Südwärts Richtung Gibraltar

Und immer noch Corona! Schon die Reise im vergangenen Jahr stand ganz im Zeichen der Pandemie und hat mich einmal um Deutschland geführt. Zwischenzeitlich sinkende Inzidenzen ließen die Hoffnung auf eine Rückkehr zur Normalität und Unbeschwertheit - auch beim Reisen - aufkommen. Aber Delta-Variante und neue Hochrisikogebiete schränken erneut deutlich ein. Und so habe ich lange geschwankt zwischen den niedrigen Infektionszahlen Osteuropas und der Aussicht auf besseres Wetter und angenehmere Temperaturen im nahenden Herbst in Südeuropa. Die Entscheidung ist zugunsten des Wetters gefallen und so hoffe ich, dass meine Pläne, entlang der Nordsee- und der Atlantikküste an die Südspitze Europas auf der Iberischen Halbinsel zu radeln, nicht durch erneute, weitergehende Einschränkungen durchkreuzt werden. 

Mein Büro ist geräumt, der Nachfolger hat meine Stelle übernommen und so kann ich erstmals ohne Zeitdruck die Freiheiten des angehenden Pensionslebens genießen, denn der nächste Termin steht erst im November im Kalender (ein Reisevortrag in Kronshagen). Mal sehen wie weit ich komme und ob ich es schaffe, mir tatsächlich mehr Zeit zu nehmen für das, was mir unterwegs begegnet. Wie immer seid ihr herzlich eingeladen mich hier zu begleiten.

 

 

Aller Anfang ist schwer


Über allem schwebt noch immer das Thema Corona. Nicht nur bei der Wahl des Reiseziels, sondern auch in den ersten Tagen der Tour. Nein, nicht das ich Sorge wegen einer möglichen Infektion hätte. Aber wie viel hat jeder Deutsche in der Zeit der Pandemie durchschnittlich an Gewicht zugelegt? Ich kenne nicht die genaue Zahl, bin aber wahrscheinlich durchaus repräsentativ. Also (zumindest in den ersten Wochen) noch mehr Gewicht mit Muskelkraft bewegen und das bei einer Kondition, die auch sehr zu Wünschen übrig lässt. Dazu kommen die üblichen Muskelkrämpfe in den ersten Nächten und vom schmerzenden Hinterteil will ich hier überhaupt nicht erst anfangen. 

Gern folge ich ja sonst der Küste. Allerdings bin ich die deutsche Nord- und Ostseeküste bei meinen letzten Reisen entlanggeradelt - und so spannend ist die Nordseeküste nun auch wieder nicht. Also nehme ich erst einmal bis nach Hamburg einen historischen Weg, der quasi direkt bei mir an der Haustür vorbeiführt: Aus Jütland kommend erstreckt sich der Ochsenweg bis nach Hamburg und ist durchgängig als Radwanderweg markiert.


 

Ganz unmissverständlich: Hier bin ich richtig
Ganz unmissverständlich: Hier bin ich richtig
Nicht überall ist die Markierung der Strecke so eindeutig
Nicht überall ist die Markierung der Strecke so eindeutig
Und richtig gut ausgebaut ist sie auch nicht überall - die Geest hat viele sandige Abschnitte
Und richtig gut ausgebaut ist sie auch nicht überall - die Geest hat viele sandige Abschnitte


Das der mittlere Bereich Schleswig-Holsteins abseits der Küsten touristisch nicht besonders gut erschlossen ist, merke ich spätestens bei der Suche nach einem Campingplatz, die hier echte Mangelware sind, und so muss ich dann bis an die Elbe durchziehen, um nach 130 km bei Kollmar auf vom Regen aufgeweichten Marschboden mein Zelt aufzuschlagen (Hinweis vom Zeltplatzwart: Auf den Wegen gehen, der Rasen ist zu matschig! Na, vielen Dank...)

Der kurze Weg wäre die Fähre von Glückstadt nach Wischhafen. Aber ich möchte durch Hamburg und durch den alten Elbtunnel. Deswegen ein "kleiner" Umweg durch die Hansestadt. Nördlich der Elbe ist ja alles schick. Wedel, Blankenese, Elbchaussee, Landungsbrücken... Südlich der Elbe ist es dagegen eine echte Herausforderung, sich in den riesigen Industriegebieten ins Alte Land durchzuschlängeln - Verbote für Radfahrer, Straßen- und Brückensperrungen wegen Bauarbeiten und eine irreführende Wegweisung kosteten sehr viel Zeit und Kilometer - kein Spaß!



