Von der Grenze Alaskas ostwärts durch Kanada

Es geht mal wieder los! Da das Büro nicht mehr ruft, habe ich endlich die Zeit, mir eine lange Tour vorzunehmen. Vor 14 Jahren war ich schon einmal im Westen Kanadas unterwegs und sowohl die Natur als auch die Menschen haben mich begeistert. Deswegen möchte ich mehr von dem riesigen Land sehen und es einmal von West nach Ost mit dem Rad durchqueren - mal sehen, ob Mensch und Maschine durchhalten und ich im Indian Summer an der Atlantikküste ankomme.

Aber bevor ich mich auf mein Rad setze, wollen Susanne und ich gemeinsam mit dem Auto ein kleines Stück Alaska erkunden, und nach zwei Wochen starte ich dann in Whitehorse meinen Trip durch die Weiten des Yukon Territory. Soweit der Plan... Danach entscheide ich wie immer spontan, wie es weitergeht. Neuigkeiten von unterwegs gibt es in gewohnter Weise in unregelmäßigen Abständen hier und auf Instagram unter #my_bike.tours

 

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Fehlstart

An dieser Stelle sollten eigentlich die Erlebnisse unserer Rundreise mit dem Auto durch das Yukon Territory und Alaska stehen. Allerdings kam dann alles anders als geplant und schlimmer als erwartet, sodass Susanne die Tour mit dem Auto durch Alaska allein gefahren ist, und ich mich am Grenzübergang Beaver Creek nach Alaska notgedrungen auf mein Fahrrad gesetzt habe und zurück über Whitehorse, wo wir gestartet waren, nach Dawson City gefahren bin, wo wir uns wiedergetroffen haben um die letzten Tage der geplanten Reise gemeinsam noch zusammen zu sein. Knapp 1000 km mit der Zeit im Nacken extra – das ist hart, wenn man sich noch nicht eingefahren hat. Aber von Anfang an:  

Diese Reise stand schon in der Vorbereitung unter keinem guten Stern. Und wenn es eines Beweises bedürfte, dass Murphy’s Gesetz zutrifft, dann ist unser Start in die zwei Wochen Yukon und Alaska hierfür bestens geeignet.

Wie gesagt, schon die Vorbereitung liefen einigermaßen holprig. Auf Empfehlung haben wir uns von einer auf Nordamerika spezialisierten Reiseagentur einen Vorschlag für eine zweiwöchige Rundreise mit dem Auto und vorgebuchten Unterkünften ausarbeiten lassen, den wir mit wenigen Detailanpassungen auch akzeptiert hatten.

Die Anreise sollte von Hamburg über Frankfurt direkt nach Whitehorse mit einer überraschend kurzen Flugdauer gehen. Allerdings dann nach ein paar Wochen die Mitteilung, dass der Flug wegen unzureichender Auslastung gestrichen wurde. Also eine andere Variante finden: Einen Tag früher Umsteigen mit langen Wartezeiten in Vancouver und dann weiter nach Whitehorse. Alles ohne Aufpreis aber mehr als 30 Stunden unterwegs. Neue Hiobsbotschaft: Auf dem Flug von Vancouver nach Whitehorse wurde eine andere, kleinere Maschine geplant, in der mein Fahrrad kein Platz findet. Vor die Wahl gestellt, noch einmal zwei Tage früher oder am selben Tag mit Air Canada die letzte Etappe gegen Aufpreis zu fliegen, beißen wir in den sauren Apfel, noch einmal Geld zu überweisen und mit Air Canada nach Whitehorse zu fliegen, denn zusätzliche Hotel- und Mietwagenkosten wären nicht erstattet worden. Abflug in Hamburg 11.00 Uhr, Ankunft in Whitehorse 23.30 Uhr – mit Anreise von zu Hause und Zeitverschiebung rund 36 Stunden unterwegs! Wäre es nur dabei geblieben. Bis Vancouver läuft dann alles nach Plan. Gepäck in Empfang nehmen und neu einchecken. In der Warteschlage am Check-In werden wir von einem Mitarbeiter von Air Canada herausgezogen und darauf hingewiesen, dass das in stabiler Folie verpackte Fahrrad so nicht mitgenommen wird. Air Canada schreibt eine stabilen Karton oder einen Fahrradkoffer vor. Kein Verhandeln möglich, die Entscheidung wird von zwei weiteren Vorgesetzten bestätigt. Wir könnten in die Stadt fahren und dort einen Karton besorgen – es ist bereits nach 18 Uhr, alle Fahrradgeschäfte sind inzwischen geschlossen. Aber man wäre bereit, unseren Flug auf den nächsten Tag kostenlos umzubuchen. Die Lösung, aus mehreren kleineren Kartons, die wir in Flughafengeschäften ergattern, eine große Hülle zusammenzukleben, wird nicht akzeptiert. Ein Manager, der ein Einsehen mit uns hat, gibt uns den Tipp, beim Gepäckservice der Airline eine Etage tiefer zu fragen.  Nach kurzer Zeit kommt Susanne mit einem wie maßgeschneiderten, fast neuen Fahrradkarton zurück. Ein riesen Brocken und viel Stress fallen in dem Moment von uns ab. Der kleinliche Beamte der Sicherheitskontrolle ist dann nur noch eine Randnotiz. Wir sitzen gegen 21.00 Uhr im Flugzeug. Fahrrad und Gepäck sind mit dabei, und pünktlich starten wir Richtung Whitehorse. Dann allerdings das nächste Problem: Nach etwa der halben Flugzeit meldet sich der Pilot und erklärt, dass es technische Schwierigkeiten gäbe und wir nach Vancouver zurückkehren: Fahrrad am Flughafen einlagern, Hotelunterbringung, um 01.30 Uhr Ortszeit liegen wir im Bett. Am nächsten Morgen dann der nächste Versuch, der überraschend reibungslos in Whitehorse endet – mit der kleinen Einschränkung, dass unser Hotelzimmer wegen Nichterscheinens nicht mehr verfügbar ist. Aber auch das kann nach einigem Hin und Her geklärt werden. 

Das Prinzip Hoffnung


Die größere Hürde wartet allerdings an der Grenze zu Alaska, wo wir zwei Tage später in die USA einreisen wollen. Wegen meines Visums für den Iran habe ich mir zwar einen neuen Reisepass besorgt, allerdings bin ich beim Ausfüllen des Antrages für die elektronische Einreisegenehmigung (ESTA) zu ehrlich und gebe wahrheitsgemäß an, dass ich 2015 im Iran war. Damit hat sich dieser Antrag erledigt. Abgelehnt! Ich muss ein offizielles Visum beantragen. Erst einmal 160 Dollar überweisen, die in keinem Fall zurückerstattet werden, dann einen weiteren Fragebogen ausfüllen und einen Termin buchen: Der nächste freie Termin ist der 20. Oktober! Ein Eilantrag für eine Befragung in der Botschaft in Berlin wird ebenfalls abgelehnt. Die letzte Hoffnung ruht jetzt auf der Einreise auf dem Landweg von Kanada in die USA, für die kein ESTA erforderlich ist. Mit dieser vagen Hoffnung übernehmen wir den Mietwagen in Whitehorse, laden das Fahrrad ins Auto und bereiten uns darauf vor, an der Grenze getrennte Wege zu gehen. Das bedeutet in erster Linie, mich mit allem zu versorgen, was ich auf der langen Tour auf dem Alaska Highway mit seinen wenigen Einkaufsmöglichkeiten gebrauche.


