Patagonien - Weite mit dem Rad erfahren

Acht Wochen mit dem Rad durch Chile und Argentinien liegen nach 13 Monaten Urlaubsabstinenz vor mir. Ab Puerto Montt folge ich der Carreterra Austral Richtung Süden bis zu ihrem Ende in Villa O'Higgins. Von dort geht es durch die Weiten Argentiniens zur Peninsula Valdéz am Atlantik. Wenn die Zeit reicht, stehen die Wasserfälle von Iguazu auf der (Wunsch-)Reiseliste, bevor ich von Buenos Aires die Rückreise antreten werde. Ich lade euch herzlich ein, mich hier auf meiner Tour zu begleiten!

 

Die geplante Route für acht Wochen mit dem Rad

Nach meiner Anreise von Hamburg über Paris nach Santiago werde ich meine Radtour in Puerto Montt starten. Nach einem Abstecher zum Vulcano Osorno geht's auf die Carreterra Austral, der ich bis zu ihrem Ende bei Villa O'Higgins folgenden will. Dort bin ich auf eine Fähre angewiesen, die mich über den Lago O'Higgins bringt, um  mein Fahrrad dann über einen Pass nach Argentinien zu schieben, wo ich am Monte Fitzroy bei El Chalten ankommen werde. Östlich der Anden fahre ich wieder zurück Richtung Norden, um durch die Pampa zur Peninsula Valdéz zu gelangen, wo ich Orcas, Seelöwen und Seeelefanten sehen möchte. Ab jetzt ist alles nur noch eine Frage, wieviel Zeit mir noch bleibt. Wahrscheinlich werde ich von hier Teilstrecken mit dem Bus zurücklegen. Falls die Zeit reicht, möchte ich die Wasserfälle bei Iguazú besuchen, um mir am Ende meiner Reise Buenos Aires noch ein paar Tage anzusehen. Mal sehen, ob alles klappt und Körper, Fahrrad, Wind und Wetter und die Motivation bis zum Ende mitspielen!

 

Der Start in Puerto Montt

Selten war eine Anreise so problemlos, wie auf dieser Reise! In Hamburg in Rekordzeit eingecheckt (von der Ankunft am Flughafen bis zum Gepäck aufgeben max. 10 Min.) und das alles nach dem Fielmann-Motto - keine Pfennig dazu gezahlt. Man sagt sonst, auf hoher See und vor Gericht sei man in Gottes Hand - bei Air France scheint man auch nicht weit davon entfernt zu sein, weil die Preisangaben für den Fahrradtransport vorher zwischen 55 und 300 Euro schwankten. Auf der Langstrecke von Paris nach Santigo nahm der Mensch gewordene Hägar der Schreckliche neben mir Platz - übergewichtig, platzraubend und mit unangenehmen Körpergeruch! Herzlichen Glückwunsch. Aber irgendwie hatte eine Stewardess kurz nach dem Start ein Erbarmen mit mir und setzte einen anderen Gast neben mich, der auf seinen gebuchten Fensterplatz bestand - gerade noch mal gut gegangen. Zwischenlandung in Santigo, Gepäck erneut einchecken weiter nach Puerto Montt. Dort nehme ich alles pünktlich, vollständig und heil in Empfang. Vor dem Flughafen dann das Übliche - Fahrrad zusammenschrauben und alles in die Packtaschen verstauen.

 

Langsam kommt Ordnung in das Chaos und das Fahrrad sieht auch schon ganz gut aus

 

Was Air France und LAN Chile nicht geschafft habe, erledige ich diesmal selbst, nämlich mein Fahrrad beim Montieren zu beschädigen. Zu viel Krafttraining muss nicht immer Vorteile haben - das Fingerspitzengefühl leidet und so reiße ich der alten Weisheit folgend "Nach Fest kommt Ab" die Schnellspannachse des Vorderrades ab. Basis-Spanisch und Zeichensprache setzen eine Taxifahrer in Bewegung, mir ein Ersatzteil zu besorgen. Er ist knapp eine Stunde beschäftigt und als ich fast fertig bin, kommt er mit dem richtigen Teil zurück. Der Spaß hat mich einschließlich Ersatzteil, Fahrt und Trinkgeld 10.000 Pesos gekostet - ca. 15 Euro. Alles wird gut.
Ich fahre die 20 Kilometer vom Flugplatz in die Stadt, suche mir ein Zimmer in einem Hostal und abends sitze ich am Hafen und esse pazifischen Fisch!
Puerto Montt ist wirklich kein Ort, der einem zum Verweilen einlädt. Auch auf den zweiten Blick nach zwei Jahren kann ich dieser Stadt nichts abgewinnen. Umso ärgerlicher ist es, dass in der Nacht stürmische Winde aufkommen und am Morgen auch noch Starkregen dazu kommt. Also verlängere ich und bleibe eine zweite Nacht.