Das Herz der Hansestadt
Das Herz der Hansestadt
...und einer muss ja die Arbeit machen
...und einer muss ja die Arbeit machen
Hamburg ist bunt - gefällt aber nicht jedem (Hafenstraße bei den Landungsbrücken)
Hamburg ist bunt - gefällt aber nicht jedem (Hafenstraße bei den Landungsbrücken)
Eine Möglichkeit mit dem Rad über die Elbe zu gelagen - einfach mal in die Unterwelt abtauchen
Eine Möglichkeit mit dem Rad über die Elbe zu gelagen - einfach mal in die Unterwelt abtauchen
Die eine Tunnelröhre ist schon fertig saniert - und richtig schick!
Die eine Tunnelröhre ist schon fertig saniert - und richtig schick!


Der Plan war, mir die schönen Orte im Alten Land anzusehen. Der Regen machte mir allerdings einen dicken Strich durch diese Planung, denn bei grauem Himmel und Regen mit dem dauernden Wechsel von Regenzeug an- und wieder ausziehen, verlieren auch diese gepflegten, vom Obstanbau dominierten Städte und Dörfer ihren Reiz und ich suche den nächsten heruntergekommenen Campingplatz in der Nähe von Jork auf. Standard und Einrichtung der 70er Jahre haben sich auf vielen kleinen Campingplätzen unverfälscht erhalten. Schon leicht genervt geht's von hier auf dem kürzesten Weg nach und durch Bremen - und diesmal gegen meine Gewohnheit nicht mit Karte, sondern ich lasse mich von Komoot navigieren und komme auf perfektem Weg bis ins Zentrum und wieder raus - auf den nächsten dieser besagten Campingplätze mit dem kleinen Plus der Nähe zu gleich zwei Autobahnen mit ihrem beruhigenden und einschläfernden Dauerrauschen.



Nicht Holland und doch eine Windmühle - mitten in Bremen
Nicht Holland und doch eine Windmühle - mitten in Bremen
Die Bremer Stadtmusikanten - diesmal mit gleich zwei Eseln
Die Bremer Stadtmusikanten - diesmal mit gleich zwei Eseln
Die Bremer Innenstadt hat noch so viel mehr zu bieten als nur das Rathaus, aber wieder einmal drückt die Zeit, wenn ich noch einen Campingplatz erreichen möchte
Die Bremer Innenstadt hat noch so viel mehr zu bieten als nur das Rathaus, aber wieder einmal drückt die Zeit, wenn ich noch einen Campingplatz erreichen möchte
Hier wird's mit dem voll beladenen Fahrrad richtig eng - und dabei sind noch nicht einmal so viele Menschen da
Hier wird's mit dem voll beladenen Fahrrad richtig eng - und dabei sind noch nicht einmal so viele Menschen da


Was dann folgte, war ein langer Ritt von Bremen Stuhr nach Weener bei Leer über Delmenhorst, Oldenburg, Bad Zwischenahn, ohne diese Orte besucht zu haben. Immerhin haben die Schauer nachgelassen und flach ist die Strecke ohnehin bisher immer gewesen (was den untrainierten Beinen sehr entgegen kommt - der Wind kommt allerdings auch meistens entgegen). Ein kurzer Abstecher in die sehr schöne Innenstadt von Leer und die letzte Nacht auf einem deutschen Campingplatz. Es bleibt die Hoffnung, dass es in den Niederlanden besser wird, denn dort wurde das Camping doch wohl erfunden...



Willkommen im Land der Radfahrer

Fietsen ist Lebensstil und die Infrastruktur ein Traum


Manche Dinge entsprechen so jedem Klischee, dass man kaum glauben mag, dass es nicht für Touristen gemacht ist. Direkt an dem kleinen Grenzübergang für Fußgänger und Radfahrer begegne ich einem älteren Holländer - mit Fahrrad und Holzschuhen. Ich bin in den Niederlanden! Die Landschaft ist so bretteben, dass ich mir nicht erklären kann, wie am Ende des Tages nach 130km fast 120 Höhenmeter zustande gekommen sind. Über so viele Deiche bin ich doch nicht gekommen, müssen wohl Luftdruckschwankungen sein!