So kommen wir zumindest noch dazu, uns ein wenig in Whitehorse umzusehen, eine Stadt, die man nicht unbedingt besuchen würde, wäre sie nicht der Ausgangspunkt unserer Reise. Ein kleines Highlight entdecken wir rein zufällig auf dem Grundstück eines verlassenen Hauses in unmittelbarer Nähe des Yukon. Hier haben zwei Füchsinnen insgesamt zehn Junge bekommen, die gemeinsam aufwachsen und in aller Öffentlichkeit in der Abendsonne spielen und sich auch nicht an den Zaungästen stören, die sie beim Spielen aus nächster Nähe beobachten.

Aber auch Biber arbeiten sich hier mitten in der Stadt am Yukon an den Pappeln ab
Aber auch Biber arbeiten sich hier mitten in der Stadt am Yukon an den Pappeln ab

Auf dem Alaska Highway Richtung Norden


Eine Nacht in einem wohl typisch nordamerikanischen Motel in der Provinz und am nächsten Tag geht es dann auf dem Alaska Highway in Richtung Beaver Creek. Der Alaska Highway ist auf diesem Abschnitt eine Traumstraße mit durchgehendem Bergpanorama mit noch viel Schnee vor Wäldern, Flusslandschaften und Seen, die teilweise auch jetzt Anfang Juni noch zugefroren sind. Bis zu unserer nächsten Unterkunft in Haines Junction ist es nicht weit, sodass wir viel Zeit für Abstecher auf Nebenstrecken und Fotostopps verwenden. Nur die Tierwelt lässt uns im Stich. Kein Bär, kein Elch, kein Hirsch – nichts. Warten wir’s ab. 

Weite Strecken auf dem Alaska Highway
Weite Strecken auf dem Alaska Highway


Haines Junction: Wie der Name schon sagt, eigentlich nicht viel mehr als die Verbindung zweier Highways mit allem, was man hier mitten im Nichts so gebraucht – Tankstellen, Restaurants, Motels Einkaufsmöglichkeiten… Unsere Unterkunft, das Stardust Motel, liegt noch einmal eine ganze Ecke unter dem Bisherigen. Sauberkeit wird in diesem Ort offenkundig ohnehin nicht überbewertet, aber alles bleibt ohne Folgen. Lohnenswert der Besuch im Visitors Center, dass über die First Nations – so hier in Kanada die politisch korrekte Bezeichnung der Ureinwohner – und die Natur sehr modern und anschaulich informiert. Und auch nicht verpassen sollte man die Village Bakery, die sich überraschend positiv vom sonstigen Angebot hier abhebt.


 

Das Stardust Motel in Haines Junction - mal verliert man, mal gewinnen die anderen
Das Stardust Motel in Haines Junction - mal verliert man, mal gewinnen die anderen
Abendliche Wanderung auf einem kurzen Trail - immer mit der Erwartung, der Bär steht hinter dem nächsten Baum - aber nichts außer altem Schnee
Abendliche Wanderung auf einem kurzen Trail - immer mit der Erwartung, der Bär steht hinter dem nächsten Baum - aber nichts außer altem Schnee

Kein Durchkommen nach Alaska


Aber die Anspannung steigt. Heute ist der Tag, an dem sich entscheidet, ob wir unsere Reise gemeinsam fortsetzen können oder getrennt Wege gehen müssen. Da sind die traumhafte Umgebung am Rand des Kluane Nationalparks und des Lake Kluane, der noch überwiegend zugefroren ist, kaum geeignet, uns abzulenken. Bei Beaver Creek verlassen wir ohne Kontrolle Kanada und erreichen 20km später die Einreisekontrolle der USA. Hier kommt es dann wie befürchtet. Kein ESTA, kein Visum, keine Einreise. Die Alternative, hier eine Fragebogen auszufüllen, hatte ich mit meinem abgelehnten ESTA-Antrag verspielt. Viele Diskussionen mit und unter den Grenzkontrolleuren, aber am Ende steht trotz des sehr deutlichen Unbehagens der Beamtin die Entscheidung, dass ich nicht einreisen darf. Nicht einmal die Strecke bis zur kanadischen Grenze darf ich mit dem Rad fahren, schließlich befinde ich mich in den USA. Susanne bringt mich nach Beaver Creek, wo ich mein Fahrrad zusammenbaue, belade und nach einem traurigen Abschied setzen wir unseren Reise getrennt in entgegengesetzte Richtungen fort.


 

Hier trennen sich unsere Wege,,,
Hier trennen sich unsere Wege,,,
... und ich darf jetzt die Größe des Yukon  Territory mit dem Rad erleben
... und ich darf jetzt die Größe des Yukon Territory mit dem Rad erleben
Neue Perspektive auf den Alaska Highway
Neue Perspektive auf den Alaska Highway


Da es schon spät ist, fahre ich an dem Tag nur noch ein kleines Stück bis zum nächsten Campground, den ich ganz für mich allein habe und mein Zelt direkt am See aufschlage. Am nächsten Tag beginnt für mich der Wettlauf gegen die Zeit, denn in acht Tagen will ich mich wieder mit Susanne auf unserer ursprünglichen Route in Dawson City treffen – 1000km Alaska Highway und Klondike Highway. Durch Alaska wären es übrigens nur 435km gewesen… Zumindest hat die Natur am nächsten Morgen ein paar Trostpflaster für mich bereit. Mein Frühstück teile ich mit den frechen Canadian Jay, die sich direkt zu mir auf den Tisch setzen und sich ihren Anteil abholen. Kaum bin ich dann auf dem Highway, werde ich von einem Autofahrer auf eine Elch aufmerksam gemacht, der ein kleines Stück weiter am Fahrbahnrand steht und sich von mir aus nächster Nähe in aller Ruhe fotografieren lässt. Wenig später kommt der Puls dann doch in Wallung, als ca. 100m vor mir ein Grizzlybär am rechten Fahrbahnrand auftaucht und in aller Seelenruhe die Straße überquert, um es sich dort im Straßengraben gemütlich zu machen. Was tun? Ich möchte am liebsten ein Auto anhalten und im „Windschatten“ an dem beeindruckenden Tier vorbeifahren. Aber es kommen nur zwei LKW in Höchstgeschwindigkeit vorbei, die von dem Bären und mir keine Notiz nehmen. Also allen Mut zusammennehmen und mit 10m Abstand an dem Bären vorbei, der sich aber überhaupt nicht für mich interessiert, was mich wiederum motiviert, doch noch schnell anzuhalten, die Kamera zu zücken und ein Beweisfoto zu schießen:



Mein erster Grizzly aus Fahrradperspektive
Mein erster Grizzly aus Fahrradperspektive
Ein Elch ist dagegen ja schon fast ein Langweiler
Ein Elch ist dagegen ja schon fast ein Langweiler
Überlebensstrategie: Frechheit siegt! Die Methode es Canadian Jay
Überlebensstrategie: Frechheit siegt! Die Methode es Canadian Jay


Das war’s dann aber auch an tierischen Begegnungen bis auf Vögel, Eichhörnchen und Erdmännchen. Wie auf der Hintour lässt sich niemand blicken. Die Strecken kenne ich schon und so kommen jetzt sehr lange, schmerzhafte Etappen bis zu 161km, was am Beginn der Tour kein Vergnügen ist – weder die Beine noch das Sitzfleisch sind darauf vorbereitet. Nach drei Tagen erreiche ich wieder Whitehorse, decke mich neu mit Lebensmitteln ein und mache mich nach einer etwas kürzeren Tagestour auf dem Klondike Highway auf nach Dawson City – fünf Tage mit viel Wald, nicht ganz so spektakulärer Natur, mit Pelly Crossing dem einzigen kleinen Dorf in der Mitte und zwei sehr schrägen Raststätten. Für ein wenig Abwechslung sorgen zwei lange Baustellen, die ich sehr komfortabel in Pilot Cars passiere, die die Fahrzeuge im Pulk durch die Baustellen begleiten. Am Ende eines langen Tages erreiche ich Dawson City im strömenden Regen. Der erste Campingplatz ist geschlossen und so komme ich auf einem überfüllten kleine Platz mitten in der Stadt unter. Normalerweise sind Steine nicht mein bevorzugter Untergrund, um das Zelt aufzubauen, allerdings haben sie den Vorteil, dass das Wasser sehr gut abläuft.



Nicht jeder begnügt sich hier mit einem kleine Zelt!
Nicht jeder begnügt sich hier mit einem kleine Zelt!


Am nächsten Tag kommt Susanne mittags über den Top of the World Highway aus Alaska mit der  kostenlosen, aber auch ein bisschen abenteuerlichen Fähre über den Yukon auch in der Stadt an und in der Front Street am Fluss können wir uns endlich wieder in die Arme nehmen. Uns bleiben gerade noch drei gemeinsame Tage, bevor Susanne wieder nach Hause fliegt. Wir nutzen die beiden Tage in Dawson, um die Stadt, in der sich das Flair der Goldrauschzeit um 1900 mit dem Charakter eines Touristenorts bunt mischen. Ein Ausflug führt uns in die Gegend der Goldminen, in denen bis heute die Landschaft umgegraben wird, um da Edelmetall auszuwaschen. Und natürlich steht ein abendlicher Besuch in Diamond Tooth  Gerties Show auf dem Programm.


 

Der Yukon führt Hochwasser, was die Fährpassage nicht gerade einfacher macht, zumal die Anleger nur aus losem Schotter bestehen
Der Yukon führt Hochwasser, was die Fährpassage nicht gerade einfacher macht, zumal die Anleger nur aus losem Schotter bestehen
Wieder zusammen, verbringen wir die letzten Tage der "gemeinsamen" Reise
Wieder zusammen, verbringen wir die letzten Tage der "gemeinsamen" Reise

Impressionen aus der Stadt des großen Goldrauschs am Klondike um 1900

Und der Goldrausch ist noch nicht vorbei, nur die Methoden haben sich geändert

Ein absolutes Muss ist wohl das Casino und Gerties Show



Den Weg zurück nach Whitehorse kenne ich ja schon – nur dass er diesmal nicht vier Tage, sondern nur gut sechs Stunden dauert und das Fahrrad wieder im Kofferraum Platz gefunden hat. Und zum Abschluss haben auch die Bären noch ein Einsehen mit uns, denn auf der Strecke zeigen sich gleich zwei Prachtexemplare direkt am Straßenrand, wobei der eine etwas kamerascheu ist und sich gleich im Wald versteckt.

Die letzte Nacht, bevor Susanne die Heimreise antritt und ich mich auf den Weg nach Osten mache, verbringen wir in einem sehr schönen Blockhaus am Marsh Lake etwas südlich von Whitehorse. Und ab morgen kommt dann wieder sehr viel Wald entlang des Alaska Highway…



Der Bär zum Aschluss unserer gemeinsamen Reise...
Der Bär zum Aschluss unserer gemeinsamen Reise...

Von Whitehorse auf dem Alaska Highway Richtung Süden


Eigentlich sollte meine Radreise ja erst hier in Whitehorse beginnen und nun liegen schon 1000km Alaska- und Klondike Highway hinter mir. Immerhin bin ich jetzt einigermaßen eingefahren, denn vor mir liegen erst einmal weitere knapp 1500km Alaska Highway. Und was sich nach einer Traumstraße und viel Abenteuer anhört, ist auf den zweiten Blick dann nicht mehr ganz so spannend, denn zuallererst ist es ein Highway, d. h. ein schier endloses Asphaltband mit glücklicherweise nur wenig Verkehr, der jetzt in der Hauptreisezeit hauptsächlich aus den hier üblichen XXXL-Wohnmobilen, Wohnwagengespannen und Wohnwagensattelaufliegern besteht. Dazu kommen die Lkw – auch im Kingsize-Format und ab und zu „normale“ Pkw und Motorräder. Es kommt schon vor, dass ich auch mal eine Stunde keinem Fahrzeug begegne und dann kann ich die Natur genießen: Wälder, Wälder, Wälder, Flüsse, Seen, Berge – und dann geht’s wieder von vorn los. Wer das nicht mag, sollte nicht herkommen!



Der Alaskahighway - ein paar tausend Kilometer durch die Natur
Der Alaskahighway - ein paar tausend Kilometer durch die Natur