Am Mittwoch ist es dann so weit, dass ich die Stadt auf der Panamericana, die hier als Autobahn ausgebaut ist, in Richtung Norden verlasse. Ich möchte den Lago Llanquihue umrunden - eigentlich nur wegen des Vulcano Osorno, der einer der schönsten von Chile sein soll und den ich vor zwei Jahren nur vom Bus aus gesehen habe. Aber wie in einer Burka verschleiert sich der Vulkan mit Wolken und entzieht sich so den Blicken des radelnden Touristen. Nur einmal kann ich einen Blick auf die Spitze des Vulkans erhaschen - ein sehr schwacher Trost.

Spitzenbild von einem der schönsten Vulkane Chiles :-(

 

Abends auf dem Campingplatz direkt am See ist dann internationaler Radfahrertreff. Nicht weniger als 12 Radreisende haben sich hier versammelt - Chilenen, Deutsche, ein Franzose, eine Mexikanerin und ein Brasilianer. Und wieder einmal gehöre ich mit meinen zwei Monaten Zeit zu den Kurzreisenden.
Die Gegend um Puerto Montt ist sehr stark von deutschen Aussiedlern geprägt. Zeugnis hierfür ist nicht nur das Denkmal für die deutschen Einwanderer am Hafen von Puerto Montt, sondern auch die Orte am Lago Llanquihue sind sehr stark deutsch geprägt. Baustil der Häuser, die Namen, deutsche Vereine und Feuerwehr und vieles mehr. Und auch ein deutscher Kuchenladen, an dem ich natürlich nicht vorbei komme...

Das deutsche Wort Kuchen hat tatsächlich Eingang in das chilenische Spanisch gefunden. Aber hier werden in einer unglaublichen Auswahl von einem deutschstämmigen Bäcker Torten feilgeboten.

 

Ich verabschiede mich ein bisschen enttäuscht vom Lago Llanquihue, brachte er mir doch nicht die Aussichten, die ich erhofft hatte. So sind nur ca. 2000 Höhenmeter zusammengekommen und die Beine gewöhnen sich so langsam an die Anstrengungen. Mein Weg führt mich jetzt fast 100 km an einem Fjord entlang, dessen Namen ich nicht in Erfahrung bringen konnte. Die Schotterstraße ist schwer zu fahren, weil es nicht besonders hoch geht, aber immer wieder fordern mich kurze und giftige Anstiege. Dafür müssen die Landschaft und die Straße ein Traum sein - jedenfalls wenn nach den Eindrücken, die ich bei trübem Wetter und tief hängenden Wolken bekomme. Die letzten 20 km vor der Rampa Puelche sind spektakulär. Hier ist die Straße förmlich in den Fels gehauen und üppiges Grün wuchtert an den Berghängen. Aber gerade dieser Abschnitt ist total verregnet und an der Rampa Puelche baue ich mein Zelt bei strömenden Regen auf und auch heute Morgen regnet es noch immer und so kommt das Zelt mit viel Wasser in die Packtaschen. Nie zuvor habe ich so intensiv betriebenen Aquakultur gesehen, wie in diesem Fjord. Ein Wasserfarm folgt der nächsten beidseits der Ufer. Es werden Fisch und Muscheln gezüchtet. Es ist zu befürchten, dass die Wasserqualität dadurch stark leidet, zumal die chilenischen Fischzüchter nicht für ihren sparsamen Umgang mit Antibiotika bekannt sind. Andererseits erspart der regelmäßige Genuss dieser Produkte wahrscheinlich die Einnahme anderer Medikamente...