So flach, dass man seinen eigenen Hinterkopf sehen kann
So flach, dass man seinen eigenen Hinterkopf sehen kann
Dünn besiedelt und jede Menge moderner Landwirtschaft - ist das jetzt eine Monokultur?
Dünn besiedelt und jede Menge moderner Landwirtschaft - ist das jetzt eine Monokultur?
Niederländische Radwege sind ein Traum, nicht nur wenn sie wie hier abseits der Hauptstraßen geführt werden
Niederländische Radwege sind ein Traum, nicht nur wenn sie wie hier abseits der Hauptstraßen geführt werden


Hier in den Niederlanden habe ich auch endlich den ersten Tag ohne Regen. Angenehme Temperaturen locken auch die Niederländer aus den Häusern. Die erste Stadt, die ich ein bisschen näher erkunden wollte, war Groningen. Aber das Gedränge ist so groß, dass ich Mühe habe, mit dem Rad durch die Innenstadt zu schieben. Und die Straßencafés und Restaurant sind zum Bersten gefüllt, als habe es nie Corona gegeben. Masken sieht man hier nirgends. Deswegen nur ein paar schnelle Fotos, am Stadtrand ein kleiner Imbiss und weiter geht's Richtung Drachten auf dem Weg nach Amsterdam.

Groningen mit seinen vielen Kanälen und Grachten, Haus-, Sport- und Handelsschiffen hat offenkundig viel zu bieten - und sehr viele nutzen das Angebot ein diesem schönen Tag
Groningen mit seinen vielen Kanälen und Grachten, Haus-, Sport- und Handelsschiffen hat offenkundig viel zu bieten - und sehr viele nutzen das Angebot ein diesem schönen Tag
Groningen kann aber nicht nur traditionell sondern auch hochmodern
Groningen kann aber nicht nur traditionell sondern auch hochmodern
Und sie sind nun wirklich allgegenwärtig - die Wasserläufe und die Windmühlen, typisch Holland eben (fast wie in Friedrichstadt nur in echt und in groß)
Und sie sind nun wirklich allgegenwärtig - die Wasserläufe und die Windmühlen, typisch Holland eben (fast wie in Friedrichstadt nur in echt und in groß)


Wetter und Campingplätze waren ja bisher das beherrschende Thema. Das gute Wetter in den Niederlanden hat genau den ersten Tag gehalten, was die Wettervorhersage dann im Köcher hatte, war alles andere als witzig: Dauerregen beginnend in der Nacht bis in den kommenden Abend. Ein guter Grund, einmal von dem Luxus Zeit Gebrauch zu machen und nach ca. 600km den ersten ungeplanten Ruhetag einzulegen - im Zelt. Zum Ausgleich soll dafür morgen den ganzen Tag die Sonne scheinen. 

Nun aber zum Campingplatz: Der erste Platz, den ich bei Google Maps gefunden hatte, existierte nie. Da ich wieder einmal spät unterwegs war, hatte ich auch keine große Auswahl mehr und musste nehmen was kam. Erstmal zum Positiven: Die Sanitäreinrichtungen sind schlicht, aber neu und gepflegt. Auf dem "Platz" bin ich der einzige mit einem Zelt - allerdings sind auch keine Wohnwagen da. Rundherum wird an Hütten gewerkelt und es liegen Baumaschinen und -material herum und der "Rasen" war heute Morgen eine Seenlandschaft. Jetzt verstehe ich die Sache mit den Holzpantinen: Sie schwimmen bei den Wassermassen, die in dem Marschboden nicht versichern wollen und gegenüber meinen Sandalen haben sie den Vorteil, dass die Füße trocken bleiben. 

Soweit von den ersten Kilometern und ich hoffe, dass die Gelegenheit zum nächsten Bericht nicht wieder einer Regenpause im Zelt zu verdanken ist.

Sieht doch ganz nett aus...
Sieht doch ganz nett aus...
...aber nur auf den ersten Blick
...aber nur auf den ersten Blick
Darum!
Darum!