Die Dimensionen sind nicht auf Europa übertragbar. Alle 500km gibt es so etwas wie eine Ortschaft – nach Whitehorse folgt etwa bei km 1000 Watson Lake, bei km 500 Fort Nelson und für mich das Ende, aber eigentlich der Anfang des Alaska Highway, ist km 0 bei Dawson Creek, wo ich in den nächsten Tagen ankommen möchte. Zwischendrin immer wieder einmal Lodges (unberechenbar, was man unter dieser Bezeichnung vorfindet) oder Tankstellen, allerdings sind viele dieser Versorgungsmöglichkeiten seit Jahren geschlossen, finden sich aber nach wie vor auf den Karten.  Danach wird sich landschaftlich wohl nicht so viel ändern, nur der Highway wird ein anderer sein und ich habe die Wahlmöglichkeiten, wohin es weitergehen soll, die es hier nicht ernsthaft gibt, was die Orientierung sehr einfach macht. Um die Größenordnung noch einmal zu verdeutlichen: Kurz nach meinem (Neu-)Start am Marsh Lake wird auf eine Baustelle hingewiesen – in 400km Entfernung. Baustellen habe ich bisher einige passieren müssen, denn Umleitungsstrecken gibt es mangels Alternative nicht. Das heißt in der Regel, dass der Verkehr im Wechsel einspurig durch die Baustelle geführt wird, immer mit einem Pilot Car vorweg. Fast immer lade ich mein Rad auf diese Pickup-Trucks und komme so komfortabel wahlweise um Staub oder Matsch herum und kann mich unterwegs mit den Fahrerinnen über Land und Leute unterhalten. So erfahre ich und erlebe auch, wie sich der Klimawandel hier bemerkbar macht. Gut, die Winter sind nach wie vor kalt. Eine Pilot-Car-Fahrerin erzählt, sie wäre über Weihnachten in Watson Lake gewesen und mehrere Tage lagen die Temperaturen bei -47°C! Aber ansonsten hat es hier in den letzten Jahren Rekordmengen Schnee gegeben, der jetzt die Flüsse mit Schmelzwasser flutet, und in Teslin waren alle damit beschäftigt, Häuser am See vor einer Überflutung zu schützen, wofür es bei einigen schon zu spät war, als ich dort durchkomme.



MIt Sandsäcken versucht man in Teslin die Häuser vor den Wassermassen des Teslin Lake zu schützen
MIt Sandsäcken versucht man in Teslin die Häuser vor den Wassermassen des Teslin Lake zu schützen
Wie alles hier nur im Großformat
Wie alles hier nur im Großformat


Wiederholt habe ich erlebt, dass gerade in solchen Ländern die Hilfsbereitschaft und Offenheit der Menschen sehr groß ist. Auf dem Weg von Whitehorse nach Watson Lake passiert es mir gleich zweimal, dass Campgrounds oder Lodges nur noch als Ruinen vorhanden sind mit dem großen Schild “Closed” davor. Beim ersten Mal ist in der Nähe ein Baucamp mit heruntergekommenen und größtenteils verlassenen Häusern. Dort sehe ich einen der Bauarbeiter und spreche ihn an, ob ich dort irgendwo übernachten kann. Kein Probelm, ich bekomme eine Platz zwischen dem an solchen Orten unvermeidlichen Schrott zugewiesen - immerhin auf Gras und mit weichem Untergrund. Auf meine Frage nach Wasser bekomme ich zur Antwort, ich solle kein Wasser aus dem Bach nehmen und auch das Leitungswasser wäre nicht in Ordnung und so lande ich in seiner Unterkunft und kann mir aus einem Wasserspender soviel abfüllen, wie ich gebrauche. Nicht genug damit. Der Mann macht den Kühlschrank auf und holt ein riesiges Steak für mein Abendessen heraus. Auf meinen Einwand, dass ich kein passende Pfanne für die Zubereitung dabei habe, bekomme ich diese auch noch mit und bereite mir zum ersten Mal ein Steak auf dem kleinen Gaskocher zu - ein phantastisches Abendessen für einen hungrigen Radler in sehr skurrilem Ambiente! Und um den Tag noch abzurunden, entdecke ich auf dem Platz ein Stachelschwein, dass sich bei meiner Annäherung mit der Kamera unter einem liegengeblieben Wohnmobil verkriecht und sich auch nicht hervorlocken lässt. Aber dank der neuen Kamera gelingen trotz des wenigen Lichts schöne Aufnahmen ohne Blitz - und das sogar von vorn, denn normalerweise zeigen einem die Tiere sofort ihren stacheligen Rücken.



Es gibt schönere Stellplätze
Es gibt schönere Stellplätze
Aber selten gibt es zum Gratisstellplatz auch noch ein Steak dazu!
Aber selten gibt es zum Gratisstellplatz auch noch ein Steak dazu!

Eigentlich lassen sich die Porcupines nur von hinten fotografieren - es sei denn, sie fühlen sich sicher unter einem Wohnmobil, wo sie auch schon mal gern die Gummischläuche anknabbern, was sie nicht gerade beliebt macht


Am nächsten Abend eine vergleichbare Situation. Lodge geschlossen. Kurz dahinter ein Baucamp, wo zwei dieser Monster-Wohnmobile stehen. Zwei Paare sind mal eben 15 Stunden hierhergefahren, wo die Männer ab morgen mit Straßenunterhaltungsarbeiten beschäftigt sind. Mein Zelt kann ich in der Nähe aufbauen und bekomme Trinkwasser soviel ich will und einen langen Schnack im mückensicheren Pavillon dazu – und erstmals die Möglichkeit, in so einen Wohnwagen zu schauen, wobei mich der Ethanolkamin und die Insel mit der Spüle mitten im Raum am meisten beeindruckt haben…



Bärenland


Wegen der Bären bin ich mit dem wild campen etwas vorsichtig, hatten mit zwei Ranger, die einen Bären in einer Falle gefangen hatten, weil er in einem Camp für Ärger sorgte und jetzt irgendwo weit abgelegen wieder ausgesetzt werden sollte, gesagt, es wäre ganz einfach, Bären in eine Falle zu locken, denn sie wären „food driven“ (sind Radfahrer übrigens auch). Deswegen ist die Lagerung von Lebensmitteln beim Wildcampen das Hauptproblem. Die staatlichen Campgrounds bieten neben einem Plumpsklo immer auch bärensichere Lebensmittelschließfächer – nur sind diese Campgrounds nicht immer in erreichbarer Entfernung. Und das Wasser in den Flüssen ist entweder voller Sedimente und/oder es besteht die Gefahr, dass es mit beaver fever verseucht ist – einer Art Ruhr, die wochenlangen Durchfall, Magenkrämpfe und sonstige starke Beschwerden hervorruft – also nie ohne Abkochen oder mit Tabletten sterilisieren.


 

Ein Bär ist in die Falle gegangen. Das kommt davon, wenn man über's Fressen alles andere vergisst
Ein Bär ist in die Falle gegangen. Das kommt davon, wenn man über's Fressen alles andere vergisst


Stichwort Bären: Sie sind überall! Über meine ersten Begegnungen habe ich ja schon berichtet. Inzwischen habe ich 20 Bären gesehen, davon zwei Grizzlys, und ein Bär, der nicht in gutem Licht und in kurzer Distanz zur Kamera steht, ist kein Grund zum Anhalten. An dem Tag, als ich Watson Lake erreiche, sind es zwölf Bären an einem Tag, davon drei Bären-Kleinkinder! Bisher alles friedlich und entspannt, aber auch kein Grund leichtsinnig zu werden und deswegen ist das Bärenspray immer griffbereit hinter dem Fahrradsattel.


