Zwei Jahre (fast) ohne Urlaub sind eine sehr lange Zeit und es ist überfällig, mich wieder einmal auf mein Fahrrad zu setzen und auf Tour zu gehen. Zwei Jahre ohne Urlaub bedeuten aber auch, dass sich da eine Menge Resturlaub angesammelt hat und den will ich nutzen, um eine richtig lange Reise zu unternehmen. Und dabei ist vieles anders als sonst. Es soll meine erste Fahrradreise auf dem europäischen Festland werden und ich starte nicht irgendwo auf einem norddeutschen oder dänischen Flughafen, sondern setze mich direkt zu Hause auf mein Rad und fahre einfach los und nach zehn Wochen möchte ist hier auch wieder mit dem Rad ankommen.
Dazwischen liegen neun Länder rund um die Ostsee und einige tausend Kilometer. Das Visum für die Russische Föderation mit zwei Einreisen klebt im Pass und die Fahrradtaschen sind gefüllt. Gegen den Uhrzeigersinn starte ich in Richtung Polen und lade euch herzlich ein, mich hier auf meiner Tour zu begleiten, wo ich in gewohnter Art in Wort und Bild von unterwegs berichten werde. Um immer auf dem Laufenden zu bleiben, habt ihr hier die Möglichkeit, euch für einen Newsletter einzutragen:
Erster Bericht von der Ostsee
Zugegeben, ich bin selbst schuld. Mit dem Beginn der Laufzeit für mein 30-Tage-Visum für Russland hätte ich mir ein wenig mehr Zeit geben können. So kann ich jetzt ab dem ersten Juni in die Oblast Kaliningrad einreisen, muss aber 30 Tage später die Grenze nach Finnland überquert haben. Jetzt habe ich den völlig überflüssigen Zeitdruck. Auch wenn ich die deutsche Ostseeküste weitgehend kenne und deswegen auch nicht dem Ostseeradwanderweg folge, sondern oft direkt fahre, sind es bis zum Grenzübergang bei Swinemünde auf Usedom ca. 500km. Vier Tage sollten dafür wohl reichen, so wenigstens meine ziemlich optimistische Zeitplanung. Nach vier Tagen und 477km habe ich mein Zelt dann tatsächlich in Karlshagen auf Usedom aufgeschlagen und heute den ersten von geplanten zehn Grenzübertritten hinter mich gebracht. Allerdings ist der Preis ziemlich hoch! Bedingt durch einen vollgepackten Terminplan in den Wochen vor dem Start, hatte ich es nicht geschafft, einige Trainingskilometer in die Beine zu bekommen. Kaltstart. Dann darf man sich auch nicht wundern, wenn Muskeln und Gelenke – und vor allem das Sitzfleisch einem 130-km-Etappen übel nehmen. Ich glaube, auf jedem Pavianhügel könnte ich mithalten. Seit fünf Tagen habe ich jetzt Dauersonnenschein und um Nachmittag hin stark zunehmenden Ostwind - also immer von vorn. Nach einer kurzen Mittagspause in Greifswald, in der mein Fahrrad in der prallen Sonne stand, zeigte das Thermometer am Lenker 44,7 Grad! Meinem Sitzfleisch den Rest hatte allerdings eine ca. 20 km lange Kopfsteinpflasterstrecke zwischen Strahlsund und Greifswald - die alte B 96, die hier Teil des Ostseeradwanderweges ist - gegeben. Danach musste erst ich erst einmal eine Dose Penatencreme kaufen.
Ansonsten ist alles gut. Am ersten Tag fast auf geradem Weg von Schleswig nach Scharbeutz. Erster Ostseekontakt nach 3 km. Okay, war nur die Schlei, dafür aber in Eckernförde die Holzbrücke genommen - das erste Mal über die Ostsee. In Kiel habe ich mir auch schon mal Alternativlösungen angesehen, wenn es nichts mit der ganzen Runde werden sollte: Ostseefähren! Lübeck und Rostock habe ich ausgelassen und stattdessen mit der Priwallfähre in Travemünde die Trave überquert und in Warnemünde mit der Hafenfähre die Warnow. Ansonsten reihen sich in an der deutschen Ostseeküste die schmucken Bäderorte aneinander, die alle aus der Retorte zu kommen scheinen und einander um Verwechseln ähneln. Und alle Vorurteile, die man über deutsche Touristen haben kann stimmen oder sind untertrieben. Der Ostseeküstenradwanderweg ist die Radlerautobahn. Sehr viele Menschen nutzen das gute Wetter, um mit dem Drahtesel, vorzugsweise mit elektrischer Unterstützung, unterwegs zu sein. Und anders als ich es von meinen vorherigen Reise kenne, senke ich hier noch immer den Altersschnitt recht deutlich. Zingst, Darß, Fischland lasse ich genauso aus wie Rügen. Interessanter sind für mich die anderen Länder, wo ich mehr Zeit haben möchte. Nur zum Übernachten fahre ich kurz nach Rügen, weil es in Stralsund und Umgebung keine Campingplatz gibt. Abseits der Bäderorte führt der Weg oft duch sehr schöne Natur, die es hier trotz der intensiven Landwirtschaft zuhauf gibt. Nur das Markenzeichen Mecklenburg-Vorpommerns, die endlos langen Sandstrände finde ich reichlich langweilig. Liegt wohl daran, dass ich meinen Urlaub nicht damit verbringe, im Sand zu liegen.
