Ich bin in Schweden angekommen und nehme Abschied von den langen Strecken auf der E 4 in Finnland, die ich in den letzten Tagen nicht umgehen konnte. Meine Hoffnung auf weniger Verkehr im Norden hat sich leider nicht erfüllt. Zum einen kommt man zwangsläufig durch Oulu, der Boom-Town im Norden Finnlands mit vielen Hightech-Firmen (Nokia hat hier ein Werk mit fast 5000 Mitarbeitern) und auch anderen Industrieansiedlungen mit dem entsprechenden Verkehr, zum anderen ist Hauptreisezeit und der Norden der finnischen Ostseeküste ist hier eine beliebte Urlaubsregion, weil es hier einige der wenigen Sandstrände Finnlands gibt - Oulu hat einen ca. 200m (!) langen Sandstrand. Zu den Finnen, die scheinbar alle unterwegs sind, kommen hier oben noch zahlreiche Norweger, für die Finnland und Schweden wahrscheinlich Billigurlaubsländer sind.
Ich hätte auf meiner Tour Ortsnamen sammeln sollen - es hätte sich nur mit diesen Namen eine lange Geschichte erzählen lassen. In Estland war ich ja schon durch Aa gekommen. Kurz vor der Grenze nach Schweden komme ich in Finnland dann durch Ii - der Ort heißt wirklich so. Und als sollte hier etwas unter Beweis gestellt werden, reißt mir ausgerechnet hier die Kette, was kein Problem ist und schneller behoben als, ein Platten - aber die ganze Schmiere - ii!
Aber schon kurz danach noch eine wirkliche nette Erfahrung zum Abschluss meiner Finnlandstrecke. In einem kleinen Rasthof will ich mir nach dem Pech mit der gerissenen Kette einen Motivations- und Doping-Kaffee holen. An der Kasse ein unglaublich fröhliche und freundliche Bedienung der 150-kg-Klasse, die wohl jeden Kunden nach dem Woher und Wohin fragte. Bei meiner Antwort musste sie dann doch noch ein paar Zusatzfragen stellen und war schwer beeindruckt. Mit meinem Kaffee in der Hand gehe ich nach draußen und nach wenigen Minuten folgt diese so positive Frau und drückt mir zwei Müsliriegel und einen Tetrapack mit finnischem Wasser in die Hand - einfach so. Eine sehr nette Geste, über die ich mich richtig gefreut habe, zumal so etwas bei den eher zurückhaltenden Nordländern nicht so oft vorkommt.
Finnland und Schweden trennt hier an der Ostseeküste der breit Torne Älv, an dessen Ufern Tornio und Haparanda liegen und mit mehreren Brücken verbunden sind, sodass man den Grenzübertritt fast nicht wahrnimmt, außer dass es sich sich auch hier, wie so häufig bei Grenzstädten, um relativ ungepflegte Orte handelt, deren Hauptzweck anscheinend die Einkaufsmöglichkeiten für Kunden der jeweils anderen Seite ist. Aber immerhin gibt es hier eine Skluptur, die darauf aufmerksam macht, dass man in ein anderes Land kommt - bisher habe so etwas aus meiner Reise nur zwischen Deutschland und Polen gesehen.
Nun bin ich in Schweden und anders als in Finnland, gibt es hier ein weitverzweigtes ausgeschildertes Radwegenetz durch das ganze Land. In Haparanda beginnt der Cykelspåret langs ostkusten, einem Fernradwanderweg von Haparanda im Norden bis Ystad ganz im Spüden Schwedens. Diese Route ist zwar wesentlich länger - ingesamt rund 2400 km - als die Verbindung auf den Hauptstraßen, dafür aber auf Nebenwegen und vorbei an zahlreichen Sehenswürdigkeiten. Ich habe mir vorgenommen, diesem Radweg weitgehend zu folgen. Wälder mit dem Lärm von Lastwagen und Wohnmobilen im Ohr hatte ich jetzt genug. Wälder sind ja okay, wenn man sie nicht nur sieht, sondern auch hört und riecht. Das Problem mit den Umwegen, die dieser Radweg mit sich bringt, habe ich dann gleich beim Start. Die Wegweisung beginnt direkt an der Grenze. Ich hatte mir einen Schweden-Reiseführer als eBook heruntergeladen und als eine Sehenswürdigkeit in der Umgebung von Haparanda sind dort Stromschnellen mit einem Fischereimuseum bei Kukkola angegeben, was ich aber für mich verworfen hatte. Führt der Radweg dann nicht als erstes gleich zu diesen Stromschnellen? 15km Richtung Norden, erst einmal weg von meinem nächsten Ziel.
