Willkommen in Norwegen

Felsen statt Endmoränenlandschaft


Gegen Mitternacht erreicht die Fähre Kristiansand. Ziemlich müde verlasse ich nach der langen Etappe durch Nordjütland die Fähre. Die Stadt wirkt um diese Zeit wie ausgestorben. Nach ein paar Kilometern checke ich auf dem Campingplatz ein und baue im Schein einer Straßenlaterne mein Zelt auf. Um 01.30 Uhr krieche ich endlich in meinen Schlafsack.

Kristiansand ist zwar eine moderne Stadt mit einigen interessanten Ecken, allerdings habe ich nicht vor, mich hier länger aufzuhalten. Gegen Mittag verlasse ich die Stadt in Richtung Mandal. Erst einmal will ich dem Nordseeküstenradweg folgen und nicht auf dem kürzesten Weg zum Nordkap. Das mit dem kürzesten Weg ist hier ohnehin so eine Sache – den gibt es überhaupt nicht. Der Nordseeküstenradweg ist sehr gut ausgeschildert und nimmt so ziemlich jeden irgendwie fahrbaren Umweg mit, sodass ich mir bald darüber klar werde, hier und da abzukürzen, selbst wenn ich dadurch die eine oder andere Bucht nicht zu sehen bekomme. Schließlich möchte ich das Nordkap noch erreichen, bevor die Sonne dort nicht mehr aufgeht. Und zurück möchte ich ja auch noch.

Aber nicht nur die Streckenführung des ausgewiesenen Radwegs macht das Vorankommen mühsam. Die Hauptstraßen, allen voran die E39, sind oft für Radfahrer gesperrt. Und wenn es denn einmal keine Alternative gibt und man dort unterwegs ist, hält sich der Fahrspaß wegen des dichten Verkehrs auch deutlich in Grenzen. Die vielen Tunnel sind ebenfalls meistens für Radfahrer tabu und dann heißt es häufig dem alten Straßenverlauf folgen und der geht um die Fjorde herum oder über die Berge, denn mit der Einweihung eines neuen Tunnels wird häufig auch eine Fährverbindung eingestellt. Auf diese Weise bekomme ich viel von der Landschaft zu sehen, aber es kommen auch schnell viele Höhenmeter zusammen, die es mit Steigungen oft von 10 – 14% schon richtig in sich haben.  




In Mandal erreiche ich den ersten Campingplatz drei Minuten bevor die Rezeption schließt und muss erfahren, dass der Platz eigentlich ausgebucht ist. Allerdings habe ich die Norweger bisher als sehr freundlich und hilfsbereit erlebt und so weist man auf diesem Platz auch keine Radfahrer oder Wanderer ab, sondern findet noch eine kleine Ecke für das Zelt. Es ist eben Hauptsaison und es rollt eine gigantische Wohnmobil- und Wohnwagenkarawane durch das Land. Aus dieser Erfahrung nehme ich ab jetzt mehr das norwegische Jedermannrecht in Anspruch, das erlaubt überall in der Natur zu zelten. Gleich der erste Platz ist eine Traumlage an einem Fjord mit grandiosem Ausblick – allerdings ohne Wasser. Das hatte dann der nächste Platz direkt von einem Wasserfall geliefert in allerfeinster Qualität – dafür aber keine Aussicht. Und der dritte in dieser Reihe hatte weder Aussicht, noch Trinkwasser, dafür aber eine Toilette – man kann eben nicht alles gleichzeitig haben. Und noch ein Wort zu den Preisen: Norwegen ist teuer, das weiß man und da gibt es auch nichts zu jammern. Wenn man allerdings ein Jahr vorher kanadische Preise auf Campingplätzen bezahlt hat, dann ist Norwegen ca. 20 Euro pro Nacht für ein Zelt schon fast wieder günstig.


 

Wild Zelten statt Campingplatz - ohne Dusche, dafür mit grandiosem Ausblick
Wild Zelten statt Campingplatz - ohne Dusche, dafür mit grandiosem Ausblick


Nach drei Übernachtungen in der Natur bin ich jetzt wieder einmal auf einem Campingplatz. Und das nicht nur, weil ich mich und meine Sachen mal wieder einer Grundreinigung unterziehen wollte, sondern dieser Zwischenstopp am Lysefjord stand von vornherein ganz weit oben auf meiner Wunschliste auf dem Weg nach Norden. Zwei Nächte habe ich mich hier einquartiert, um eine Wanderung auf den Preikestolen zu unternehmen. Der Tag meiner Ankunft ließ schon nicht viel Gutes erwarten. Zwar bin ich auf ausnahmsweise einmal ziemlich ebener Strecke bei stürmischem Rückenwind gut vorangekommen, allerdings musste ich schon morgens beim Packen mein Regenzeug anziehen und immer wieder Schutz suchen, um die schwersten Schauer abzuwarten. Immerhin konnte man bei der kurzen Fährfahrt von Lauvvik nach Oanes die Felskanzel am Fjord sehen. Die Wetterprognose ließ aber nichts Gutes für die Wanderung auf die 605m hohe Felskanzel erwarten. Auch wenn Wettervorhersagen sonst gern einmal daneben liegen, heute behielt sie recht. Es hat den ganzen Tag mehr oder weniger stark geregnet. Zusammen mit einigen hundert anderen habe ich mich auf die vier Kilometer lange Wanderung zu diesem einzigartigen Felsplateau über dem Lysejford gemacht, den ich kurz vor Erreichen des Ziel sogar noch sehen konnte, bevor Wolken und Regen jede Sicht nahmen. Nun ist ein Balanceakt am Abgrund ohnehin nicht mein Ding, einen besseren Panoramablick von hier oben hätte ich mir aber schon gewünscht. Immerhin: Es ist mir gelungen, den Preikestolen zwar ohne Aussicht, dafür aber auch komplett ohne Menschen zu fotografieren. Das kommt in der Hauptsaison um die Mittagszeit wohl auch nicht so oft vor. Irgendeiner steht immer in der immer gleichen Pose (mit weit ausgebreiteten Armen) auf der Spitze des Plateaus und lässt sich dort ablichten. Und heute als Farbtupfer im Grau in ein Plastikregencape gehüllt.