Die Niederlande und ihre Klischees

Den Regentag hatte ich ja ganz gut überstanden und mich wieder auf den Weg Richtung Süden gemacht - und es bleibt bretteben. Auf dem ganzen Weg durch die Niederlande habe ich nichts gesehen, was die Bezeichnung Hügel gerechtfertigt hätte. Mein Plan war eigentlich, den Abschlussdeich zu fahren, der das Ijsselmeer von der Nordsee trennt. Da dort aber in diesem und im nächsten Jahr gebaut wird, ist er für Radfahrer gesperrt, es gibt aber einen Shuttle-Bus, mit dem man rüber gebracht werden kann. Darauf verzichte ich und nehme lieber die Fähre von Stavoren nach Enkhuizen.

Manchmal bekommt man ungefragt Hilfe, auf die man gern verzichtet hätte. Die Fähre ab Stavoren habe ich am Abend nicht mehr erreicht und bin auch sonst ziemlich spät dran. Deswegen in einem türkischen Supermarkt - den Lidl-Markt gegenüber hatte ich übersehen - noch schnell etwas für das Frühstück kaufen und weil die Gelegenheit günstig ist, auch noch schnell eine "Drehspießspezialität" zum Abendessen. Während ich draußen esse, werde ich von einem älteren Niederländer angesprochen, der etwas über meine Tour erfahren möchte, was sich allerdings schwierig gestaltet, da wir sprachlich nicht zueinander finden und auch die Gruppe junger Türken kann nicht mit Englischkenntnissen aushelfen. Auf jeden Fall ist man sich einig, dass mir bei der Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit geholfen werden müsste, obwohl ich mir auf der Karte einen Campingplatz in gut drei Kilometern Entfernung ausgeguckt hatte. Mir wird ein anderer Platz vorgeschlagen und der Niederländer fährt mit seinem Auto voraus, um mich dorthin zu begleiten. Der Campingplatz auf einem Bauernhof ist bis auf einigen tausend Nacktschnecken völlig in Ordnung, nur mit einer 6-km-Tempofahrt hinter einem alten Audi verbunden - und am nächsten Tag stellte sich heraus, dass es zur Fähre etwa zehn Kilometer Umweg waren - herzlichen Dank dafür!

Enkhuizen am Ijsselmeer ist der Traum einer holländischen Kleinstadt
Enkhuizen am Ijsselmeer ist der Traum einer holländischen Kleinstadt
Mehr Idylle geht kaum
Mehr Idylle geht kaum


Kurz vor Amsterdam komme ich dann durch Edam - klar, die Käsestadt. Die Begegnung vor Edam mit einem Pferdewagen mit ein paar Milchkannen befördert, ist dann schon fast zu viel vom Hollandklischee. Nein, ich glaube nicht, dass bei der hochmodernen und auf Effizienz getrimmten niederländischen Landwirschaft, wie ich sie bisher gesehen habe, der Käse aus kleinen Familienbetrieben kommt...

Der wurde bestimmt extra angeheuert
Der wurde bestimmt extra angeheuert
Hier ist alles Käse
Hier ist alles Käse
Wie man unschwer erkennt
Wie man unschwer erkennt
Jaja, so wird hier die Milch bis heute angeliefert
Jaja, so wird hier die Milch bis heute angeliefert


Mein Ziel ist aber Amsterdam. Die Fahrradhauptstadt will ich mir einen Tag näher ansehen und finde nur zwei Kilometer vom Zentrum entfernt einen gepflegten Campingplatz. Der Platz ist okay, aber einige der Mitcamper sind offenkundig nur hier, um die Freiheit des Kiffens auszukosten. Morgens kommt gleichzeitig mit mir gegenüber jemand aus seinem Zelt und hat schon den Joint zwischen den Lippen, und beim Frühstück sitzt auch einer und verpestet die Luft mit dem Cannabisrauch. Auf meinen Einwand, dass es fürchterlich stinkt und er in diesem Gemeinschaftsbereich etwas mehr Rücksicht auf die anderen nehmen sollte, mein er nur: "We are in Amsterdam und there is smoking allowed!" Fertig war er mit mir. 