Dieses liegt nämlich in Töre, ca. 80 km von Haparanda entfernt - gerader Weg. Töre hat für mich, aber auch für viele Segler eine besondere Bedeutung, denn hier liegt der nördlichste Punkt der Ostsee. Meine Wendemarke, von jetzt an geht es in südliche Richtung und damit wieder nach Hause. Zum Thema Norden: Heute, am 09.07. ist hier um 01.56 Uhr Sonnenaufgang und um 23.14 Uhr Sonnenuntergang. Mitternachtsonne gibt's hier also nicht, Dunkelheit aber auch nicht. Zum Polarkreis fehlen mir noch ein paar Kilometer. Und heute bin ich auch an dem Abzweiger Richtung Nordkap vorbeigekommen: 799km - gerade man eine Woche mit dem Rad, aber die Zeit habe ich jetzt nicht mehr...
Obwohl ich in Finnland kurz vor der Grenze noch eine Hinweistafel gesehen habe, dass ich mich jetzt in Lappland und damit im Rentierzuchgebiet befinde, habe ich natürlich weder dort noch hier in Schweden Rentiere gesehen. Dazu muss man dann wohl doch noch ein Stück weiter in den Norden. Auch die Elche verstecken sich mit viel Erfolg vor mir. Im Zick-Zack-Kurs, dem Cykelsparet folgend, arbeite ich mich weiter Richtung Stockholm in den Süden. Viel schwedische Bilderbuchlandschaft und Dorfidylle, Städte, die - außer einem Campingplatz - nichts haben, was zum Bleiben animiert und ich sehe Seen, Ostsee und Schären! Zwar stehen auch hier an den Ufern viele Häuser, Aber es gibt aber auch zahlreiche öffentlich zugängliche Stellen.
Noch ein Wort zum Wetter. Es ist unerträglich! Unerträglich heiß. Jeden Tag. Dauersonnenschein von morgens bis abends und Temperaturen, die in der Sonne schon mal an die 40 Grad heranreichen können. Wenn ich auf die Wetterprognose schaue, ist es für die ganze kommende Woche immer das gleiche Bild. Nur heute zogen einmal Gewitterwolken auf, es donnerte - und sie zogen an mir vorbei, ohne auch nur kurz einmal die Sonne zu verdecken. Nur mit dem Wind habe ich so meine Last. Irgendwann habe ich mal gesagt, lieber Sonne und Gegenwind, als Regen und Rückenwind. Soweit, so richtig. Aber auf die Dauer nervt das auch. In Finnlands Westküste habe ich mich tagelang gegen den Nordwind vorangearbeitet. Jetzt bin ich auf der anderen Seite des Bottnischen Meerbusens und fahre Richtung Süden - und? Natürlich habe ich jeden Tag einen immer weiter auffrischenden Südwind gegen mich. Bringt immerhin ein bisschen Erfrischung und hält mir die fliegenden Begleiter vom Leib, macht das Fahren aber nicht unbedingt angenehmer und leichter.
Eben noch mit der Wettervorhersage angegeben, wird die Geschichte langsam zum Problem. Ich weiß, dass es auch in Norddeutschland extrem heiß und trocken ist und Mensch, Tier und Natur leiden. Allerdings vermute ich, dass die Lage hier noch ein ganzes Stück extremer ist. Inzwischen kurz vor Stockholm angekommen, sehe ich immer mehr vertrocknete Birken, jetzt aber Bäume, die gut und gern 20 Jahre alt sind. Und in Schweden wüten zahlreiche Waldbrände, die z. T. außer Kontrolle geraten sind, weswegen die schwedische Regierung die EU um Hilfe gebeten hat. Hier in der Gegend herrscht absolutes Grillverbot, selbst an den Feuerstellen auf den Campingplätzen. Ein Problem für die Wohnmobilfahrer. Was soll Vaddern jetzt nach der Ankunft noch anderes machen, als auf Campingstuhl vor dem Auto zu sitzen und Bier zu trinken?
Ganz unschuldig sind die Schweden sicher auch nicht. Von den Kahlschägen hatte ich ja schon berichtet. Anders als in Finnland werden hier hinterher aber nicht die Kronen und Äste der gefällten Bäume weggeräumt und geschreddert, sondern bleiben in der Regel einfach liegen - allerbester Zunder.