Auch der Abstieg bleibt nass und ohne Aussicht.  Deswegen beeile ich mich, wieder auf den Campingplatz zu kommen, um in meinem Zelt Schutz vor dem Regen zu finden. Meine Schuhe sind durchnass und es wird wohl tage dauern, bis alles wieder trocken ist.


 


Das Wetter bleibt Thema Nr. 1 auch in den folgenden Tagen. Immer wieder regnet es aus einem wolkenverhangenen Himmel und die Temperaturen liegen am Tag zwischen 13 und 15 Grad – keín Vergnügen bei diesem Wetter Rad zu fahren und was fast am meisten schmerzt, ist die Tatsache, dass man durch einen traumhaft schöne Landschaft fährt und so wenig davon sieht.


 

Auf das Regenzeug hätte ich gern verzichtet...
Auf das Regenzeug hätte ich gern verzichtet...


Kurz nachdem ich den Campingplatz am Preikestolen verlassen habe, holt mich an einer Steigung Tim ein, ein junger Radfahrer aus Hannover auf seiner ersten großen Tour, aber sehr fit auf dem Rad. Tim hat auch das Nordkap als Ziel seiner Tour, allerdings mit einem Zwischenstopp in Bergen, um sich dort auf eine Klausur vorzubereiten. Die Chemie zwischen uns stimmt und ohne weitere Absprache fahren wir zusammen die nächsten Tage bis nach Bergen, was auch einmal eine kurzweilige Abwechslung ist. Mit einigen Fährfahrten durch das Labyrinth der Fjorde und Inseln, die für uns als Radfahrer, oft aber auch für Autofahrer, kostenlos sind, hangeln wir und langsam weiter in nördliche Richtung. Das schlechte Wetter bleibt uns bis kurz vor Bergen treu. Nicht umsonst sind wir in einem der regenreichsten Gebiete Europas unterwegs. Unsere Übernachtungsplätze suchen wir uns überwiegend in der Natur, was die Körperpflege bei diesem Wetter nicht gerade begünstigt. Aber auch da sorgt der norwegische Staat vor:  Es gibt an manchen Fähranlegern nicht nur beheizte Warteräume, sondern sogar kostenlos eine heiße Dusche – Luxus!

An dem Tag, bevor wir Bergen erreichen, fahren wir kurz in eine falsche Richtung. Nicht tragisch, Fehler bemerkt, umkehren und dann auf kürzestem Weg auf die richtige Route zurück. Hier zeigt sich allerdings, das der kürzeste Weg nicht immer der beste und der schnellste ist. Der Weg, den der Routenplaner vorschlägt endet tatsächlich nach schweren Schiebepassagen auf fast zugewachsener Piste vor einem kleinen Gatter einer sumpfigen Wiese. Keine 200m entfernt liegt die Straße, auf der wir weiterfahren wollen. Ein Zurück über die Piste, die wir gekommen sind, schließen wir aus und so schieben und zerren wir unsere schwer bepackten Räder durch den Matsch, über Steine und verrottende Baumstämme den Berg zur Straße hinauf. Noch kurz Gepäck und Fahrräder über die Leitplanke wuchten und dann lässt es sich so leicht weiterfahren. Nur die Schuhe und Strümpfe, die die gerade ein wenig zu trocknen begannen, sind nicht nur wieder pitschenass sondern auch noch vom Matsch völlig verdreckt. Es steht noch eine längere Fährfahrt nach Osøyro an diesem Tag an und dann schlagen wir nach noch ein paar giftigen Anstiegen unsere Zelte auf einem kleinen Farm Campingplatz auf, wo es immerhin eine heiße Dusche gibt und die Socken ausgespült und getrocknet werden können. Wieder einmal so ein kleiner Luxus, wenn man am nächsten Morgen trockene Socken anziehen kann – selbst wenn die Schuhe noch nass sind.  



Schwerstarbeit auf den letzten 200m bis wir wieder die Straße erreicht haben
Schwerstarbeit auf den letzten 200m bis wir wieder die Straße erreicht haben
Immer wieder Fähren und gelegentlich eine Brücke, um die Fjorde zu überqueren - nur die Tunnel sind in der Regel tabu
Immer wieder Fähren und gelegentlich eine Brücke, um die Fjorde zu überqueren - nur die Tunnel sind in der Regel tabu


Die Strecke nach Bergen ist nur noch kurz und bevor wir in die Stadt fahren, suchen wir uns in der Nähe einen Campingplatz, wo wir schon gegen Mittag unsere Zelte aufbauen. Dann geht es ohne Gepäck, dafür aber mit Sonnenschein, in die Stadt, wo gleich mehrere Kreuzfahrtschiffe im Hafen liegen. Obwohl die Stadt UNESCO Weltkulturerbe ist und in allen Reiseführern in den höchsten Tönen gelobt wird, will die richtige Begeisterung bei uns nicht aufkommen. Tim hat sich hier für die Nächsten Tage ein Zimmer organisiert, um in der Universitätsbibliothek zu lernen, ich werde mir noch einen weiteren Tag nehmen, um mir die Schönheit der Stadt zu erschließen und dann geht es weiter. Nächstes Etappenziel: Ålesund. Und zu Bergen lasse ich einfach ein paar Bilder sprechen.