 

Hier ist besondere Vorsicht angesagt: Wenn es um ihre Kinder geht, versteht die Bärenmutter keinen Spaß
Hier ist besondere Vorsicht angesagt: Wenn es um ihre Kinder geht, versteht die Bärenmutter keinen Spaß


Watson Lake ist so ein typischer kleiner Ort, weitab von allem, der in erster Linie wohl eine Versorgungsfunktion für die Menschen in der (weiten) Umgebung und für Durchreisende hat: Supermärkte, Tankstellen, Fastfoodrestaurants, ein lokales Museum – mit anderen Worten kein Ort, in dem man lange bleiben möchte und trotzdem wichtig, um Magen und Satteltaschen mit den nötigen Kalorien zu füllen. Und DIE Attraktion von Watson Lake ist der Schilderwald direkt am Highway. Keine Ahnung wie viele Schilder hier stehen – aber viele in Deutschland gestohlene Ortsschilder haben auch ihren Weg hierher gefunden.


 

Es ist unglaublich, wie viele Schilder aus aller Welt hier angebracht sind!
Es ist unglaublich, wie viele Schilder aus aller Welt hier angebracht sind!
Wenn man in Schlagsdorf seine Ortstafel vermisst, ich hätte da einen Tipp
Wenn man in Schlagsdorf seine Ortstafel vermisst, ich hätte da einen Tipp


Bald nach Watson Lake verlasse ich endgültig das Yukon Territory und erreiche British Columbia, was erstmal auf den Highway keinen Unterschied macht. Aber was mir schon vorhergesagt wurde, wird hier noch einmal offiziell: Die Warnung vor Bisons auf der Straße, und tatsächlich sind überall ihre Spuren und Hinterlassenschaften zu sehen – nur keine Bisons. Allerdings soll die größte Herde auch erst im Muncho Lake Provicial Park kommen, und bis dahin habe ich noch zwei Tage vor mir.



Man ist ganz unbescheiden in British Columbia: The Best Place On Earth
Man ist ganz unbescheiden in British Columbia: The Best Place On Earth
Soll keiner sagen, er hätte es nicht gewusst...
Soll keiner sagen, er hätte es nicht gewusst...


Und dann sind sie mit einem Mal da: eine Herde von ca. 60 Tieren mit vielen Kälbern steht links und rechts neben der Straße und ein großer Bulle steht direkt auf dem Highway und schaut mich direkt an! Adrenalinausschüttung! Eigentlich sollten sie nicht aggressiv sein… Bisonmütter mit Kälbern?!  Aus sicherer Entfernung mache ich ein paar Fotos und rolle vorsichtig näher. Keine Ahnung warum, ob es die Ahnung der Tiere ist, dass ich auch Bisonburger esse, ob es die Handhaltung am Fahrradlenker ist, die entfernt daran erinnert, dass man einen Bison bei den Hörnern packt – jedenfalls setzt sich zuerst der Bulle und dann der Rest der Herde in Bewegung und läuft immer schneller nach links eine Böschung hinab in den Wald, wo diese mächtigen Tiere deutlich zu hören sind. Vorbei das Schauspiel und ich rolle langsam weiter, bleibe aber am Ende noch stehen und warte. Wenige Minuten später kommen erst einzelne Tiere zurück, dann ist die gesamte Herde wieder da und grast, als wenn nichts gewesen wäre und aus nächster Nähe kann ich meine Fotos machen. Ziemlich euphorisch fahre ich weiter und nach ein paar Kilometern stehen noch einmal sechs Bisonbullen an der Straße, und auch sie lassen sich geduldig portraitieren. Und von jetzt auf sofort sind nicht mehr die Bären die am häufigsten gesichteten Tiere!



Die sehen tatsächlich so aus, wie auf den Schildern - nur viiiiiel größer!
Die sehen tatsächlich so aus, wie auf den Schildern - nur viiiiiel größer!


Mit diesen Glücksgefühlen erreiche ich den Muncho Lake. Ich bin in den nördlichen Rocky Mountains angekommen und wie schon bei meiner ersten Kanada-Reise meint es das Wetter nicht besonders gut mit mir. Jedenfalls gibt es kein schönes Licht und keine gute Sicht auf diesen wunderschönen, türkisfarbenen See in einer faszinierenden Bergwelt. Dafür aber ein sündhaft teure Lodge, wo ich mir eine Stellplatz direkt am See und dem Anleger für zwei Wasserflugzeuge sichere, denn vor mir liegen zwei Pässe, die ich mir für morgen aufhebe. Und zur Feier des Tages gibt es einen Riesen-Burger. Nein, keinen Bisonburger, sondern einen Bushpilotburger – zum richtig satt werden!



Abendstimmung über dem Muncho Lake
Abendstimmung über dem Muncho Lake


Die Pässe lassen sich in südlicher Richtung deutlich leichter fahren als erwartet und als in der Gegenrichtung und man fährt in einer grandiosen Bergwelt, die ein kanadischer Radler, der mir entgegenkommt für wesentlich schöner hält als die den berühmten Icefield Parkway, der mich vor 14 Jahren so begeistert hat. Mein Tagesziel ist der Campground am Summit Lake auf 1300m Höhe, für den 800 m Höhenunterschied zu überwinden sind. Und nur wenige hundert Meter vor dem Ende meiner 112km-Etappe kommen dann auch endlich die so lange mit Warnschildern angekündigten Stone Sheep, die in den Felsen kraxeln und direkt an der Straße Salz auflecken.


 


Von hier oben fehlt jetzt noch eine lange Tagesetappe nach Fort Nelson, dem angeblich tiefsten Punkt des Alaska Highway – lange Abfahrten (aber auch einige lange Anstiege), tolle Aussichten über endlose Weiten und Rückenwind machen die 140 km zum Genuss. Es ist wieder an der Zeit, mich mit Proviant für die letzten 500km bis Dawson Creek einzudecken. Nachts fängt es an zu regnen und der Regen hält auch am Morgen an, sodass ich mit entschließe, nach 1000km wieder einen Ruhetag einzulegen, der es mir erlaubt, mich und meine Ausrüstung und diesen zweiten Bericht zu schreiben.

Auf dem Weg zum Summit Lake
Auf dem Weg zum Summit Lake
Nur noch wenige Meter bis zur Passhöhe
Nur noch wenige Meter bis zur Passhöhe
Wald, soweit das Auge reicht! Und hinter der nächsten Kurve auch...
Wald, soweit das Auge reicht! Und hinter der nächsten Kurve auch...


Zu so einer Reise gehören auch immer die Begegnungen mit anderen Menschen, die unterwegs sind. Vorgestern traf ich einen Wanderer aus Slovenien, der einen dreirädrigen Karren vor sich herschob. Er war 2018 zu seiner Tour in Ushuaia auf Feuerland aufgebrochen, musste seine Reise coronabedingt unterbrechen, und war jetzt nach 22.000km auf seinem letzten Teilstück nach Prudoe Bay in Alaska am Eismeer – bis Ende August 40km pro Tag! Und seit Peru hatte auch noch ein Hund als Begleiter in seinem Wagen – ich bin ein Weichei…



22.000km zu Fuß und der Hund lässt sich schieben - seit Peru
22.000km zu Fuß und der Hund lässt sich schieben - seit Peru
Es gibt übrigens nicht nur große Tiere in Kanada
Es gibt übrigens nicht nur große Tiere in Kanada
Und morgen teile ich mit ihnen wieder den Highway
Und morgen teile ich mit ihnen wieder den Highway

Von der Wildnis in die Großstadt


Das letzte Update meines Reiseberichts hatte ich an einem Regentag im Zelt in Fort Nelson geschrieben. Inzwischen bin ich in Edmonton angekommen, der Hauptstadt der Provinz Alberta. Mit mehr als einer Million Einwohner gehört sie zu den größten Städten Kanadas und ist genau genommen die erste richtige Stadt, in die ich jetzt nach 3200km komme.

