angebaut wird und die Ernteverluste überall am Straßenrand liegen. Marschland, das knochentrocken ist und deswegen überall aufwändig bewässert werden muss, auch für die Reisfelder im Nassanbau, wo tausende Flamingos, Ibisse und hunderte Weißstörche nach Nahrung suchen. Der Wind meint es hier gut mit mir und schiebt mich zurück an die Küste, wo ich in Porto de Santa Maria wieder in einem Hotel unterkomme und zu nächtlicher Stunde noch durch den Ort streife.



Erntereste am Fahrbahnrand
Erntereste am Fahrbahnrand
Landwirtschaft im großen Maßstab
Landwirtschaft im großen Maßstab
Da bleibt (fast) nichts stehen
Da bleibt (fast) nichts stehen
Ohne künstliche Bewässerung geht hier nichts - die Flamingos und Ibisse freut's
Ohne künstliche Bewässerung geht hier nichts - die Flamingos und Ibisse freut's
Und Reisfelder sind ein gefundenes Fressen für Weißstörche
Und Reisfelder sind ein gefundenes Fressen für Weißstörche


Jetzt ist Schluss mit Lustig. Ab hier wird die Küste bergig. Und als wäre das nicht genug, fahre ich durch eine Düse – gegen den Wind. Ich kann es kaum glauben, was ich auf einer Windkarte sehe. Überall herrscht nahezu Windstille und hier durch die Straße von Gibraltar pfeift der Wind mit 5 – 6 Beaufort! Da trösten tolle Aussichten wenig, wenn man auf einer Hauptstraße unterwegs ist, sich langsam einen langen Berg hochstrampelt und dann absteigen und schieben muss, um nicht vom Seitenwind in den Verkehr gedrückt zu werden.


 

Und da muss ich durch - gegen den Wind
Und da muss ich durch - gegen den Wind
Tolle Aussicht auf eine Düne, die der Wind in den Wald geschoben hat
Tolle Aussicht auf eine Düne, die der Wind in den Wald geschoben hat


Gegen den Wind erreiche ich Tarifa – die Südspitze Europas. Und so etwas gibt es wohl nur hier: Der südlichste Punkt liegt auf der Isla de Tarifa, einer Miniinsel mit einem alten Fort, die mit einem Damm mit der Stadt verbunden ist. Und am Ende des Damms ist Schluss. Die Insel ist für die Öffentlichkeit gesperrt. Ich vermute, die alte Festung hat entscheidende Bedeutung für die äußere Sicherheit Spaniens und der EU!



Man lässt mich nicht bis an die Südspitze Europas, auch nicht mit dem Rad
Man lässt mich nicht bis an die Südspitze Europas, auch nicht mit dem Rad
In Tarifa zwischen den Meeren
In Tarifa zwischen den Meeren