 


Natürlich darf auch ein Gang über den berühmten Fischmarkt nicht fehlen - nur ob man hier etwas Essen möchte, ist auch eine Frage des Geldbeutels: Ein Kilo Königskrabben kostet ca. 200 Euro!



Das muss doch wohl wirklich nicht mehr sein. Die Norweger können oder wollen einfach nicht vom Walfang lassen. Und Menschen die vorher oder nachher eine Whale Watching Tour buchen und fasziniert von den Giganten der Meere sind, kaufen sich hier eine Walsalami...


Zu guter Letzt habe ich dann am Ende meines Aufenthaltes in Bergen auf dem Rückweg zum Campingplatz noch einen Abstecher zu einer kleinen Stabkirche gemacht, die allerdings noch nicht sehr als ist, weil sie nach einem Brand vor einigen Jahren originalgetreu wieder aufgebaut wurde.



Mitfahrer gesucht...
Mitfahrer gesucht...

Von Bergen bis auf die Lofoten


Inzwischen bin ich seit vier Wochen unterwegs, habe 2800km und 30.000 Höhenmeter hinter mir und es ist höchste Zeit, für ein Update meines Reiseberichts. Seit einigen Tagen fahre ich auf dem Kystriksveien, der FV 17, Richtung Bodø, um vom dort auf die Lofoten überzusetzen. Hier ist die Orientierung sehr leicht und man kann eigentlich auf Navi und Karte verzichten, denn es gibt Richtung Norden außer der Europastraße 6 keinen anderen durchgehenden Weg. Und für Radfahrer überhaupt keine Alternative zu dieser landschaftlich tollen Strecke entlang und über die Fjorde und Inseln, denn die E6 darf in vielen Bereichen nicht von Radfahrern benutzt werden. Und mit der durchgehenden Straßenverbindung ist es hier auch so eine Sache. Fährfahrten gehören hier täglich dazu – drei Fähren an einem Tag war bei mir bis jetzt der Rekord und insgesamt seit Kristiansand 20 Fähren. Das Gute daran: Fast alle Fähren sind für Radfahrer (und oft auch für Autofahrer) kostenlos!



Täglich ist mindestens eine Fährfahrt dabei
Täglich ist mindestens eine Fährfahrt dabei
Manchmal geht es auch über spektakuläre Brücken
Manchmal geht es auch über spektakuläre Brücken


Mit der Orientierung ist es sonst manchmal so eine Sache. Vor einigen Tagen war ich zwischen Bergen und Ålesund in der Gegend der großen, spektakulären Fjorde. Kreuzfahrtschiffe gehören hier zum alltäglichen Bild auf den Fjorden und eine wahre Wohnmobilkarawane rollt über die bergigen Straßen. Ich fahre nach wie vor am liebsten nach Karte, auch wenn die hier in Norwegen ein kleines Vermögen kosten, aber man hat einfach einen besseren Überblick, wo man sich gerade befindet und was man zu erwarten hat. Modernen Navigationssystemen verschließe ich mich natürlich auch nicht und wie fast alle Radfahrer benutze ich dann Komoot. Über die Tücken von Komoot berichtete ich ja bereits. Viele Tunnel sind hier für Radfahrer gesperrt und Komoot bietet auch nur eine einzige Möglichkeit an, vom riesigen Nordfjord zum Storfjord, an dessen Ende der berühmte und spektakuläre Geirangerfjord liegt, zu kommen.


 

Auch diesem Weg muss ich noch einmal über einen ziemlich hohen Berg, den ich mir aber für den nächsten Tag aufheben möchte, weil ich schon genug Kilometer und Höhenmeter in den Beinen habe. Mein Tagesziel ist der winzige Ort Flo, an einem langgestreckten See gelegen. Da die Straße direkt am See entlang führt, hoffe ich auf leichtes Radeln. Irrtum. Es geht kontinuierlich bergauf und unterwegs muss ich auch noch einen 6,8km langen Tunnel passieren. Tunnel sind nicht meine Favoriten auf der Strecke: kalt, feucht, trotz Beleuchtung relativ dunkel und wenn Fahrzeuge vorbeifahren unglaublich laut. Immerhin handelt es sich um einen modernen Tunnel, an dessen Anfang man als Radfahrer einen Knopf drückt und Autofahrer durch Blinklichter darauf aufmerksam gemacht werden, dass sich Radfahrer im Tunnel befinden.


 

Manchmal aber auch Radfahrer
Manchmal aber auch Radfahrer


In Flo selbst stehe ich am Ende aller Straßen im Wendehammer einer Sackgasse. Nur ein schmaler, steiniger und unglaublich steiler Weg, der als Privatstraße gekennzeichnet ist, führt in die Berge – immerhin mit einem kleinen Hinweis als Rad- und Wanderweg markiert. Nützt ja nichts. Im Ort gibt es keine Möglichkeit, mein Zelt aufzuschlagen, also absteigen und schieben, bis ich die erste Gelegenheit zum Campen finde. Harte Arbeit ist angesagt. Kaum 20m weit geschoben, kommt aus einem Haus eine Frau gelaufen, ruft mich zurück und erklärt mir, dass mein Vorhaben, das schwere Rad dort hinauszuschieben völlig unmöglich sei. Sie macht ein Angebot, dass ich unmöglich ablehnen kann (jetzt bitte keine Fehlinterpretationen!). Ihr Mann wäre noch beim Abendessen, aber wenn er fertig ist, bringt er mich mit einem Traktor auf den Berg. Die kurze Wartezeit wird mir dann auch noch frischem Kaffee und Keksen versüßt.