Eine der Attraktionen Amsterdams sind die zahlreichen Coffeeshops
Eine der Attraktionen Amsterdams sind die zahlreichen Coffeeshops


Ich kann nicht sagen, dass Amsterdam mich wirklich begeistert hat, was allerdings nichts mit den allgegenwärtigen Kiffern zu tun hat.Klar, die Grachten, die gepflegten Häuser, Bootshäuser - alles schick, aber nichts, was mich vom Hocker gerissen hätte. Hier in Amsterdam kommt an Fahrradinfrastruktur noch einmal alles zusammen, was die Niederlande so zu bieten haben. Mehr geht wohl nicht. Hängt sicher auch mit der Enge der Stadt zusammen, denn wenn alle Radfahrer ein Auto benutzten, ginge hier nichts mehr. Es geht schon los mit der Fähre von der Seite der Stadt über den Ij ins Stadtzentrum: kostenlos und im 5-Minuten-Takt pendeln mehrere Fähren zum Hauptbahnhof, wo man dann mitten im Zentrum ist.

Einer von mehreren "Fahrradständern" am Hauptbahnhof - wehe man hat vergessen, wo man sein Fahrrad abgestellt hat...
Einer von mehreren "Fahrradständern" am Hauptbahnhof - wehe man hat vergessen, wo man sein Fahrrad abgestellt hat...
Grachten und Fahrräder - nicht wegzudenken aus Amsterdam
Grachten und Fahrräder - nicht wegzudenken aus Amsterdam
Und natürlich gibt es auch das in Amsterdam wie in jeder anderen modernen Großstadt
Und natürlich gibt es auch das in Amsterdam wie in jeder anderen modernen Großstadt
Das Staatsmuseum - und mitten hindurch führt ein breiter Radweg. Das gibt es wohl nur in Amsterdam
Das Staatsmuseum - und mitten hindurch führt ein breiter Radweg. Das gibt es wohl nur in Amsterdam

Übrigens ist das Fahrrad auch das ideale Verkehrsmittel, die Stadt als Tourist zu erkunden, und so kommen auch bei mir schnell 50km im Stadtzentrum zusammen, ohne dass ich allerdings irgendwelche Attraktionen der Stadt von innen gesehen hätte. Irgendwie ist mir nicht wohl bei dem Gedanken, mein doch sehr teures Fahrrad irgendwo, wenn auch abgeschlossen, unbeaufsichtigt stehen zu lassen. Denn von den angeblich 840.000 Fahrrädern in der Stadt (bei 800.000 Einwohnern) sollen jährlich 100.000 gestohlen werden und nicht wenige davon landen in den Grachten. Das ist wohl auch ein Grund dafür, dass hier eher sehr schlichte Räder dominieren und E-Bikes die Ausnahme darstellen - bis auf die sehr zahlreichen und in jeder Größe vertretenen Lastenräder. 

Am nächsten Morgen verlassen ich bei trübem Wetter Amsterdam und will mir in Den Haag noch den Regierungssitz der Niederlande ansehen - die Wegweisung nach Den Haag für Radfahrer beginnt schon im Stadtzentrum von Amsterdam und lässt einen auf die Strecke von etwa 60km nie im Stich. 

Wem Amsterdam nicht aufregend genug ist, kann auf der Dachterrasse dieses Hochhauses gegenüber des Hauptbahnhofs schaukeln gehen
Wem Amsterdam nicht aufregend genug ist, kann auf der Dachterrasse dieses Hochhauses gegenüber des Hauptbahnhofs schaukeln gehen
...über den Rand des etwa 20stöckigen Turms hinaus!
...über den Rand des etwa 20stöckigen Turms hinaus!


Auch Den Haag bietet nichts wirklich Spektakuläres. Im Gegenteil, Regierungs- und Parlamentssitz sind überraschend unauffällig und vergleichsweise schlicht gehalten - hier hatte ich anderes erwartet, nachdem ich das Justizministerium in Amsterdam in einem modernen und auffälligen Hochhaus am Hafen gesehen hatte. 