In Fort Nelson hatte ich noch ca. 500km Alaska Highway vor mir und damit gerechnet, dass sich an der Strecke und den Wäldern links und rechts des Highways nicht so viel ändern wird. Damit lag ich aber grundsätzlich falsch, was ich schon ahnte, als ich Fort Nelson verließ. Am südlichen Ortsausgang haben sich nämlich relativ große Gewerbegebiete ausgebreitet, in denen sich alles um die Öl- und Gasförderung dreht. Unversehens bin ich dort angekommen, wo Kanada einen Teil seines Reichtums aus der Erde pumpt. Damit verbunden ist sehr viel Schwerlastverkehr, der nach dem vielen Regen des Vortages jede Menge Dreck mit auf den Highway bringt, der von Sonne und Reifen zu feinstem Staub verarbeitet wird, der mir immer wieder um die Ohren fliegt. Ölpumpen, Gaskompressoren, Pipelines und Tanks gehören schnell zum vertrauten Landschaftsbild, dass sich allerdings auch unvermittelt ändert.



Das Grundstück hätte ich auch gern
Das Grundstück hätte ich auch gern
Kanada hat, was wir gern hätten: Gas im Überfluss
Kanada hat, was wir gern hätten: Gas im Überfluss


Bald nach Fort Nelson habe ich das Gefühl, aus dem Wald herauszutreten und am Waldrand vor unendlich weiten Feldern zu stehen. Zuerst überwiegt noch Grasland, dann dominiert aber Ackerland mit Getreide, Raps und Erbsen – als Viehfutter. Wann ist ein Feld groß? Im Vergleich zu Deutschland – Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg eingeschlossen – ist hier alles groß. Ich habe für mich beschlossen, ein Feld ist dann groß, wenn trotz topfebener Landschaft das Ende hinter dem Horizont liegt und nicht mehr zu sehen ist. Übrigens habe ich das Gefühl, zwei bis drei Monate in der Zeit zurückgesprungen zu sein. Nicht nur, dass dieser Sommer nach Aussagen vieler Einheimischer extrem kühl ist, d. h. bei bedecktem Himmel oder Regen liegen die Tagestemperaturen schon mal um 12 Grad (sobald die Sonne aber scheint, ist auch sofort sehr warm), sondern auch der (Sommer-)Raps beginnt jetzt erst langsam zu blühen und das Getreide zeigt zaghaft auf einigen Feldern die ersten Ähren. Und dabei liegt Edmonton auf demselben Breitengrad wie Hamburg! Der Größe der Felder sind die Maschinen angepasst – ich habe solche Monstren noch nicht gesehen! Das Größte, was sie Industrie zu bieten hat, ist hier alltägliches Arbeitsgerät. Wo denn auch sonst?



Auf den Feldern wirken die Maschinen gar nicht mehr so groß
Auf den Feldern wirken die Maschinen gar nicht mehr so groß
Mancher landwirtschaftlicher Hof scheint nur aus Lagerkapazität für die Ernte zu bestehen
Mancher landwirtschaftlicher Hof scheint nur aus Lagerkapazität für die Ernte zu bestehen


Die historische Meile Null des Alaska Highway ist nach gut 2400km (einschließlich des Klondike Highway von Whitehorse nach Dawson City) bei Dawson Creek erreicht. Hier komme ich auf einem gepflegten Campingplatz unter und kann mich in der Kleinstadt mit allem versorgen, was ich so benötige. Neben dem Campingplatz liegt ein kleines Freilichtmuseum. Normalerweise meide ich solche Ausstellungen, weil doch meistens nur altes, verrostetes Gerümpel gezeigt wird, welches sonst auch auf jedem Anwesen rumsteht. Abgesehen davon, dass dieses kleine Dorf deutlich besser gestaltet ist, beherbergt es in einem Haus eine Ausstellung über den Hintergrund und des Bau des Alaska Highways. Es war nämlich der Angriff der Japaner auf Pearl Harbour und die Sorge der Amerikaner, Alaska könnte auch angegriffen werden, ohne die Möglichkeit zu haben, Nachschub auf dem Landweg dorthin zu bringen. Und so wurde diese gewaltige Schneise von Dawson Creek bis nach Fairbanks in Alaska vom amerikanischen Militär in nur acht Monaten in den Wald geschlagen. Kurz vor Dawson Creek bin ich noch einmal einen kleinen Umweg auf der ursprünglichen Trasse gefahren. Dort kommt man über die letzte Holzbrücke aus der Zeit des Baus Highways, die zudem die längste Holzbrücke in Nordamerika ist, die in einer Kurve gebaut wurde, die Old Kiskatinaw Bridge.


 

Angekommen - hier an der Meile 0 des Alaska Highway suche ich mir neue Weg Richtung Osten
Angekommen - hier an der Meile 0 des Alaska Highway suche ich mir neue Weg Richtung Osten
Und sie steht noch immer - seit 80 Jahren
Und sie steht noch immer - seit 80 Jahren


Auf dem Alaska Highway gibt es ansonsten allerdings so gut wie keine Alternativroute. Er ist nun einmal die Lebensader in Richtung Norden. Je mehr Öl- und Gasförderung und auch Land- und Forstwirtschaft gibt, desto „dichter“ wird das Straßennetz. Ich hatte immer noch die Idee, nach Möglichkeit dem Great Trail of Canada zu folgen, einem Wander-, Rad- und Paddelwegenetz durch ganz Kananda. Der Alaska Highway ist identisch mit dem Trail. Hier verläuft er allerdings oft parallel zu den Highways auf Nebenstraßen. Ich habe mir von dem Gedanken verabschiedet, dieser Route zu folgen. Zum einen fehlen mir verlässliche Informationen, ob die Streckenabschnitte mit einem voll bepackten Rad zu befahren sind, zum anderen ist es landschaftlich ziemlich egal – ich sehe die Felder nur von der anderen Seite und fahre dafür wahlweise auf den Schotterpisten im Staub oder Matsch. Also bleibt es beim Seitenstreifen der Highways, auch wenn das nicht immer witzig ist, aber hier geht es auch darum, Strecke zu machen. 