Sieht harmloser aus als es ist!
Sieht harmloser aus als es ist!


Kurze Zeit später kommt ihr Mann in Arbeitszeug aus dem Haus und holt den „Traktor“. Ein eigentümliches, allradgetriebenes Gefährt mit Ladefläche. Meine Ausrüstung und das Rad werden auf der Ladefläche verstaut und gut verzurrt und dann geht es im wahrsten Sinne des Wortes über Stock und Stein den schmalen Weg hinauf. Unglaublich! Mein Chauffeur meint, ich hätte für die 350 Höhenmeter bis zum höchsten Punkt dieses Weges bestimmt einen ganzen Tag gebraucht. Ich kann beim besten Willen nicht widersprechen. Es geht durch Bäche und über nackte Felsplatten und zahlreiche Viehgatter müssen geöffnet und wieder geschlossen werden. Selbst mit diesem geländegängigen Gefährt ist oft nur Schrittgeschwindigkeit möglich. Oben angekommen, sind einige Hütten in der Landschaft verstreut, die aber augenscheinlich alle unbenutzt sind. Nach längerem Smalltalk und reichlich Dankeschön für diesen außergewöhnlich freundlichen Service lässt mich mein Fahrer auf einer Bergweide zurück, wo ich umgeben von hohen Bergen mit zahlreichen Wasserfällen und Gletschern in Sichtweite bei tief hängenden Wolken mein Zelt aufschlage. Etwa 30 neugierige Rinder nähern sich meinem Zelt vorsichtig immer weiter, wohl um zu inspizieren, wer sich da auf ihrer Weide breit macht. Nachdem ich dann noch einmal aus meinem Zelt gekrochen bin und mich ihnen gezeigt habe, ist die Neugierde offenbar befriedigt und sie ziehen in aller Ruhe ab und lassen sich für den Rest der Nacht auch nicht wieder sehen.


 


Der nächste Morgen ist noch kalt und diesig und ich mache mich auf den Weg ins Tal auf der anderen Seite des Berges. Wegen der Hütten hatte ich hier einen bessern Weg erwartet. Irrtum! Ein schmaler Pfad führt oft am Abgrund entlang nach unten und ich brauche für die sieben Kilometer bis zur nächsten Ortschaft eine ganze Stunde – ausschließlich bergab.


 


Kaum ist man im Tal, geht es natürlich wieder bergauf. Mit meinem schweren Gepäck bin ich am Berg immer sehr langsam und aus einem kurzen Gruß im Vorbeifahren mit einer Bäuerin entwickelt sich ein längeres Gespräch. Sie versichert mir, dass ich auf dem Weg zum schönsten Tal Norwegens bin. Kann  sein. Jedenfalls habe ich nichts davon gesehen, denn oben angekommen, sind die steilen Felswände links und rechts in den Wolken verschwunden und es fängt an zu gießen. Einzig einige Wasserfälle und Schneereste am Fuß der Felsen bekomme ich zu Gesicht. Schade eigentlich.


 


Immerhin hört es am Fjord wieder auf zu regnen und ich komme durch einige Touristenhotspots, wo alles geboten wird, was die Gäste wohl erwarten und womit man Geld verdienen kann. Kajaktouren auf den Fjorden, Paragliding von den Bergen, Rafting auf den Wildwasserflüssen und vieles andere mehr. Alles nicht so mein Ding und auch die Bootsfahrt in den Geirangerfjord erspare ich mir, weil die Sicht noch immer sehr bescheiden ist.

Für mich geht es im Zickzackkurs weiter in Richtung Ålesund, die ich mir gern ansehen möchte, weil sie für ihre Jugendstil-Altstadt bekannt ist. Tatsächlich sind große Teile aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts sehr schön erhalten und damit komplett anders als andere norwegische Städte. Und natürlich liegen hier gleich zwei Kreuzfahrtschiffe im Hafen und die Passagiere fluten die Innenstadt.


 

Ålesund


Nach ein paar Stunden habe ich genug gesehen und mit Fastfood gestärkt mache mich auf den Weg in Richtung Trondheim. Wegen der vielen Tunnel und Brücken auf dem direkten Weg, die ich nicht befahren darf, muss ich Kristiansund im weiten Bogen umfahren und komme noch einmal richtig in die Berge. Und wieder einmal lande ich auf einer Strecke, zwar Komoot, aber sonst scheinbar niemand kennt. Immerhin handelt es sich hier um ein Skigebiet und die Strecke ist im Winter eine Langlaufstrecke. Zuversichtlich, nicht wieder im Nichts zu landen mache ich mich auf den Weg und habe diesmal auch Glück, auf annehmbarer Piste wieder auf richtige Straßen zu kommen. Hier in der Nähe der Großstadt fahre auf Schotterpisten ich durch ein Gegend mit zahlreichen Hütten. Und fast mühelos komme ich auf den mit 924m Höhe wahrscheinlich höchsten Punkt der gesamten Reise.

 

Top of Tour
Top of Tour

Es ist ja nicht so, dass es unterwegs nichts zu sehen gäbe - trotz des vielen Regens


Mit Trondheim erreiche ich eine der größten Städte Norwegens und eine der früheren Hauptstädte und Königssitze. Bei schönstem Wetter rolle ich in die Stadt und die Radwegweisung bringt mich vom Stadtrand direkt zur Kathedrale.  Und hier ist Volksfeststimmung, denn es  läuft das Olavs Festival und vor der Kathedrale findet vor großem Publikum gerade eine Podiumsdiskussion statt. Ich kaufe mit eine Eintrittskarte und bin von dem Bau innen und außen begeistert.