Auch wenn sich an den endlosen Sandstränden hier nichts geändert hat, wird es von jetzt an interessanter. Ich werde weiter berichten.
Bilder folgen bei bessere Internetverbindung.
500 km in gut vier Tagen! Es ist geschafft, die erste Grenze, das zweite Land meiner Reise
Auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt - nach drei Kilometern ist die Schlei erreicht
Bis zu meinem Grenzübertritt auf Usedom nach Polen war ich ja gekommen. Inzwischen bin ich neun Tage unterwegs und habe gute 1000 km in den Beinen. Deswegen ist es höchste Zeit für einen Ruhetag, damit sich Muskulatur, Gelenke und Sitzfleisch ein bisschen erholen können (übrigens können sich die Paviane auch entspannen, ich mache ihnen keine Konkurrenz mehr).
Den Tag heute habe ich damit verbracht, mir bei bestem Wetter - hatte ich aber bis jetzt auch noch nicht anders - die wunderschöne Stadt Danzig anzusehen. Ein
Tag ist dafür mit Sicherheit viel zu wenig und vieles habe ich auch ausgelassen. Aber es kommen ja noch mehr Orte und 10 Wochen sind nun einmal knapp genug. Bevor ich aber von der bisherigen Tour
duch Polen berichte, hier noch ein paar der versprochenen Bilder bis nach Usedom.
Erster "echter" Ostsee-Kontakt: Eckernförde
Ich weiß nicht so richtig, was ich von der polnischen Ostseeküste erwartet hatte. Eigentlich bin ich ohne konkrete Vorstellung losgefahren und hatte mit einer ähnlichen Landschaft wie in Mecklenburg-Vorpommern gerechnet. Stimmt auch bedingt. Aber dort gibt es auch richtige Steilküsten mit Steinen, ab Usedom ist die gesamte Küste eine einzige gigantische Sanddüne. Nur noch lupenreiner weißer Sandstrand und der setzt sich bis auf die Wege fort. Und alle Orte, die auf meiner Karte sind - und auch alle anderen, die nicht drauf sind - gehören den überwiegend polnischen Urlaubern. Überall kann man ans Wasser und es ist alles sehr einfach zu organisieren. Überall Campingplätze, Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten jeder Größenordnung. Man hat allerdings den Eindruck, der polnische Tourist ernährt sich von Waffeln mit Sahne und Früchten, Eis, Döner, Pizza und frittiertem Fisch mit Pommes... Und dazu Unmengen buntes Plastikspielzeug und Spielautomaten für alle Altersklassen. Ist alles nur halb so wild, die Menschen sind freundlich, die Preise sehr niedrig - nur das Land lernt man auf diese Weise nicht kennen - ist bei uns in den Touristenorten aber auch nicht anders (bis auf die Preise).
Ich folge hier in Polen der Veloroute R10. Das ist der internationale Fernradwanderweg. Es ist schön, wenn man auf diese Weise meistens abseits der Hauptverkehrsrouten durch die Natur fahren kann. Wenn es sich denn um eine so bedeutende Fernroute handelt, dann kann man ja wohl auch erwarten, dass sie gut ausgeschildert ist und die Wege gut fahrbar sind.
Das mit der Befahrbarkeit der Wege ist so eine Sache. In vielen Ortschaften fahre ich auf tollen, meist neu angelegten Radwegen. Dort, wo die Ortschaften dicht zusammen liegen, sieht es ähnlich aus. Alles neu, alles schick - und immer wieder stehen die Hinweiszeichen, dass diese Baumaßnahme von der EU gefördert wurde - und das in einem Land, dessen offizielle Politik derart EU-feindlich ist. Aber wer wird denn kleinlich sein...
Je weiter östlich ich komme, desto größer wird auch der Abstand zwischen den Orten. Und wie schon erwähnnt, ist die ganze Küste eine einzige riesige Sanddüne, die zwar oft von dichten Kiefernwäldern bewachsen ist, ändert aber nichts an dem Straßenbelag - weicher, tiefer Sand, wie ich ihn in dieser Art nur in Bolivien und Namibia vorgefunden habe. In einer Nacht muss ein schwerer Gewitterregen niedergegangen sein, der aber an mir vorbeigezogen war. Das hatte zur Folge, dass der Sand zwar nass war, aber sich offenbar in Sturzbächen in den Senken gesammelt hatte - da hilft nur Schieben weiter.