Die Besiedelung wird zwar immer dichter und die Orte größer, was zumindest die Versorgung mit Lebensmitteln erleichtert, was die Campingplätze angeht, ist es allerdings immer wieder einmal schwierig. Beispielsweise in Peace River, einem relativ großen Ort am gleichnamigen, mächtigen Fluss, sind gleich zwei Campingplätze an der Hauptstraße ausgeschildert – einer ist offenkundig seit Jahren geschlossen, über den anderen verläuft die Trasse einer neuen Straße. Es bleibt also nichts anderes übrig, als mit Blick auf den Fluss wild zu campen. Immerhin habe ich da meine Ruhe – bis auf die Eisenbahn, die nachts zweimal vorbeirollt. Und die hat es dann in sich, denn die Bahn spielt hier noch immer ein Hauptrolle im Güterverkehr. Sowohl Öl als auch Getreide werde per Bahn abtransportiert. Häufig verläuft die Bahnlinie parallel zur Straße. Gestern kam ein langsamer Güterzug entgegen und ich habe mal gezählt: 5 Loks und ca. 170 Waggons! 



Bis heute rollen die schier endlosen Güterzüge auch über Holzbrücken
Bis heute rollen die schier endlosen Güterzüge auch über Holzbrücken
Erst das Vergnügen und dann die Arbeit: der Peace River schenkt einem keine einzige Überquerung
Erst das Vergnügen und dann die Arbeit: der Peace River schenkt einem keine einzige Überquerung


Den Peace River habe ich auf der Tour gleich dreimal überquert und jedes Mal hat er viel Schweiß gekostet, denn er hat sich etwa 300m tief in die Landschaft eingegraben und nach jeder Überquerung heißt es dann über eine Strecke von vier bis fünf Kilometern diese 300 Höhenmeter wieder zu überwinden.




Mit der Ruhe auf Campingplätzen ist es ansonsten so eine Sache. Ich habe das Gefühl, das große Talent zu haben, immer die lautesten Nachbarn auf dem gesamten Platz zu finden. Der 1. Juli ist Canada Day, Nationalfeiertag, und da er in diesem Jahr auf einen Freitag fällt, ist für alle Kanadier langes Partywochenende angesagt. Und am Abend davor komme ich ausgerechnet in Slave Lake am Lesser Slave Lake auf dem wohl größten Campingplatz auf der bisherigen Tour an. Stellplätze für Zelte sind hier ja ohnehin die Ausnahme und Mangelware oder werden, wie auf zwei anderen Plätzen im Ort überhaupt nicht angeboten, weil weder Duschen noch Toiletten vorhanden sind, und so bin ich eigentlich ganz froh, am äußersten Rand, direkt am Zaun des benachbarten Flughafens, eine Platz auf einem schmalen Rasenstück am See zu bekommen – bis eine Gruppe Halbstarker mit zwei großen Pickups ankommt, das obligatorische Lagerfeuer anzündet und Party macht. Vielen Dank dafür. Ich habe in der Nacht mein Zelt abgebaut und so weit wie möglich von der Gruppe weggezogen. Gerade wieder im Schlafsack, fängt das Feuerwerk an… Entschädigt werde ich dafür am nächsten Tag, dem eigentlichen Feiertag. Ich finde einen sehr weitläufigen und gepflegten Platz weitab von allem und bekomme eine riesige Zeltwiese am Bach für mich ganz allein. Und es gibt sogar eine heiße Dusche. Zwar ist der Preis auch deutlich höher als üblich, der relativiert sich allerdings, als der Besitzer gerade in dem Moment als mein Zelt steht, ankommt und mich zum Essen mit Buffet und gegrilltem Steak einlädt, woraus sich ein netter Abend in angenehmer Gesellschaft entwickelt – und die Nacht am Bach wurde nicht einmal von den örtlichen Elchen gestört. Schade. Die Ruhe war auch in Wonowon (liegt an der Meile 101 des Alaska Highway und wird tatsächlich so geschrieben) nicht das Probelm. Auf dem dortigen RV-Park gab es weder fließendes Trinkwasser noch eine Toilette, für Zelte aber einen kleine Rasenstreifen. Auf die Frage nach der Toilette wurde ich auf den Gebüschstreifen am Highway verwiesen – war auch kein Problem, auf dem Platz standen nur Arbeiter von den Ölfelder mit ihren riesigen Wohnmobilen und die waren morgens um 06.00 Uhr schon alle zur Arbeit. Dafür war der Platz aber auch kostenlos.




Die Frage nach Platten gehört bekanntlich zu meine Favoriten unter den unnützen Fragen nach einer Reise, weil ein Plattfuß nun mal nichts Besonders und kein Problem ist. Fast die ganze letzte Woche hatte ich allerdings immer wieder damit zu tun, dass das Hinterrad (natürlich das Hinterrad, wäre sonst ja auch zu einfach) ganz leicht Luft verlor. Es dauerte mehr als einen Tag, bis ich wieder aufpumpen musste. Dreimal ausbauen, dreimal ein winziges Loch im Schlauch – und keine Spur vom Verursacher, weder innen noch außen. Schließlich habe ich Übeltäter nach akribischer Suche mit Markierung von Schlauch und Mantel gefunden: Es waren wie so häufig in solchen Fällen zwei winzige Drahtstücke, die kaum zu sehen und weder von innen noch von außen zu ertasten waren und sich nur mit einer Pinzette herausziehen ließen. Jetzt hält der Reifen wieder dicht und ich kann dieses Thema hoffentlich für den Rest der Tour vergessen.


 

So klein kann die Ursache für tagelangen Verdruss sein
So klein kann die Ursache für tagelangen Verdruss sein


Die wohl eigentümlichste Begegnung der bisherigen Reise hatte ich wohl am Tag vor meiner Ankunft in Edmonton. Am Highway taucht plötzlich ein Schild auf mit dem sinngemäßen Hinweis auf einen Hofladen. Billboards sind hier zwar ganz normal vor jeder Ortschaft, für Direktverkauf von Eiern und Gemüse war aber noch nie geworben worden. Kurz bevor ich den Hof erreiche, kreuzen zwei Jungen mit ihren Rasenmähertraktoren den Highway. Beide ganz in schwarz gekleidet, beide mit dergleichen schwarzen eigenartigen Schirmmütze. Auch dieser riesige Hof wirkt anders als andere. Während die meisten Betriebe entweder auf Ackerbau oder auf Viehzucht spezialisiert zu sein scheinen, wird hier offenbar alles gemacht. Neugierig geworden fahre ich vor das kleine Haus mit dem Hofladen und sehe das folgende Schild an der Hofzufahrt:


Eine "Kolonie" der Hutterer Bruderschaft
Eine "Kolonie" der Hutterer Bruderschaft