 


Ein anderes Postkartenmotiv sind die Packhäuser am Nidelva und von dort ist es wiederum ein Katzensprung zu einer ganz besonderen Einrichtung in dieser Stadt: ein Fahrradlift. Die Straße zur Festung über der Stadt hat eine Steigung von 17%. Zu viel für fast alle Radfahrer, also hat man sich hier etwas sehr Spezielles einfallen lassen. Der Fahrradlift funktioniert eigentlich ganz einfach. Unten stellt man den Fuß auf den Startpunkt, drückt eine Knopf und eine Fußrast schiebt einen die knapp 200m den Berg hinauf. Musste ich natürlich sofort ausprobieren und bin derart gescheitert, dass ich mich gleich nach dem Start fast auf die Nase belegt hätte. Es fehlte einfach die Kraft, mit einem Bein mein eigenes Körpergewicht und 60kg Fahrrad gegen das Pedal zu stemmen und mich so den Berg hinaufschieben zu lassen. Bei anderen mit leeren Fahrrädern sah das relativ entspannt aus. Für mich war dann bis zur Hälfte fahren und danach schieben angesagt…


 

Postkartenmotiv in Trondheim: die alten Lagerhäuser am  Wasser
Postkartenmotiv in Trondheim: die alten Lagerhäuser am Wasser
Für mich mit dem schwer bepackten Reiserad nicht machbar: der Fahrradlift in Trondheim hinauf zur Festung
Für mich mit dem schwer bepackten Reiserad nicht machbar: der Fahrradlift in Trondheim hinauf zur Festung
Strategisch günstig liegt die Festung über der Stadt
Strategisch günstig liegt die Festung über der Stadt


Ansonsten bereitete sich die Stadt auf ein riesiges Streetfood-Festival vor, das drei Tage später beginnen sollte. Wäre reizvoll gewesen, aber für mich zu spät und deswegen habe ich noch am selben Tag die (kostenpflichtige) Schnellfähre für Fußgänger und Radfahrer über den Trondheimfjord genommen, um zum KIystriksveien, dem RV 17, zu gelangen. Tolle Strecke, meistens wenig Verkehr und gutes Wetter – so lässt es sich aushalten. Und Gelegenheiten zum Zelten gibt es auch genug, entweder auf Campingplätzen oder irgendwo in der Natur. Ein Campingplatz, ein ehemaliger Bauernhof, hat dabei etwas ganz Spezielles zu bieten: Eine Scheune, die buchstäblich bis unters Dach mit einem unbeschreiblichen Sammelsurium von allen möglichen und unmöglichen Dingen vollgestopft ist.



Das moderne Trondheim am Hafen
Das moderne Trondheim am Hafen
Und natürlich die Erinnerung an die großen Leistungen der Wikinger - hier erste Überfahrt nach Amerika
Und natürlich die Erinnerung an die großen Leistungen der Wikinger - hier erste Überfahrt nach Amerika

Unglaublich...


Die letzten Tage bin ich dann wieder einmal in Begleitung gefahren. An einer der zahlreichen Fähren treffe ich Marco aus Norditalien. Ein witziger Typ, sportlicher Radfahrer, nur in Sachen Radreise in Gebieten mit sehr dünner Infrastruktur und unter nicht immer optimalen Wetterbedingungen recht unerfahren und deswegen saugt er alle möglichen Informationen über Ausrüstung und Zelten in der Natur (für ihn offenbar eine ganz neue Erfahrung) auf, wie ein trockener Schwamm. Dabei scheint seine Ausrüstung so lückenhaft zu sein wie seine Sprachkenntnisse. Da ich auch kein Italienisch spreche, läuft die Kommunikation überwiegend über den Google Translator Englisch – Italienisch – mit allen Missverständnissen, die so eine Unterhaltung über Umwege so mit sich bringen kann. Dafür hat er aber eine Drohne im Gepäck, die er gern an jedem schönen Aussichtspunkt aufsteigen lässt – ich bin gespannt, ob er sein Versprechen hält, mir Fotos und Videos zu schicken.


 

Marco, mein neuer Begleiter für drei Tage
Marco, mein neuer Begleiter für drei Tage
Und so komme ich auch einmal Fotos von mir
Und so komme ich auch einmal Fotos von mir
Einer von vielen langen Tunneln - hier mal wieder die moderne Variante mit Warnanlage, wenn Radfahrer im Tunnel sind
Einer von vielen langen Tunneln - hier mal wieder die moderne Variante mit Warnanlage, wenn Radfahrer im Tunnel sind


Heute haben wir uns voneinander verabschiedet, weil Marco nur noch wenige Tage Zeit hat und von Narvik wieder nach Hause fliegen will. Deswegen ist er früher als ich aufgebrochen, um die Fähre am Nachmittag von Bodø nach Moskenes auf den Lofoten zu nehmen. Ich habe es an einem total verregneten Tag etwas ruhiger angehen lassen und sitze jetzt auf der Abendfähre derselben Strecke, schreibe und lasse dabei meine Sachen am Körper trockenen. Etwas später am Abend auf den Lofoten anzukommen ist auch kein größeres Problem, denn auf der Fähre von Kilboghamn nach Jektvika habe ich den Polarkreis überquert und noch werden auf dem Weg nach Norden die Tage länger. Aktuell ist Sonnenaufgang um 03.56 Uhr und Sonnenuntergang um 22.29 Uhr und so richtig dunkel ist es dazwischen auch nicht. Die Wetterprognose für die nächsten Tage gut und ich hoffe auf gute Bilder und Eindrücke dieser traumhaften Inselkette im Nordatlantik.