15% Steigung - obwohl die Strecke schon durch die Felsen getrieben und damit entschärft wurde.

 

Heute habe ich Hornopirén erreicht. Da die Nationalstrasse 7, die Carreterra Austral, auf der ich mich jetzt Richtung Süden bis zu ihrem Ende bewege, keine durchgängige Landverbindung im chilenischen Teil Patagoniens darstellt, obwohl es über große Strecken die einzige Straße ist, muss ich von hier eine Fähre nehmen. Bei meiner Ankunft war für die Fahrt morgen kein Platz mehr vorhanden - ausgebucht. So stehe ich auf der Warteliste und werde rechtzeitig am Anleger stehen, um mit Glück noch einen Platz zu ergattern. Ansonsten verbringe ich hier eine weiteren Tag. Die Beine werde es danken, der Ort lädt allerdings nicht dazu ein, länger als nötig zu bleiben. Ihr könnt mir ja mal die Daumen drücken.

Auch wenn ich viel über Regen geschrieben habe, den obligatorischen Sonnenbrand am Anfang einer jeden Reise habe ich mir auch schon weggeholt, denn überwiegend waren die Bedingungen zum Rad fahren gut

 

Am Sonntagmorgen stehe ich nun pünktlich am Fähranleger - nein, es ist kein Platz frei, ich muss warten. Das geht so bis die Fähre mit Lastwagen und Pkw gefüllt ist. Erst als ich mein Fahrrad auf die Rampe schiebe, bekomme ich vom Zahlmeister des Schiffs die Auskunft, dass es kein Problem ist, mitzufahren - und trotzdem: im Büro gibts keine Fahrkarte für mich. Aber es geht auch ohne, bezahlt wird später an Bord!
Nach dem Regen am Vortag verabschiede ich mich von Hornopirén bei schönstem Wetter, der Morgennebel lichtet sich und gibt im Sonnenschein ein herrliches Panorama frei.

Bei Sonnenschein und aus der Ferne ist sogar Hornopirén schön

 

Im Gespräch mit Fabio und Nicole vergehen die sechs Stunden Überfahrt nach Geleta Gonzalo wie im Flug. Hier beginnt der Parque Pumalin. Es ist ein privater Park des Nordamerikanischen Multimillionärs Tompkins, der so groß ist, dass er Chile teilt: er reicht von der Küste bis an die argentinische Grenze. Ein sehr gepflegtes Hobby - spontan sagt Nicole beim Betreten des Cafés am Fähranleger: "This is not Chile!" Und in der Tat unterscheidet sich nicht nur das Café von allem anderen, was ich bisher gesehen hatte. Auch im Park sind die Campingplätze und Wanderwege sehr gut angelegt und sauber - und dazu ohne Eintritt! Eine Wanderung zu einer Gruppe gigantischer Alercen, Bäme, die bis zu 4000 Jahre alt werden können und zu zwei Wasserfällen sind meine Ausflüge abseits der Carreterra Austral, die mitten durch den Park führt. Ich sehe und erlebe, was ich vor zwei Jahren verpasst habe, als der Park wegen des Vulkanausbruchs gesperrt war. 
Die Carreterra Austral ist so etwas wie die A 7 in Deutschland (nur wesentlich länger) als Nord-Süd-Verbindung im chilenischen Teil Patagoniens - eine Lebensader, die aber nicht durchgängig befahrbar ist und auf der sich in einigen Abschnitten vielleicht 50 Fahrzeuge am Tag bewegen - aber nur in der Saison. überwiegend besteht sie aus Schotter, der gerade an den steilen Anstiegen aufgewühlt ist und einem (fast) alles abverlangt.

Die unteren Cascaden der "Versteckten Wasserfälle"

Nicht durchgängig befahrbar meint eigentlich, dass man gelegentlich eine Fähre benutzen muss. Allerdings jenseits von 17% auf losem Schotter geht nur noch schieben!