Es ist nur ein Kurzaufenthalt in Tarifa und je weiter ich mich von dort in nordwestliche Richtung nach Algeciras und Gibraltar entferne, desto schwächer wird der Wind – ich verlasse die Düse und schon in Algeciras ist es fast windstill. Und hier ist es wieder, mein Problem mit Autobahnen und Brücken. Es gibt wieder mal nur eine Brücke von Algeciras nach Gibraltar. Alle Fahrrad-Routenplaner schicken mich auf diese Brücke – wieder eine Autobahn. Und wieder suche ich mir in einer langen Extraschleife eine andere Route, um dann irgendwann vor einem kleinen Fluss zu stehen, den ich nur über die Autobahn queren kann. Während ich noch auf der Karte nach einer Alternative suche, fährt ganz selbstverständlich ein Rennradfahrer auf der Bahn an mir vorbei. Na dann… Waren ja nur 300 Meter. Abends mache ich mich dann einmal im Internet kundig, wie es denn in Spanien so geregelt ist mit dem Rad fahren auf der Autobahn: Erlaubt, wenn es keine Alternativroute gibt; verboten, wenn ausdrücklich durch Verkehrszeichen untersagt. Gut zu wissen, denn am letzten Tag meiner Reise ist die Autobahn – ohne Standstreifen – an der Küste alternativlos! Durch diese lange Sucherei und den Umweg komme ich erst gegen 16.00 Uhr in Gibraltar an. Grenzkontrolle – ist ja schließlich EU-Außengrenze. Personalausweis hochhalten reicht aus. Gleich danach quert man die Start- und Landebahn des Flughafens von Gibraltar und ist dann in der eng bebauten Stadt, die außer vielen Geschäften für den zollfreien Einkauf nicht viel zu bieten hat. Mit der letzten Fahrt der Seilbahn lasse ich mich auf den Felsen bringen, ein paar schnelle Fotos der britischen Exklave von oben und von den Affen, die allen Warnungen zum Trotz völlig friedlich und mit sich selbst beschäftigt sind (wahrscheinlich haben sie auch schon Feierabend und keine Lust mehr, Touristen zu ärgern) und dann mit der letzten Seilbahn wieder nach unten. Zurück fahren ich verbotswidrig durch die Main Street, um an deren Ende unmissverständlich von einem schwer bewaffneten britischen Polizisten zum Absteigen und Schieben aufgefordert werde, denn hier auf dem Grand Casemates Square findet gerade eine Militärzeremonie statt – very British!


 

Das ist also Gibraltar
Das ist also Gibraltar
Die Affen haben anderes zu tun, als Touristen zu ärgern
Die Affen haben anderes zu tun, als Touristen zu ärgern
In der britischen Exklave herrscht Rechtsverkehr
In der britischen Exklave herrscht Rechtsverkehr
Key ceremony - very british
Key ceremony - very british


Just in time habe ich mein Ziel erreicht. Ein kürzerer Weg durch Frankreich und Spanien wäre möglich gewesen, ich hatte mich aber für die Küste entschieden, wobei ich einige Ecken abgeschnitten habe, sonst wären wohl noch zwei Wochen mehr nötig gewesen. Die letzte Etappe von Gibraltar nach Malaga vergisst man am besten ganz schnell. Viele autobahnähnliche Abschnitte mit starkem Verkehr und fast durchgängiger Bebauung für den Massentourismus. Einige Kilometer auf den Promenaden und Bohlenstegen direkt am Mittelmeer sind dann noch die angenehmen Abschnitte des Tages.

Die letzten beiden Tage in Torremolinos sind dann noch für die Organisation und Vorbereitung der Rückreise und zum Runterkommen nötig. 


Der Kilometerzähler blieb bei 6841 km und 47.738 Höhenmetern stehen. Neben dem Desaster mit der Felge hatte ich einen Platten in Belgien, der wahrscheinlich auf einen Materialfehler im Schlauch zurückzuführen war, ansonsten bin ich ohne nennenswerte Schäden durchgekommen. Etwa 20 Fähren haben mich über Flüsse und Meeresarme gebracht. Mit knapp elf Wochen war es meine bisher längste Reise (perfekte Vorbereitung auf den Ruhestand), um die Ostsee war es allerdings noch 500km weiter. 


Das große Abenteuer ist eine Reise an den Küsten Westeuropas ganz bestimmt nicht, da sie fast durchgängig touristisch erschlossen sind und dementsprechend professionell ist auch der Umgang mit einem der vielen Radreisenden. Und zu guter Letzt muss ich noch etwas gestehen: Ich bin tausende Kilometer an der Küste gefahren und habe nicht ein einziges Mal gebadet… 



Das Fahrrad hat erst einmal ausgedient und macht blau, jetzt ist der Flieger dran, der mich in den norddeutschen Herbst zurückbringen soll
Das Fahrrad hat erst einmal ausgedient und macht blau, jetzt ist der Flieger dran, der mich in den norddeutschen Herbst zurückbringen soll