Den Polarkreis überquere ich unspektakulär mit einer Fähre
Den Polarkreis überquere ich unspektakulär mit einer Fähre

Einen Tag vor dem Regen endlich Sonne - Norwegen kann so schön sein!

So sollte jeder Tag enden
So sollte jeder Tag enden

Am Wendepunkt angekommen


Wieder einmal sitze ich auf einer Fähre und nutze die Zeit, nicht nur um meinen Beinen eine kleine Regenerationszeit zu gönnen, sondern auch die Ereignisse der letzten Tage aufzuschreiben. Wobei der Begriff Fähre hier wohl eher als Beleidigung aufgefasst werden könnte, denn ich sitze auf der MS Nordkapp der Hurtigruten, die mich von Honningsvåg nach Kjøllefjord bringen soll, also die Luxusvariante, um hier von Hafen zu Hafen zu kommen und eine der ganz wenigen von fast 30 Schiffspassagen, die auch von Radfahrern zu bezahlen ist. Und der Name des Schiffs ist Programm, denn gestern bin ich am Nordkap gewesen und um nicht dieselbe Strecke zurückfahren und damit ein zweites Mal durch den bei Radfahrern ziemlich unbeliebten Nordkaptunnel zu müssen, habe ich mich für diese dreistündige Passage zum nächsten Haltepunkt der Hurtigrute im Osten entschieden, um von dort die Rückreise nach Hause anzutreten.



Es ist ja nur ein Postschiff - die MS Nordkapp der Hurtigruten
Es ist ja nur ein Postschiff - die MS Nordkapp der Hurtigruten


Zuletzt hatte ich mich auch von einer Fähre gemeldet, als ich dem Weg zu den Lofoten war. Den ganzen Tag war ich im strömenden Regen gefahren und kam recht spät am Abend in Moskenes an. Schnell fand ich am Ortsrand von Sørvågen einen ruhigen, wenn auch sehr windigen Zeltplatz mit Blick auf den kleinen Ort Å i Lofoten, dem südlichsten Ort der Inselkette und das Ende der Straße – und damit Ziel aller Wohnmobilfahrer, die hier in Kolonne durch die engen Orte rollen. Der Wind hatte mein Zelt über Nacht komplett getrocknet und als ich morgens aus meinem Zelt komme, liegen Å und die Berge bei strahlend blauem Himmel im Sonnenschein vor mir – die Lofoten zeigen sich von ihrer schönsten Seite und so bleibt es auch die nächsten Tage, sodass ich kaum vorwärts komme, weil sich immer wieder neue Postkartenmotive im besten Licht bieten. Ich komme sogar an einigen strahlend weißen Traumstränden mit türkisfarbenem Wasser vorbei, wo einige Mutige das Wetter zu einem sehr erfrischendem Bad nutzen. Bei mir bleibt es bei den Füßen und als ich zu meinem Fahrrad zurückkomme, das an einer Wand in der Sonne lehnt, zeigt das Thermometer 44 Grad an!



Zeltplatz mit Aussicht - Å i Lofoten, der letzte Ort der Inselkette
Zeltplatz mit Aussicht - Å i Lofoten, der letzte Ort der Inselkette

Die Lofoten lassen sich am besten in Bildern darstellen


Immer den nahenden Herbst vor Augen, nehme ich mir nicht die Zeit, die Lofoten bei Wanderungen oder Abstecher abseits der Hauptstraße näher zu erkunden. Und so erreiche ich dann nach gut zwei Tagen die Vesterålen, die sich nördlich an die Lofoten anschließen. Die Berge werden etwas niedriger, die Landschaft nicht mehr ganz so spektakulär, dafür hält sich das Wetter und auf relativ flacher Strecke komme ich gut voran.


 

Auch die Vesterålen sind nur teilweise flach
Auch die Vesterålen sind nur teilweise flach


Ich weiß nicht warum, aber hier in der Gegend gibt man sich besondere Mühe, den Reisenden an verschiedenen Rastplätzen öffentliche Toiletten zu bieten, die echte Hingucker und viel fotografierte Motive sind – nein, ich bin hier nicht auf den Klofoten. Ein echtes Highlight in dieser Hinsicht ist eine luxuriöse Toilettenanlage auf Andøya, kurz vor Andenes. Ein öffentliches Klo mit verspiegelten Panoramascheiben, sodass man bei einer geschäftlichen Sitzung die Aussicht über die Küste und den Ozean genießen kann – auf Knopfdruck kann die Scheibe aber auch komplett undurchsichtig gemacht werden! Welch ein Unterschied zu deutschen Autobahntoiletten im Schlichtdesign!




Der nördlichste Ort auf der Vesterålen ist Andenes auf Andøya. Eigentlich kein Ort, den man besuchen oder erwähnen müsste, könnte er nicht ein paar Besonderheiten für sich in geltend machen. Da ist ganz in der Nähe die kleine Insel Bleiksøya, auf der im Sommer ca. 80.000 Papageientaucher nisten und zahlreiche Seeadler anlocken, für die die Papageientaucher eine Art Fastfood sind. Und außerdem fällt kurz vor der Küste der Meeresgrund sehr tief ab und bietet in der Tiefsee Walen das ganze Jahr hervorragende Jagdgründe. Deswegen werden hier Whale Watching Touren mit 100%-Walsichtungsgarantie angeboten. Auch wenn der Winter hierfür deutlich bessere Möglichkeiten bietet, will ich mir diese und auch ein Tour zur Papageientaucherkolonie nicht entgehen lassen. Bei der Tour nach Bleikøya bekommt man zehntausende Papageientaucher in der Luft, auf dem Wasser und auf der Insel zu sehen, leider meistens in größerer Entfernung – und ich habe nur das kleine Objektiv dabei. Dafür wissen die Seeadler, dass sie von der Schiffsbesatzung regelmäßig gefüttert werden und kreisen deswegen dicht über dem Schiff. Der Guide zeigt auch die Überreste eines Pottwals, der im Winter dort gestrandet ist und bis zu 250 Adler angelockt haben soll! Die 100%-Garantie wird am nächsten Tag bei allerbestem Wetter und ruhiger See auch schnell eingelöst. Erst sichten wir eine kleine Schule Delfine, dann taucht ein Pottwal auf und mit ein bisschen Glück erwische ich ihn beim Abtauchen aus fast perfektem Blickwinkel. Dieser Wal taucht auch noch ein zweites Mal auf und damit endet die Tour abrupt – sehr kommerziell, denn so kann die nächste Gruppe früher an Bord genommen werden.