 

Auf meinem Weg durch den Parque Pumalin komme ich auch an dem Vulcano Chaiten vorbei, der bis vor knapp drei Jahren noch Monte Chaiten hieß, weil niemand wusste, dass sich hier ein schlafender Vulkan verbarg, der dann Teile des Parks und den Ort Chaiten verwüstete. Bilder hierzu könnt ihr in meinem damaligen Bericht sehen, als die ersten Bewohner in die Stadt aurückkehrten. Menschen gibt es inzwischen deutlich mehr als vor zwei Jahren in Chaiten, auch sind die Straßen weitgehend wieder frei geräumt vom Schlamm und der Vulkanasche - es bleibt aber auch noch viel zu tun und viele ehemalige Bewohner haben ihr Eigentum offenkundig aufgegeben.

Der Vulcano Chaiten und sein zerstörerisches Werk - noch immer steigen Rauchwolken aus dem Krater auf.

In Chaiten gibt es noch viel zu tun, auch wenn langsam das normale Leben zurückkehrt.

 

Seit ich in Galeto Gonzalo angekommen bin, ist das Wetter perfekt, machmal schon zu gut, denn die Hitze bei strahlend blauem Himmel macht mir zu schaffen und die zum Teil langen und steilen Berge bei über 30 Grad zu fahren, ist nicht immer ein Vergnügen. Dafür sind die Landschaft und die Sicht grandios und ich erkenne, was ich vor zwei Jahren alles verpasst habe, als die Berge in den Wolken versteckt waren. So darf es gern die nächsten 900 km bis Villa O`Higgins bleiben!
Aber kommen wir nun zu den Gefahren und Risiken hier in Chile, vor denen ich nur eindringlich warnen kann. Verbinden möchte ich diese Warnung mit einem kleinen Grundkurs in Spanisch für potenzielle Chilereisende. Beide Problembereiche sind tierischer Art. Da sind zum einen die Coliguachos (sprich: Koliguawatschos) - read and repeat: Coliguachos! Stechfliegen! Ca. 2-3 cm groß und immer da, wenn die Sonne scheint. Sie umschwirren einen mit lautem Gesumme lassen sich nieder und stechen zu - nicht schwerzhaft, hinterlassen keine juckenden Entzündungen, tauchen aber teilweise zu Hunderten auf und rauben einem den Nerv - besonders dann, wenn man ihnen hilflos ausgeliefert ist, z. B. beim Fotografieren oder bei einer Panne. Dabei dachte ich, ich hätte sie bei meiner ersten Reise ausgerottet, die Restbestände haben aber die Zeit genutzt und sich massenhaft vermehrt. Die Zahl der Erschlagenen dürfte hoch dreistellig sein...
Die andere Plage sind die Hunde! Womit wir bei Teil 2 des Spanischkurses wären: Kiltro (gesprochen wie geschrieben) - read and repeat: Kiltro! Es sind die streunenden Hunde in den Ortschaften, die keinen Besitzer haben und ebenfalls massenhaft auftreten. Radfahrer und Hunde sind ohnehin zwei Paar Schuhe, die nicht zusammen passen. Aber nicht nur, dass man von ihnen verfolgt und angebellt wird - das ginge ja noch! Ihre nächtlichen Unterhaltungen quer durch den Ort, in erster Linie so in der Zeit von 03 - 04.00 Uhr, rauben einem den Schlaf. Und wenn es nur einen einzigen Hund in der Nähe es Campingplatzes gibt, dann kläfft er um diese Zeit wahrscheinlich aus Einsamtkeit. Gegen Hundebisse habe ich mich gegen Tollwut impfen lassen, gegen das Gebell hilft nicht mal Oropax!

Traumlandschaften und Traumwetter - Radler was willst du mehr!

Ein großes Land mit großen, lästigen Fliegen: die Coliguachos

Kiltro! Sie sind überall...

 

Genug gejammert. Ich bin gerade in dem kleinen Ort La Junta und habe eine Mittagspause für diesen Bericht genutzt. Jetzt liegen noch 47 km bis zum nächsten Ort vor mir und draußen scheint die Sonne. Ich bin dann mal wieder auf Achse...