Historischer Stadtkern und moderne Hochhäuser liegen in Den Haag direkt nebeneinander
Historischer Stadtkern und moderne Hochhäuser liegen in Den Haag direkt nebeneinander
Hinter diesen Mauern und im Innenhof sind befindet sich das politische Machtzentrum des Landes - und alles wirkt sehr zivil und ohne offenkundige Sicherheitsmaßnahmen
Hinter diesen Mauern und im Innenhof sind befindet sich das politische Machtzentrum des Landes - und alles wirkt sehr zivil und ohne offenkundige Sicherheitsmaßnahmen
Nur mit der Einhaltung der Verkehrsregeln machen sie es einem nicht wirklich immer leicht
Nur mit der Einhaltung der Verkehrsregeln machen sie es einem nicht wirklich immer leicht


Genug der Großstädte. Ich verlasse Den Haag und fahre zurück an die Küste, die hier nun nicht mehr Wattenmehr ist, sondern schier endlose, breite Sandstrände. Aber irgendwie komme ich mir vor wie bei "Dirty Dancing" (keine Kommentare hierzu!): Die Saison ist zu Ende und es fehlt nur noch Saisonabschlussball - ein Eindruck, der sich übrigens in Belgien und in Frankreich in den Bäderorten noch verstärken soll. Die Strände sind wetterbedingt - es ist windig und überwiegend bedeckt, immer wieder mit Nieselregen garniert - leergefegt und nur die Surfer nutzen den Wind. Durch den Wind wird man zu allem Überfluss auch noch mit dem feinen Sand gepudert.



Ende der Saison, nichts mehr los am Strand
Ende der Saison, nichts mehr los am Strand
Doch noch was los...
Doch noch was los...

Bei meinem Weg durch das niederländische Delta komme ich auch noch an den gigantischen Hafen- und Industrieanlagen Rotterdams vorbei. Nein, mit seinen ganzen Probelmen mit der Elbe kann Hamburg mit diesem Tiefwasserhafen nicht mithalten. Diese Containerterminals gehören nicht nur zu den größten der Welt, sondern sie sind auch die modernsten, in denen fast alles computergesteuert weitgehend ohne menschliches Zutun gesteuert wird.

Der Weg Richtung Süden führt mich über mehrere der beeindruckenden Sperrwerke über die Osterschelde, mit denen auch hier die Nordsee gebändigt wird. Für die Westerschelde ist wieder einmal eine Fährfahrt angesagt - zwei Minuten vor der Abfahrt löse ich das Ticket und ohne anzuhalten setze ich mehr Fahrt auf dem Wasser fort

Eines der Sperrwerke, mit denen die Osterschelde von der Nordsee getrennt wird. Dagegen ist das Eidersperrwerk Spielerei!
Eines der Sperrwerke, mit denen die Osterschelde von der Nordsee getrennt wird. Dagegen ist das Eidersperrwerk Spielerei!
Noch ein Leuchttrum und dann bin ich auch schon durch die Niederlande durch
Noch ein Leuchttrum und dann bin ich auch schon durch die Niederlande durch

Belgien ist eine schöne Stadt in Europa


Diese Einordnung stammt nicht von mir, sondern von dem großen amerikanischen Philosophen und Geografen Donald Trump. Aber durch manche Großstadt braucht man tatsächlich länger, als wenn man an der belgischen Küste das Land durchquert. Mehr als einen Tag benötigt man mit dem Rad für diese Strecke nicht. Aber ich wollte nicht nur die Küste sehen, sondern auf dem Weg auch noch einen Abstecher nach Brügge mit ihrer berühmten mittelalterlichen Innenstadt machen. Abends aus den Niederlanden kommend erreiche ich einen schönen Campingplatz direkt am Stadtrand. Die Überlegung, noch in die Stadt zu gehen, um dort Nachtaufnahmen zu machen, fällt buchstäblich ins Wasser, denn überraschend und gegen die Wettervorhersage, setzt Regen ein, der morgens dann auch noch anhält. Das macht eine Besichtigung einer historischen Altstadt nicht unbedingt besser - einziger Vorteil: Es sind sehr wenige Touristen unterwegs.

Auf dem Campingplatz komme beim Frühstück im Regen unter einem Unterstand (echter Campingluxus) noch mit einem französischen Paar ins Gespräch. Als ich Ihnen von meinem Plan erzähle, an der Küste Richtung Frankreich zu fahren, raten sie mir dringend ab. Die Küste wird in Belgien "die Wand" genannt - ich sollte später noch erfahren, wie recht sie damit hatten.  