 

Soll keiner sagen, ich hätte keine Papageientaucher zu sehen bekommen. Zehntausende Vögel und keinerlei Geräusch
Soll keiner sagen, ich hätte keine Papageientaucher zu sehen bekommen. Zehntausende Vögel und keinerlei Geräusch
Gebt mir mehr Brennweite!
Gebt mir mehr Brennweite!
Die Seeadler kreisen über dem Boot und warten auf ihre Fütterung
Die Seeadler kreisen über dem Boot und warten auf ihre Fütterung
Schon satt oder gibt es zum Dessert noch einen Papageientaucher?
Schon satt oder gibt es zum Dessert noch einen Papageientaucher?
Whale Watching mit Walgarantie - und so muss das Foto vom abtauchenden Pottwal wohl aussehen
Whale Watching mit Walgarantie - und so muss das Foto vom abtauchenden Pottwal wohl aussehen
Das zweite Abtauchen desselben Pottwals bedeutet das abrupte Ende der Tour
Das zweite Abtauchen desselben Pottwals bedeutet das abrupte Ende der Tour
Und Andenes hat natürlich auch einen Leuchtturm
Und Andenes hat natürlich auch einen Leuchtturm



Für mich völlig überraschend komme ich bei der Tour über Andøya an einem norwegischen Raumfahrtzentrum - incl. Besucherzentrum - vorbei. Damit hatte ich hier am Rande des Kontinents nun überhaupt nicht gerechnet. Von hier werden Satelliten ins All geschossen, Experimente vorbereitet und das Nordlicht erforscht.




Immerhin schaffe ich es so, noch am selben Tag nach Senja überzusetzen, eine weitere Insel mit wunderschönen Fjorden, die es mit Sicherheit verdient hätte, hier mehr Zeit zu verbringen. Aber der nahende Herbst…


 

Die schönsten Aussichten bei bestem Wetter finden sich nicht unbedingt auf den Campingplätzen, sondern in der Natur
Die schönsten Aussichten bei bestem Wetter finden sich nicht unbedingt auf den Campingplätzen, sondern in der Natur


Für diese Breitengrade schon eine quirlige Großstadt mit einem bunten und vielfältigen Angebot ist Tromsø. Gut. Bars, Restaurant, Hotels und Souvenirläden an jeder Ecke gebrauche ich nicht, aber das schon etwas angestaubte Arktismuseum, die Eismeerkathedrale und ein Fastfood Restaurant lasse ich mir bei der Durchreise weiter nach Norden aber doch nicht entgehen.  Auch fülle ich meine reichlich ausgedünnten Lebensmittelreserven noch einmal reichlich auf, denn die Infrastruktur wird immer spärlicher, je weiter man nach Norden kommt. Vier Tage trennen mich noch vom Nordkap und ich treffe immer mehr Radfahrer, die ihr Ziel erreicht haben und jetzt ihre Rückreise von Tromsø oder von Alta planen. Es sind nur noch wenige übrig, die danach auch auf eigenem Reifen wieder nach Hause wollen. Und spätestens mit der Ankunft in Alta hat mich das Wetterglück der letzten Tage verlassen. Hier auf dem Campingplatz will fast jeder nur noch eine Hütte mieten, was natürlich nicht gelingt und dann irgendwie seine Sachen für die Weiterreise wieder trocken zu bekommen.


 

Fast hätte ich es vergessen: Das erste Rentier war für mich ja noch eine kleine Sensation - inzwischen sind sie Alltag
Fast hätte ich es vergessen: Das erste Rentier war für mich ja noch eine kleine Sensation - inzwischen sind sie Alltag
Da muss schon mal ein besonderes Exemplar kommen, damit ich die Kamera raushole
Da muss schon mal ein besonderes Exemplar kommen, damit ich die Kamera raushole


Da ich meine Passage mit der Hurtigrute für den Sonnabend gebucht habe und noch etwa 230km vor mir liegen, muss ich ein bisschen Gas geben. Nach knapp 130km erreiche ich eine sehr schönen Rastplatz am Fjord, wo alles offenkundig in diesem Jahr neu hergerichtet wurde – inclusive zweier Schutzhütten. Ein toller Platz am Bach etwas abseits der vielen Wohnmobile ist ein idealer Schlafplatz, um am Freitag den Endspurt zum Nordkap anzutreten. Weil die Wetterprognose nichts Gutes erwarten lässt und der Wind das Zelt am Morgen gut getrocknet hat, sitze ich ganz gegen meine Gewohnheit schon um 07.00 Uhr auf dem Rad und fahr mit sehr gutem Rückenwind die 50km am Fjord bis zum Nordkaptunnel. Dort komme ich um 10.00 Uhr mit einsetzendem Nieselregen an. Jetzt heißt es erst einmal warm anziehen und dann mit 9% Gefälle 212 Meter unter den Meeresspiegel abtauchen. Und dann geht es mit der gleichen Steigung über drei Kilometer wieder aus dem Tunnel hinaus – insgesamt 6870 Meter. Kein Vergnügen, aber auch nicht so schlimm, wie von vielen dargestellt, vielleicht hatte ich auch einfach Glück, dass um diese Tageszeit nicht so viel Betrieb ist.