Ein Mann, etwa in meinem Alter, wie die Jungen in schwarz gekleidet mit dergleichen schwarzen Schirmmütze auf dem Kopf steht vor dem Haus und kommt auf mich zu. Daneben arbeiten mehrere Frauen, alle in knöchellangen, dunkel geblümten Kleidern, schwarzen Jacken und schwarzem Kopftuch gekleidet, die mich weder grüßen noch sonst in irgendeiner Weise zur Kenntnis nehmen. Der Mann erklärt, dass des sich bei dem Hof um eine Kolonie der Hutterer Brüder handelt. 170 Menschen leben auf dem Hof, ohne dass es Privateigentum gibt. Man mache alles selbst und leben nach den eigenen Regeln. Er bietet mir an, mir in seinem Pickup auf einer Tour den Betrieb zu zeigen. Es geht zum Gemüsefeld, zum Kindergarten, zur eigenen Schule, wo die Kinder von 6 - 15 Jahren unterrichtet werden, in der riesigen Schlosserei zeigt er mir stolz eine selbst konstruierte Anlage zum Hühner schlachten und rupfen sowie ein große Honigschleuder. Dann fahren wir in die Küche, wo Frauen für alle das Essen zubereiten und alle gemeinsam essen, allerdings Kinder und Jungendliche bis 16 Jahre in einem separaten Raum und Männer und Frauen an getrennten Tischen. Aus der Küche bekomme ich auch eine Tüte mit sehr leckeren, frischen Brötchen - allerdings auch hier ohne dass auch nur eine Frau meinen Gruß erwidert. 

Thematisch kommen wir nicht immer ganz zusammen. Als mein Guide mir erklärt, dass sie 8000 Acre Land bewirtschaften, kann ich mit dieser Größenordnung nichts anfangen und frage nach: ein Acre ist acht Fuß breit und eine halbe Meile lang - alles klar, ganz einfach (ich habe nachgesehen, es sind ca. 4000qm). Wir kommen auch nicht beim Thema deutsche Sprache zusammen. Nach seiner festen Überzeugung kommt das richtige Deutsch aus der Ukraine und wurde von den Hutterern wieder zurück nach Deutschland gebracht. Sein Schwager war in Deutschland, um zu lernen, wie man Windkrafträder errichtet und habe dabei festgestellt, dass überall andere Dialekte gesprochen werden - das ist doch kein richtiges Deutsch. Wir haben uns allerdings auf Englisch unterhalten, denn sein "richtiges" Deutsch habe ich nicht verstanden.

Kurze, interessante Einblicke in eine sehr eigentümliche Gemeinschaft. Für eine Bitte, auf dem Betrieb fotografieren zu dürfen, war der Kontakt zu kurz und ich wollte auch nicht aus Unwissenheit in irgendwelche Fettnäpfen treten. Dann verabschiedete sich der Mann und verschwand, weil er dringend woanders gebraucht wurde. Einen anderen noch größeren Hof dieser Bruderschaft habe ich am selben Tag noch am Highway passiert. 


 

Kein Kleinbetrieb, der von den Hutterern bewirtschaftet wird
Kein Kleinbetrieb, der von den Hutterern bewirtschaftet wird


Gestern Abend habe ich nun Edmonton erreicht. Da es in Innenstadtnähe keinen Campingplatz gibt, habe ich mich für zwei Nächte in ein günstiges Hotel eingemietet. Mein Fahrrad steht sicher bei mir im Zimmer. Calgary hatte mich vor 14 Jahren fasziniert, was vielleicht auch daran lag, dass mir die Stadt damals drei Tage von lang äußerst liebenswürdigen Gastgebern gezeigt wurde, während ich auf mein verspätetes Fahrrad warten musste. Begeisterung will bei Edmonton nicht so richtig aufkommen. Das Navi führte mich erst durch nordamerikanische Bilderbuch-Vorstadtsiedlungen mit großen neuen Häusern auf winzigen Grundstücken mit akkurat geschnittenen Rasen und großen Autos davor. Überall Parkanlagen und separate Geh- und Radwege. Dann ging die Fahrt allerdings auch über sechsspurige Schnellstraßen, zum Glück wegen der Feiertage mit sehr wenig Verkehr und schließlich kam ich in den Stadtteil, wo mein Hotel liegt. Nicht mehr ganz so schick, viele Cannabisläden, viele Menschen sozialer Randgruppen – kein Ort, wo man bei Dunkelheit allein spazieren gehen möchte. Immerhin komme ich von hier auf einem abgesetzten Radweg in 20 Minuten direkt in die Innenstadt. Je näher man der Innenstadt kommt, desto mehr Menschen hausen dort am Rand der Glitzerfassaden der Konzerne und am Rand der Gesellschaft in Zelten und Hütten aus Plastikplanen, die gesamte Habe auf einem Einkaufswagen verstaut. Das habe ich in dieser Form und Masse in Kanada noch nicht gesehen. Eine menschenleere Großstadt an einem Sonntagmorgen strahlt nicht unbedingt das aus, was man Atmosphäre nennen würde, wenn aber diese Schattengesellschaft dann schon fast dominiert, hat das schon etwas Bedrückendes.



Die Ränder der Gesellschaft - und das in einem sehr reichen Land
Die Ränder der Gesellschaft - und das in einem sehr reichen Land
Wenn der gesamte Besitz in einen Einkaufswagen passt
Wenn der gesamte Besitz in einen Einkaufswagen passt
Bei vielen hat man den Verdacht, dass der Dauerkonsum von Rauschgift direkt in den Abgrund geführt hat
Bei vielen hat man den Verdacht, dass der Dauerkonsum von Rauschgift direkt in den Abgrund geführt hat


Museen und Ausstellungen sind an diesem Tag geschlossen und so bleibt mir, die wenigen Sehenswürdigkeiten der Stadt mit dem Rad von außen zu erkunden: Parlament, Art Gallery of Alberta, die vielen Murals – große Wandbilder, die überall in der Stadt zu finden sind -, die gepflegten, weitläufigen Parkanlangen entlang des North Saskatchewan Rivers, das Murrat Conservatory, die „Altstadt“ von Strathcona – und dann war’s das auch schon mit Edmonton. Keine Stadt, wo ich mich unbedingt länger aufhalten müsste. Und wahrscheinlich tue ich der Stadt damit Unrecht. Aber für mich lag sie auf dem Weg zu meinem nächsten kleinen Zwischenziel, den Dinosauriern in Drumheller und den dortigen Badlands. Ich gehe davon aus, dass es sich jetzt landschaftlich noch einmal verändern wird, denn Edmonton liegt am Rande der Prärie. Also wahrscheinlich Ende mit Wald, dafür aber noch mehr Weite.


Hier eine kleine Auswahl der Murals, die man im Innenstadtbereich findet:

Eindrücke aus Edmonton


Ach ja, fast hätte ich sie vergessen: Die Tierwelt. Sie stand ja bisher fast im Mittelpunkt der Berichterstattung. Ja, es ist beschaulicher geworden. Ab und zu ein Hirsch, der so aussieht, als hätte er Walt Disney für Bambi Modell gestanden, ein paar Biber, ein Kojote und, klar, der eine oder andere Bär. In der Prärie soll es ja Klapperschlangen geben…  



Ein Vorbote aus der Prärie
Ein Vorbote aus der Prärie