Woher wissen die, dass ich aus dem Dienst ausgesondert wurde? Am Grenzübergang ändert sich auch die Qualität der Radwege - immerhin haben die Niederlande und Belgien dasselbe, hervorragende Knotenpunktsystem, mit dem man sich sehr verlässlich orientieren kann
Woher wissen die, dass ich aus dem Dienst ausgesondert wurde? Am Grenzübergang ändert sich auch die Qualität der Radwege - immerhin haben die Niederlande und Belgien dasselbe, hervorragende Knotenpunktsystem, mit dem man sich sehr verlässlich orientieren kann
Eines der historischen Tore in die Innenstadt von Brügge
Eines der historischen Tore in die Innenstadt von Brügge
Auch bei Regenwetter ist der Stadtkern von Brügge eine Augenweide
Auch bei Regenwetter ist der Stadtkern von Brügge eine Augenweide
Bei dem Wetter warten die Kutscher vergeblich auf Touristen für Stadtrundfahrten
Bei dem Wetter warten die Kutscher vergeblich auf Touristen für Stadtrundfahrten
Diese Stadt verlangt danach wiederzukommen -mit mehr Zeit und bei besserem Wetter
Diese Stadt verlangt danach wiederzukommen -mit mehr Zeit und bei besserem Wetter


Das mit der "Wand" erschließt sich mir spätestens, als ich in Oostende ankomme. Von Brügge kommend erreiche ich die Küste bei De Haan. Ja, auch sehr touristisch geprägt, aber viele Ferienhäuser, Villen und Hotels. Aber in Oostende geht es so richtig los. Ab hier bis an die französische Grenze ist die Küste fast durchgängig mit einer Wand aus 10stöckigen Hochhäusern bebaut. Wenn man Prora auf Rügen für groß hält, sollte man sich das hier einmal ansehen! Massentourismus, wie man ihn sonst eigentlich nur von den Mittelmeerländern kennt. Dazu kommt, dass an diesem Wochenende überall irgendein Fest gefeiert wird mit Live-Musik, Feuerwerk und sonstiger Touristenbespaßung - und Corona spielt überhaupt keine Rolle. Für mich gibt es auf der breiten Strandpromenade überhaupt kein Durchkommen - aber auch keinen Grund, mich hier länger als irgendwie nötig aufzuhalten. Zu allem Überfluss habe ich ausgerechnet hier auf der Promenade meinen ersten Platten - scheinbar ein Materialfehler am Schlauch. Immerhin finden sich hilfreiche, fahrradbessene Belgier, die sofort mit einer Standluftpumpe zur Stelle sind.  Abschreckender als diese Form des Tourismus geht's kaum und ich frage mich, wer hier seinen Urlaub verbringen möchte. Und das ganze dann auch noch kombiniert mit der schon erwähnten Saison-Ende-Stimmung, die sich auch durch Karussells und Riesenräder (die hier und in Frankreich offenbar zur obligatorischen Ausstattung der Promenade in jedem Ort gehören) übertüncht werden kann. Schnell weg und so verbringe ich dann die nächste Nacht auch schon in Dünkirchen in Frankreich.

Die Strandhäuser stehen verlassen am Rand der Dünen - hier will keiner mehr baden
Die Strandhäuser stehen verlassen am Rand der Dünen - hier will keiner mehr baden
Erster Eindruck von Oostende - so geht es Kilometer um Kilometer weiter und überall wird auf Teufel komm 'raus weiter gebaut
Erster Eindruck von Oostende - so geht es Kilometer um Kilometer weiter und überall wird auf Teufel komm 'raus weiter gebaut
Kunst in Oostende - ich bin nicht gegegen gefahren, ich schwöre
Kunst in Oostende - ich bin nicht gegegen gefahren, ich schwöre
Frankreich wird mich wohl ein bisschen länger beschäftigen als Belgien, und deswegen gibt es hierfür ein extra Kapitel
Frankreich wird mich wohl ein bisschen länger beschäftigen als Belgien, und deswegen gibt es hierfür ein extra Kapitel