 

Noch ist das Wetter gut und da sind selbst die langen Anstiege bei der Aussicht kein Problem
Noch ist das Wetter gut und da sind selbst die langen Anstiege bei der Aussicht kein Problem
Eine Luxusvariante eines Rastplatzes
Eine Luxusvariante eines Rastplatzes
Der Regenbogen über dem Rastplatz beim Start früh morgens lässt nichts Gutes für den Tag erwarten
Der Regenbogen über dem Rastplatz beim Start früh morgens lässt nichts Gutes für den Tag erwarten
Nicht ganz der längste Tunnel der Reise aber mit Sicherheit der tiefste
Nicht ganz der längste Tunnel der Reise aber mit Sicherheit der tiefste


Was jetzt noch fehlt, sind etwa 40 Kilometer über Magerøya zum Nordkap – und die werden richtig schwer. Es sind nicht die langen Steigungen, auch teilweise mit 9%, die das Fahren schwer machen. Es sind in erster Linie der Wind und die Kälte. Der Wind ist so stark, dass er mich mehrfach fast von der Straße gedrückt hätte und er lässt sieben bis acht Grad bei Nieselregen wesentlich kälter erscheinen – immerhin komme ich bei diesen Bedingungen, anders als sonst im Regenzeug, kaum ins Schwitzen. Und ich habe es auch geschafft, das Nordkap ohne zu schieben zu erreichen – über sehr lange Strecken im kleinsten Gang bei 5 – 6 km/h im Schlingerkurs eines Volltrunkenen.


 

Geschafft!
Geschafft!


Es gibt ein bisschen Aussicht und ein Fitzel blauer Himmel ist auch durch die Wolken zu erkennen, bevor wieder eisiger Nieselregen einsetzt. Schnell das obligatorische Foto von der Weltkugel und dann in das große Besucherzentrum flüchten, um mich dort mit einer heißen Schokolade und einem Schokocroissant zu belohnen. Eigentlich war der Plan, hier oben zu zelten und am Sonnabend die 40km zurück nach Honningsvåg zum Hafen zu fahren, wo ich um 14.30 Uhr mit der MS Nordkapp weiterfahren will. Da es aber keinerlei Schutz gibt und ich nicht im Sturm und Regen hier oben mein Zelt aufschlagen will, setzte ich mich aufs Rad und fahre langsam und vorsichtig wieder hinunter zum nächsten Campingplatz. Dort angekommen, reißt der Himmel auf und die Sonne scheint auf das Nordkap – leider ein bisschen zu spät für mich. Mit 118km und 1800 Höhenmetern unter diesen Bedingungen war es ohnehin einer der härtesten Tage der Tour.


 

Das nördliche Ende des Kontinents. Jetzt geht's zurück...
Das nördliche Ende des Kontinents. Jetzt geht's zurück...


41 Tage, 3.800km und 40.000 Höhenmeter liegen hier am Wendepunkt meiner Reise hinter mir. Jetzt geht es auf den Heimweg durch Finnland, Schweden und Dänemark in der Hoffnung, dem Herbst immer ein paar Tage zuvor zu kommen.



Ein kleiner Nachtrag

Text und Bilder konnte ich erst zwei Tage später ins Netz stellen, weil ich nicht immer gute Netzverbindung hatte (was hier in Norwegen selbst in den entlegendsten Ecken schon ungewöhlich ist). Der letzte Tag zum Nordkap war schon extrem und ich dachte, ich hätte das Schlimmste hinter mir und will jetzt nur noch schnell südwärts, denn hier zieht jetzt der Herbst ein und in wird nachts sogar schon wieder dunkel. In Kjöllefjord steige ich bei strömendem Regen auf mein Rad und ohne Umweg verlasse ich den Ort. Es geht wieder einmal nach oben. Nach etwa 300 Höhenmetern habe den absolut kahlen Fjell erreicht. Die Straße, auf der ich fahre, liegt auf einem Damm und soll eine der schwierigsten Straßen in Norwegen unter winterlichen Bedingungen sein. Bei sechs bis sieben Grad mit eisigem Nordwestwind und Dauerregen halte ich Ausschau nach einem Platz, der etwas Windschutz bietet, denn einen Campingplatz gibt es weit und breit nicht. Neben der Straße sind entweder Steine und Felsen oder es steht dort das blanke Wasser. Nicht gerade die Bedingungen, unter denen man sein Zelt aufbauen möchte. Nach gut 30 km finde ich einen kleinen, geeigneten Platz auf der windabgewandten Seite des Damms und ein heißer Kakao und ein guter Schlafsack sorgen dafür, dass die Kälte wieder aus den Gliedern verschwindet. Der nächste Tag bringt auch erst einmal keine Besserung. Erst als ich mich dem Meeresniveau nähere, wird es etwas wärmer und auch die Sonne kommt zwischen den Wolken hervor. Ein kleiner Campingplatz mit heißer Dusche und Trockner für die nasse Kleidung sind am Abend genau das Richtige gegen die Strapazen der letzten Tage. Und heute schien dann wieder die Sonne - es geht Richtung Süden und morgen werde ich die Grenze nach Finnland erreichen.



Immerhin kein Regen, nur eisiger Wind
Immerhin kein Regen, nur eisiger Wind