Zwar habe ich von den Waldbränden selbst noch nichts mitbekommen, allerdings setzt mir die Hitze inzwischen auch ziemlich zu. Vor ein paar Tagen bin ich durch die landschaftlich sehr schöne Gegend der Höga kusten gekommen. Es ist die höchste Landhebung auf der Erde, d. h. die Erdoberfläche war hier in der letzten Eiszeit durch die Eislast eingedellt (wie heute auch unter Grönland) und noch immer beult sie sich langsam von allein aus. Jedes Jahr hebt sich die Landschaft um einen Zentimeter und hat so um die 300 m Höhe erreicht. Nicht besonders hoch, aber mit vielen kurzen steilen Anstiegen. Und das Thermometer am Lenker zeigt gut und gern mal 40 Grad während der Fahrt an. Da ist man nach 130 km und 1500 Höhenmetern fix und fertig. Für die kommende Woche sind für Stockholm fast jeden Tag Temperaturen von mehr als 30 Grad prognostiziert.
Ich arbeite mich ziemlich zügig in Richtung Süden vorwärts, allerdings sitzt mir bei den langen Strecken auch die Zeit im Nacken. Vor ein paar Tagen erreichte ich aus Norden kommend noch die ersten, noch grünen Getreide- und blühenden Rapsfelder, beginnt hier die Ernte auf den verdorrten Feldern. Die Nächte sind schon wieder recht dunkel und zwischen Sonnenunter- und -aufgang liegen schon mehr als sechs Stunden.
Ansonsten sind die Tage nicht besonders abwechslungsreich. Dörfer und Kleinstädte, gelegentlich auch mal eine größere Stadt, passiere ich in so großer Zahl und meistens auch ohne mich lange aufzuhalten, dass ich die Namen meistens abends schon wieder vergessen habe. Immerhin habe ich jetzt eine sehr genaue Vorstellung von der Ostseeküste entlang des Botnischen Meerbusens. Wenn man auf ein Karte mit dem üblichen großen Maßstab guckt, entdeckt man kaum Ortschaften, tatsächlich ist die Küste so gut wie durchgängig besiedelt, sowohl in Finnland wie auch in Schweden.
Inzwischen zeigt mein Kilometerzähler für diese Tour mehr als 6000 km in ca. 380 Stunden im Sattel (netto) an. Bei dieser Reise wollte ich es einmal wissen. Ich wollte wissen, wie lange halten bestimmte Teile am Rad, die einem normalen Verschleiß unterliegen. Denn klar war ja schon beim Start, dass es die längste Reise werden würde, die ich bisher von der Dauer und der Strecke unternommen habe. Jetzt weiß ich's! Wenn man sich nicht kümmert und sein Rad pfleglich behandelt, ist bei rund 5500 km eine Grenze, an der die Probleme anfangen. Nicht die Tatsache, dass ich bei 5400 km den ersten Platten hatte, das hätte auch jederzeit vorher passieren können. Aber zum einen hatte ich wohl zu wenig Druck auf dem Hinterreifen, 5 bar sollen es schon gern sein, zum anderen hatte ich schon seit einigen Tagen oder Wochen den Hinterreifen im Auge, weil das Profil runter war. Und das nach sieben Wochen bei einem neuen Reifen, der so viel kostet wie ein billiger Reifen für einen Kleinwagen und den Namen "Marathon Mondial Evolution" trägt - da hat man eine etwas andere Erwartungshaltung und aus dem Hause Schwalbe gab es auch mal einen Vorläufer, der deutliche länger hielt. Wahrscheinlich zu lange und die Evolution liegt wohl in den besseren Verkaufszahlen, weil der Verschleiß höher ist. Jedenfalls kam jetzt die Karkasse durch und der Ersatzreifen war nicht umsonst bis hierher in der Packtasche mitgefahren. Ich hätte ja bei 3500 km Vorder- und Hinterreifen einmal umsetzen können, dann wäre ich wohl mit einem Satz hingekommen.