Manchmal kamen mir echte Zweifel, ob ich noch auf dem richtigen Weg bin (ich weigere mich nach wie vor, mit GPS zu fahren). Aber die Zeichen am Wegesrand bestätigten den Kurs. Die absolute Krönung war ein Bohlensteg durch ein Moorgebiet. Bestimmt 20mal auf einen Steg und wieder runter. Allein der andauernden Trockenheit war es geschuldet, dass ich trockenen Fußes durch diesen Abschnitt kam. Als der Weg noch schlechter wurde und fast zugewachsen war, habe ich lieber eine Umweg gewählt. Viele Moore liegen hinter den Sanddünen und man kann nur ahnen, welche Vielfalt des Lebens dort gedeiht. Einen nachhaltigen Eindruck von der Vielfalt und der Vielzahl erhält man allerdings in Bezug auf stechende Insekten, die mich förmlich ausgesaugt haben. Und ich weiß jetzt, warum Bremsen (hier ungefähr so groß wie Hornissen - naja, nicht ganz) Bremsen heißen: Sie und ihre kleineren Begleiter, die Mücken, bremsen jeden Gedanken aus, in solchen Gegenden im Schatten und im Windschutz eine Pause einzulegen. Dann wird man für diese kleinen Plagegeistern zu Essen auf Rädern.
Die Ortschaften selbst habe ich nicht als sonderlich attraktiv empfunden. Oft im Krieg zerstört und ohne eigenes Gesicht wieder aufgebaut. Alles Hafenstädte, die alle etwas auf ihre Vergangenheit in der Hanse oder als Anlaufstelle für Wikinger halten. Deshalb obligatorisch in jedem Hafen mindestens eine Hansekogge oder ein Wikingerschiff, die übrigens gar nicht so unterschiedlich waren, wie wir immer meinen...
Ansonsten finde ich immer mein Lieblingsmotiv - die Leuchttürme.
Danzig war mein Ziel für den ersten Ruhetag. Ich hätte hier abkürzen können und weg von der Küste durch die Landschaft radeln. Allerdings hätte ich dann eines meiner "musts" verpasst, die Wanderdünen von Leba. Hier haben die Soldaten der Wehrmacht für den Wüstenkrieg geübt und hier wurden auch die V2-Raketen getestet (wieder eine Militärausstellung). Also bleibe ich der Küste treu und fahre nach Leba - was so nicht ganz richtig ist, denn der Radweg ist wegen Bauarbeiten - das stört hier sonst doch auch niemanden - und wegen der Sanddünen unpassierbar. Deswegen im weiten Bogen um den Nationalpark mit den Seen, Mooren, Wäldern und eben den Sanddünen herum. Erst recht spät komme ich auf einem der zahlreichen und riesigen Campingplätze an, sodass ich es nicht mehr schaffe, die Dünen zu besuchen. Deswegen am nächsten Morgen früh raus und ohne Frühstück erst mal die 8 km in den Nationalpark fahren. Um diese Zeit ist die Kasse und auch die Ausstellung mit den Abschussrampen für die V2 noch geschlossen und ich habe die Dünen für mich allein!
Mit diesen Eindrücken im Gepäck mache ich mich auf den Weg nach Danzig. In jedem Fall ein langer Ritt und auch ziemlich spaßfrei, denn die Route, die ich mir ausgesucht habe, führt meistens über Hauptverkehrsstraßen und obwohl Sonntag ist, ist ziemlich viel los. Endgültig hört der Spaß dann aber auf, als ich den Großraum von Danzig erreiche. Es fängt an in Neustadt und geht dann ohne Übergang weiter durch Reda, Rumia, Gdingen, Zoppot in die Innenstadt von Danzig. Fast 50km Großstadtverkehr (allein Danzig hat ca. 500.000 Einwohner)! Es gibt zwar durchgängig Radwege entlang der vierspurigen Durchgangsstraße, allerdings ist die Radwegeführung - naja, sagen wir mal eigenwillig. Aber sehr viele Menschen nutzen hier das Fahrrad, um das tolle Wetter - 30° im Schatten :-( - zu genießen.
Nach 140km und mit der Wanderung auf den Dünen in den Beinen finde ich völlig platt gegen 20.00 Uhr ein kleines Hostel in unmittelbarer Innenstadtnähe. Gute 1000 km stehen auf der Uhr. Das Fahrrad kommt mit in mein Zimmer und bleibt auch am Ruhetag dort stehen. Die Innenstadt erkunde ich zu Fuß und lasse jetzt die Bilder von dieser faszinierenden Stadt erzählen. Morgen gehts weiter über Marienburg Richtung Königsberg. Ich werde berichten.
Übrigens werde ich immer wieder gefragt, wie ich es hinbekomme, dass ich trotz des Andrangs Bilder ohne Menschen aufnehmen kann. Ist ganz einfach: Die Fahrradklamotten der letzten 500km anbehalten und abends nicht duschen. Wenn das nicht reicht, kurz die Schuhe ausziehen, dann sterben allerdings die Fliegen.