Damit aber nicht genug. Zeitgleich fing auch noch die Kette an, bei bestimmten Gängen, die ich häufig fahre oder bei hohem Druck am Berg, überzuspringen. Auch das nach 5500 km keine Überraschung, man sollte auf eine so lange Reise eine zweite Kette mitnehmen und alle 2000 km wechseln, um einen gleichmäßigen Verscheiß zu sichern. Eine Kette kaufe ich am Ortseingang von Sundsvall. Hier in dieser Großstadt gibt es mehrere Fahradgeschäfte, um eventuellen Folgeproblemen zu begegnen. Die Kette ist schnell gewechselt. Die alte hatte sich um ganze zwei Gliederlängen gedehnt! Aber wie befürchtet, macht die neue Kette das Problem nur wesentlich größer. Weil auch das Ritzelpaket eingelaufen ist, springt die Neue auf fast allen Gängen bei kleinster Belastung über. Inzwischen haben aber alle Geschäfte geschlossen und auf dem Weg zum Campingplatz suche ich noch die beiden Geschäfte, um am nächsten Tag gleich morgens dort aufzutauchen. Das erste ist ein schicker, stylischer Laden mit den neuesten Rädern - solche Läden sind mir suspekt, weil die nur verkaufen wollen. Außerdem hat er in den Sommermonaten erst ab 12.00 Uhr geöffnet. Der zweite Laden ist eine kleine Schrauberwerkstatt für Autos und Fahrräder - und ich habe so meine Zweifel, ob er das richtige Ritzelpaket vorrätig hat. Am nächsten Morgen komme ich dort an. Der Chef schweißt gerade einen Auspuff, lässt aber alles stehen und liegen und kümmert sich um mein Problem. Wie befürchtet, hat er aber kein 9fach-Ritzelpaket am Lager. Zwar traut er seiner eigenen Ordnung und Beschriftung nicht so richtig und öffnet jedes Paket und zählt die Zahnräder nach - nichts zu machen. Telefonate bei Kollegen bleiben auch ohne Ergebnis. Dann kommt die Grabbelkiste zum Einsatz und aus unterschiedlichen - neuen - Teilen wird ein 9fach-Ritzelpaket: "home made", so seine Bezeichnung. Nur die ganz kleinen Gänge fehlen mir jetzt. Noch die Schaltung justieren und dann einen noch fast für einen äußerst fairen Preis entschuldigen. Der Mann und der Laden gefallen mir - Cykel Nisse ist der Name und wenn jemand in Sundsvall ein Problem mit seinem Rad hat, sollte er hierhin gehen.
Normalerweise versuche ich, abends eine Campingplatz zu erreichen. Zwar ist das wild zelten überall erlaubt, ich genieße nach einem langen, heißen Tag auf dem Rad aber auch einfach ein ausgiebige Dusche und einen Tisch und Stuhl zum Abendessen. Immer gelingt das aber nicht und manchmal hat man dann ja auch Glück und findet traumhafte Plätze, die man ganz für sich allein hat.
Diesen Platz an einer Flussmündung hatte ich gefunden, eben weil ich keinen Campingplatz erreichte. Auf dem Weg durch den Wald bin ich dann auch noch an zahlreichen von Bibern gefällten Bäumen vorbeigekommen - natürlich war kein Biber zu Hause. Die flache Ostsee hatte zudem auch noch Badewannentemperatur - was will man mehr. Nur die vielen Steine im flachen Wasser waren beim Baden hinderlich. Aber auch hier: Kein Genuß ohne Reue. Der Hinweg war mühsam, für den Rückweg zur Straße hatte ich einen anderen Weg gefunden, aber auch dort musste ich schieben. Keine hundert Meter von meinem Nachtlager entfernt dann der zweite Platten - eine Heftzwecke (und das hier!) steckte im Mantel des Vorderrades und hatte den Schlauch gleich zweimal durchstochen - und trotzdem hat sich der Aufwand für diesen Platz gelohnt.
Die vorletzte Nacht habe ich mal wieder im Wald verbracht. Die Wälder sind hier unglaublich leise, man hört nicht das leiseste Geräusch. Ich frage mich immer, ob es hier überhaupt Tiere gibt. In dieser Nacht wurde ich allerdings von einem ungewöhnlichen Gräusch geweckt. Es hat tatsächlich entgegen der Prognosen geregnet! Nicht viel, aber immerhin und auch bis in den Morgen. Ich habe mich damit abgefunden, im Zelt gefrühstückt, von innen nach außen abgebaut, damit nur das Außenzelt nass bleibt, und als ich mit allem fertig bin, hört der Regen auf und ich kann auf das Regenezug verzichten. Ist auch gut so, denn die Luft klebt bei der Wärme förmlich. Als ich dann nach 80 km Gamla Uppsala erreiche, braut sich ein Gewitter zusammen, sieht mich und zieht wie alle Gewitter auf dieser Reise (drei - vier) mit ein paar Blitzen und Donnern vorbei. Und der Tag endet wieder mit praller Sonne.
Endlich ein Ruhetag
Am 30.06.18 hatte ich in Helsinki das letzte Mal mein Fahrrad stehen lassen und mich einen Tag bei einer Sightseeing-Tour in der Stadt ein wenig erholt. Das ist jetzt gut drei Wochen her, in denen ich 2654 km rund um den Bottnischen Meerbusen zurückgelegt habe. Allerhöchste Zeit, wieder einmal die Beine baumeln zu lassen und Kraft für den Endspurt der letzten beiden Wochen zu sammeln. Dem Cykelsparet habe ich für ein paar Tage den Rücken zugekehrt und habe mich ein bisschen von der Küste entfernt, weil ich mir gern auch einen Eindruck von Uppsala verschaffen wollte und von dort bin ich dann nach Stockholm gefahren, in einem Hotel direkt im Zentrum untergekommen und habe ein bisschen Touristenprogramm gemacht. Natürlich, wie es sich für einen ordentlichen Touristen gehört, immer mit der Kamera in der Hand. Allerdings mache ich im Gegensatz zu anderen viele Wege dreimal: am Abend, am Morgen und noch einmal in der Nacht, um das richtige Licht für die Fotos zu erwischen - und damit relativiert sich die Geschichte mit den baumelnden Beinen schon wieder deutlich.
Uppsala hat auf den ersten Blick einen sehr schönen Eindruck auf mich gemacht mit einer tollen Atmospäre in der Stadt, auch wenn ich immer wieder überrascht bin, wie ausgestorben die Städte hier oft wirken (für einen zweiten Blick war keine Zeit). Das mag sicher mit der Hauptferien- und -urlaubszeit zusammenhängen, wohl aber auch mit der Hitze, die wie Blei auf dem Land liegt. Heute sagte mir eine Stockholmerin, es soll der heißeste Sommer in Schweden seit 226 Jahren sein - und ich mitten drin.
Wir feiern uns in und um Schleswig und umgebung ja gern für unsere Wikingervergangenheit. Gibt's hier auch, nur viel mehr.
Allein im Park vor der der Universität von Uppsala stehen cirka zehn aufwändig gestaltete Original-Runensteine. Manchmal stehen sie auch nur einfach in der Landschaft rum. Einer an der Straße und einen habe mitten in einem Getreidefeld entdeckt - es ist also alles wie immer sehr relativ mit den historischen Besonderheiten und was man draus macht.
Ähnlich wie die meisten Städte, durch die ich hier in Skandinavien gekommen bin, ist auch Stockholm bestens auf Radfahrer eingerichtet. Nicht ganz so perfekt wie Helsinki, aber man kann sich auch hier ganz entspannt mit dem Rad in der Großstadt bewegen. Die Wegweisung ins Zentrum beginnt knapp 30 km vorher. Obwohl ich vor ein paar Jahren schon einmal hier war, ist ein Tag natürlich viel zu wenig, bei vielen Möglichkeiten, die diese Stadt bietet. Aber da ist es wieder, mein übliches Problem mit der Zeit...
Wie schon erwähnt, Touristenprogramm ist angesagt. Königspalast, Reichstagsgebäude, Vasa-Museum, Rathaus, Rundfahrt mit dem Schiff durch die Hauptstadt - bei der ich prompt eingeschlafen bin - und einfach bisschen gucken und es mir gut gehen lassen. Und, nein, ich habe mir kein Tretboot gemietet, um damit die Sehenswürdigkeiten der Innenstadt vom Wasser aus zu erkunden. Wäre wohl irgendwie kontraproduktiv...
Heute in zwei Wochen sollte ich gern wieder in meinem Büro sitzen, dann ist der Urlaub zu Ende. Dazwischen liegen noch gut und gern 1300 km Strecke, wenn ich denn bis zum Südzipfel Schwedens durchfahre und dann über die dänischen Inseln nach Hause radle. Also noch ein heißer Ritt und kein Grund langsam austrudeln zu lassen. Es gibt zwar noch immer die Möglichkeit, von hier oder unterwegs quer rüber Richtung Kopenhagen zu fahren, aber es hat auch etwas mit sportlichem Ehrgeiz zu tun, die Runde vollständig zu absolvieren. Mal sehen, ob die Beine die Pause honorieren. Ab und zu höre ich den Ratschlag, ich könne doch auch mal ein Stück die Bahn nehmen, aber...
Wie es mir dabei ergeht, werdet ihr wie immer hier erfahren.
Während ich diesen Bericht schreibe, genieße ich die schönste Aussicht aus dem Rezeptions- und Restaurantgebäudes des hiesigen Campingplatzes auf den schmalen Ostseefjord bei Valdemarsvik, die man sich vorstellen kann. Allerdings will sich der Genuss nicht so richtig bei mir einstellen, weil ich hier wider Willen sitze, aber mein Fahrrad wollte es wieder einmal anders. Denn eigentlich wollte ich bei Temperaturen um 30 Grad im Schatten (in der Sonne steigen sie auch gern mal über 50 Grad) unterwegs sein und literweise Wasser durch die Poren treiben.
Ich hatte ja berichtet, dass bei 5400 km die Pannenserie an meinem Rad begann, die jetzt bei 6400 km noch einmal einen Tiefpunkt erreicht hat. Trotz der Wärme, an die sich der Körper ganz gut gewöhnt hat, wenn er denn genug Flüssigkeit bekommt, kam ich nach Stockholm ganz zügig Richtung Süden vorwärts. Küste und vor allem die Ortschaften sind abwechslungsreich und vor allem die Kleinstädte entsprechen noch viel mehr den Schweden-Bilderbuch-Klischees als im Norden.
Frisch gestärkt habe ich Söderköping verlassen und bin ganz guter Dinge, noch ein schönes Stück zu schaffen, denn so langsam habe ich jeden Tag die Reststrecke im Hinterkopf und rechne, wie lange ich noch gebrauche und wie lang die einzelnen Etappen dafür sein müssen. Dann, nach zehn Kilometern, irgendwo im Nichts bei einer schnellen Bergabfahrt, plötzlich ein lautes Knacken und Scheppern von der Kette und dem Hinterrad und von jetzt auf sofort geht erst einmal nichts mehr. Kurzzeitig hatte ich ähnliche Probleme schon vorher, konnte sie aber nicht einordnen und auch nicht die Ursache feststellen. Jetzt wird aber schnell klar, dass der Freilauf des Hinterrades seinen Geist aufgegeben hat. Ausgerechnet der! Denn dieser war das einzige Teil, das ich nach der letzten Reise in einer Flensburger Fachwerkstatt für so viel Geld habe austauschen lassen, dass ich dafür auch ein neues Hinterrad bekommen hätte, weil es am Ende der Namibia-Tour verdächtige Geräusche von sich gab und ich mangels Spezialwerkzeug die Reparatur nicht selbst ausführen konnte. Und jetzt ist eines der neuesten Teile am Rad am Ende und ich etwa 40 km vom nächsten größeren Ort entfernt. Schieben geht nicht. Nach ein bisschen Probieren finde ich die einzige Möglichkeit heraus, weiter zu kommen: Dauertreten, immer mit Druck auch der Kette und nicht den kleinsten Moment rollen lassen. Das geht, kostet aber sehr viel Kraft und Konzentration. Ich bin nur am hin und her schalten, damit immer ein Gang drauf ist, der schwer genug geht. Bergab heißt bremsen und treten gleichzeitig, damit der Druck auf der Kette bleibt. Losfahren und Anhalten sind noch einmal besondere Herausforderungen. Immerhin, die 40 km bis Valdemarsvik habe ich auf diese Weise relativ problemlos geschafft. Google kennt hier zwar keine Fahrradwerkstatt, aber auch dem Campingplatz weiß man es besser. Im Ort soll es einen Fahrradladen mit einer guten Werkstatt geben. Meine Hoffnung für den nächsten Tag, um nicht noch einmal 40 km bis Vestervik fahren zu müssen.
Pünktlich zur Geschäftsöffnung stehe ich bei "Hallings" vor der Tür, ein Laden mit allen möglichen Haushaltsartikeln, aber auch einer größeren Auswahl an Fahrrädern und Ersatzteilen. Allerdings
hat der Mechaniker heute frei und auch auf telefonische Nachfrage, hat er nicht vor, noch in die Werkstatt zu kommen. Die Inhaberin und der Sohn sind zwar sehr bemüht, haben aber keine Ahnung.
Eine Suche in der Werkstatt nach dem richtigen Ersatzteil bleibt ohne Erfolg und auch bei den alten Fahrrädern und Hinterrädern ist nichts dabei, was zu meinem Rad passen will. Sie überlassen mir
die Werkstatt und auch die gebrauchten Teile und ich versuche mein Glück. Allerdings ist die Werkstatt vom Spezialwerkzeug her auch nicht besser ausgestattet als mein Gartenhaus, und so gebe ich
schließlich schon beim Versuch der Demontage auf. Die einzige
Chance, die ich sehe und auch schon vorher in Betracht gezogen hatte, ist ein neues Hinterrad. Das muss aber auch bestellt werden und kommt erst morgen mit der Post.
So komme ich zu einem ungewollten Tag hitzefrei, was an sich nichts Schlechtes ist, allerdings schmilzt wie das Softeis in diesem südschwedischen Backofen mein Zeitpolster und die nächsten Tage werden nur umso länger. Die Möglichkeiten, abzukürzen, sind inzwischen auch deutlich reduziert. Alles noch kein Problem, aber allzuviel darf jetzt nicht mehr dazwischen kommen.
Die Probleme mit meinem Rad nerven. Auch wenn ich auf der Reise immer nur die nötigsten Reparaturen und Pflegemaßnahme aufwende, wird es nach jeder Reise komplett zerlegt, gründlich gereinigt und alles, was irgendwie verschlissen aussieht, ersetzt. Aber inzwischen hat das Rad ca. 40.000 km auf dem Kilometerzähler, davon die meisten mit schwerem Gepäck und sehr viele auf übelsten Schotterpisten. Scheinbar ist damit die Grenze des sorglosen Radelns erreicht und ich werde mich nach der Tour mal nach etwas Neuem umsehen. Ich habe da schon so eine Idee, was es werden könnte... Und eines ist sicher: einen Elektromotor wird es nicht haben!
Einen Tag zum Ausruhen und Entspannen ist ja ganz schön, aber wenn man wie auf Kohlen sitzt, ob der erlösende Anruf kommt, dass das Ersatzrad angekommen ist, will sich die keine echte Ruhephase einstellen. Das Problem ist nämlich, dass das Rad am Freitag kommen soll. Sonnabends stellt die Post nicht zu und dann wäre ich hier ein ganzes Wochenende hier festgenagelt. Aber gegen 12.30 Uhr kommt der erlösende Anruf, dass das Ersatzteil da ist und 20 Minuten später steht der Junior des Hauses Halling auf dem Campingplatz und holt mich ab. Der Mechaniker ist auch heute nicht da und so lege ich wieder selbst Hand an und in einer halben Stunde ist das Rad wieder komplett. Es gibt noch einen Kaffee und Keks, ich bezahle nur den Preis für das Hinterrad und um 14.00 Uhr trete mich meine 110 km-Etappe bis in die Nacht an.
Es ist in Schweden erlaubt, dass man überall zelten darf. Nicht nur wegen der Dusche nach einer langen Tour, sondern auch weil die Brandgefahr durch die Dürre hier inzwischen so extrem ist, dass jegliches offene Feuer im Freien verboten ist - ausdrücklich auch Gas- und Benzinkocher. Wie soll ich da zu meinem Kaffee am Morgen kommen, ohne den nicht viel geht. Und nicht nur aus Prinzip, sondern besonders in diesem Fall aus Überzeugung setze ich mich über dieses Verbot nicht hinweg.
Allerdings ist es in der Nacht in einer Gegend, in der es ohnehin wenige Campingplätze gibt, nicht so einfach einen zu finden. Ich habe Glück und lande um 22.30 Uhr bei fast vollständiger Dunkelheit - es ist die Nacht der Mondfinsternis - auf einem kleine "Naturcampingplatz". Woran erkennt man, dass ein Campingplatz in Schweden von Deutschen geführt wird? Alles besonders ordentlich und korrekt? Weit gefehlt. Sauberkeit sieht anders aus und der Preis von umgerechnet 20 Euro liegt am oberen Ende der Skala dessen, was bisher auf der Tour üblich war, wobei die Gegenleistung in einem krassen Missverhältnis steht. Nein, man erkennt es daran, dass man gefragt wird, ob man nicht bar bezahlen könne - bei Kartenzahlung gibt es einen Aufschlag von 10%! Einmalig auf der ganzen Tour! Und das in Skandinavien, wo auch kleinste Beträge ganz selbstverständlich mit Karte bezahlt werden und es Geschäfte gibt, die kein Bargeld mehr annehmen. Ich habe nicht genug Bargeld bei mir, weil auch mich inzwischen auf die Kartenzahlung eingestellt habe. Aber um diese Uhrzeit und in dieser Gegend ist man in einer ganz schlechten Verhandlungsposition.
Andererseits hat es auch seinen Reiz, in der Dämmerung oder Dunkelheit über Schotterpisten durch den Wald zu fahren. Endlich gekomme ich auch einmal Tiere zu sehen. Rothirsche, einen Dachs und andere - natürlich nur keinen Elch.
Der selbst auferlegte Zeitdruck ist inzwischen ziemlich groß und so komme ich kaum dazu, mir Landschaft, Sehenswürdigkeiten oder Orte anzusehen. Oft fahre ich einfach nur durch oder esse etwas und dann geht's auch schon weiter. Nach wie vor ist es entweder extrem heiß oder so schwül, dass alles am Leib klebt.
Die Freude über das neue Hinterrad hat dabei ganze zwei Tage angedauert. Ich war wegen einer sehr angeregten Unterhaltung beim Frühstück auf einem dieser sehr großen und turbulenten Campingplätze hier im Süden erst spät losgekommen. Also Gas geben und Kilometer wett machen. Nach 30 km ein leises, metallische "Ping" am Hinterrad. Mir war irgendwie gleich klar, was passiert war, weil ich die ganze Zeit genau diese Befrüchtung hatte: eine Speiche an dem neuen Hinterrad war gerissen. Ich hatte beim Kauf nun einmal keine Wahl und musste nehmen, was schnell lieferbar war und bei nicht so hochwertigen Rädern sind nun einmal die Speichen ein Schwachpunkt, gerade bei der Belastung, die mein Rad aushalten muss. Und natürlich auf der Seite, auf der das Ritzelpaket sitzt. Speichen reißen immer am Hinterrad und immer am Ritzelpaket. Alles andere wäre ja viel zu einfach. Das Rad lief noch ganz gut im Kurs und weil ich keine Lust hatte, es auf der Straße zu zerlegen und meine Sachen auszubreiten, habe ich die Speiche erst einmal abgekniffen und die Reparatur auf den Abend verschoben. Ging auch ganz gut - bis Kilometer 100, dann der zweite Speichenbruch. 10 Jahre bin ich dieses Rad ohne einen einzigen Speichenbruch gefahren und jetzt gleich zwei auf ebener Piste an einem Tag. Jetzt also doch auf der Straße reparieren. Glücklicherweise passten Speichen aus meinem Sortiment, das ich seit 10 Jahren durch die Welt fahre und auch mein kleiner aber feiner Ritzelpaketabzieher hat sich hervorragend bewährt - ein Teil, das ich einmal für viel Geld auf Empfehlung eines Amerikaners gekauft, aber noch nie eingesetzt hatte.
Und so wird es wieder sehr spät. Um 20.00 Uhr kann ich meine Fahrt fortsetzen. Glücklicherweise haben hier einige Supermärkte auch am Sonntag bis 22.00 Uhr geöffnet und so bekomme ich noch etwas zu Essen und finde in Ronneby Hamn auch einen kleinen, tollen Campingplatz, der vom örtlichen Handballverein betrieben wird und an dem sich die großen, kommerziellen in Sachen Sauberkeit, Komfort und Freundlichkeit sehr viel abgucken könnten.
Heute dann endlich mal wieder ein Tag ohne Pleiten, Pech und Pannen. Von Ronneby Hamn fahre ich jetzt auf geradem Weg in Richtung Helsingborg, um von dort mit der Fähre nach Dänemark überzusetzen. Ein kleines Stück der Südspitze Schwedens muss ich abschneiden, will aber von Ystad aus nicht wieder so weit Richtung Norden fahren. Nach einer inzwischen fast üblichen Tagesetappe von 140 km und 1000 Höhenmetern komme ich nahe Hässleholm unter. Hässleholm hat für mich deswegen einen besonderen Reiz, weil es die Partnerstadt von Eckernförde ist und ich als Jungendlicher hier zweimal mit den Wasserfreunden Eckernförde zu Schwimmwettkämpfen beim örtlichen Schwimmverein war. Bis auf die Schwimmhalle habe ich allerdings nichts wiedererkannt - ist ja schließlich auch schon mehr als 40 Jahre her. Und die Interessen waren damals auch andere - sie waren ein paar Jahre älter als ich / wir und interessierten sich für uns damals überhaupt nicht, da wir aus deren Sicht viel zu jung waren. Wenn sie mir heute wieder über den Weg gelaufen wären (niemand hätte den anderen erkannt), sähe es vermutlich aus meiner Sicht genau anders herum aus.
Der Routenplaner von Google Maps sagt, dass ich Schweden nach weiteren 77 km von Helsingborg in Richtung Helsingör in Dänemark verlassen werde.
Schweden war für mich über weite Strecken ein Wettlauf gegen den Kalender, denn in sechs Tagen soll ich gern wieder am westlichsten Zipfel der Ostsee, in der Nähe der Flensburger Hafenspitze, in meinem Büro sitzen und der sportliche Ehrgeiz lässt es nun einmal nich zu, öffentliche Verkehrsmittel zu nehmen oder weite Strecken abzukürzen - jetzt will ich auch tatsächlich ganz um die Ostsee fahren. Deswegen habe ich vieles von den Orten und der Natur nicht gesehen, obwohl ich direkt daran vorbei- oder durchgefahren bin. Dazu sind zehn Wochen für so ein Tour einfach zu wenig Zeit.
Auch wenn ich gern behaupte, dass dort, wo ich im Urlaub bin, gutes Wetter ist, möchte ich für die Hitze und die damit verbundene Dürre in weiten Gebieten dieser Reise nicht verantwortlich gemacht werden. Sonst kommt noch einer auf die Idee und behauptet, ich hinterlasse in Schweden verbrannte Erde. Waldbrände habe ich nicht gesehen, aber eine derartige Dürre in diesen oder unseren Breitengraden auch noch nicht. Waren es erst noch einzelne, kleine Bäume, die vertrocknet waren, sind es hier gerade in Smaland ganze Landstriche und auch alte Bäume, die komplett braun und vertrocknet sind. Und noch immer ist kein Regen in Sicht. Das ist nicht mehr schön!
Ab morgen gehe ich dann auf die Zielgerade in Dänemark. Die neunte Grenze, das neunte Land auf dieser Reise - und auch darüber werde ich hier berichten.