 

Neue Wege

Neue Wege - das betrifft natürlich die Carreterra Austral. Meinen letzten Bericht hatte ich in einer Mittagspause in La Junta geschrieben. Inzwischen bin ich in Cochrane angekommen und lege nach 1200 km meinen ersten Ruhetag ein. Es ist Donnerstag, der 03.02.11 und draußen scheint die Sonne.
In La Junta war ich zusammen mit Julio unterwegs, Journalist aus Santiago. Abends sind wir in Puyuguapi angekommen und haben uns nach einem gemeinsamen Abendessen verabschiedet, weil Julio hier entspannen will - bietet sich auch irgendwie an, denn in der Gegend gibt es einige Thermalbäder. Ich will aber weiter und breche am nächsten Morgen in voller Regenmontour auf - schon beim Start die Höchststrafe - ist doch der Unterschied nur, ob man von innen oder von aussen nass wird. Die Strecke habe ich noch von meiner ersten Tour in Erinnerung und weiß, dass es erst einmal ziemlich lange am Fjord entlang auf recht ebener Strecke leicht voran gehen wird.  Dann aber nach weniger als 12 km der Rückschlag: Ich stehe vor einer gesperrten Strasse, die nächsten drei Stunden geht hier nichts. Die Carreterra Austral wird ausgebaut, es wird gesprengt und erst ab 14.00 Uhr läuft der Verkehr wieder! Es gibt drei Möglichkeiten: Vor der Sperrung im Regen und bei Kälte warten und sich mit den Bauarbeitern mit Händen und Füßen unterhalten - schlecht. Zurück nach Puyuguapi und Kaffee trinken - noch schlechter. Oder als dritte und beste Alternative zwei Kilometer zurück fahren und sich in einer Therme direkt am Fjord entspannen - gesagt getan, die Zeit will schließlich genutzt werden.

Der Weg ist frei gesprengt und ich kann nach drei Stunden Wartezeit weiter in Richtung Süden fahren

Die Alternative zu Regen, Baustelle und Kälte - 42 Grad heißes Wasser und das alles mit Aussicht auf den Fjord - es geht schlechter. Danach noch einen Kaffee und ein Stück Torte und der Regen wirkt gleich viel freundlicher!

 

Auch nach dieser Unterbrechung bleibt mir der Regen an diesem Tag treu. Wie schon gesagt, es geht erst einmal recht leicht weiter, bevor dann als krönender Abschluss des Tages noch mal ein richtig schwerer Berg kommt, den ich dann lieber ohne Regenzeug fahre - besser von aussen nass und kalt als von innen nass mit Hitzeschlag. Gute 500 Höhenmeter in engen Serpentinen wollen überwunden werden. Immerhin geht es auf der anderen Seite genauso wieder ins Tal. Unten angekommen dann "Neue Wege Teil 2"! Hier in der Gegend wurde vor zwei Jahren noch viel gebaut. Inzwischen sind alle Baustellen verschwunden und die nächsten 300 km bis Cerro Castillo fahren sich auf guter Asphalt- oder Betonpiste so leicht, da stören selbst die Berge kaum - aber irdenwie ist das nicht die Carreterra Autral...
Dieses Gefühl kommt erst wieder in den Unterkünften der nächsten Nächte auf. Da ich an diesem Tag spät unterwegs bin, folge ich dem ersten Hinweis auf einen Campingplatz und lande auf einer Viehweide in einem Unterstand - für 2000 Pesos ohne alles bis auf ein bisschen Trinkwasser. Auch das ist okay!

Ein Thema ist bisher immer wieder mal angeklungen, muss aber dringend noch einmal vertieft werden: Das Essen! Unterwegs kann ich kaum genug essen und nutze deswegen auch (fast) jede Möglichkeit der Kalorienzufuhr. Gerade um die Mittagszeit bieten sich dann solche Gelegenheiten der gehobenen Gastronomie an...

Ein Schnellimbiss an der Carreterra Austral und es gibt...

comida rapido - zu gut Deutsch: Fastfood ;-) - hier in der Version des Completo, ein Hotdog mit Avocadopaste. Und hier haben auch die dänischen roten Pölser ein Asyl vor den Vorschriften der EU gefunden!

 

In Villa Mañiguales angekommen gibt es nur noch eines zu tun, die casa de bicicletista zu finden, ein Tipp, der von Radler zu Radler weitergeben wird. Und so suche ich zusammen mit Joan, Professor im Ruhestand aus Barcelona, nach dem Haus, in dem alle Radfahrer umsonst unterkommen und allen Comfort - bis hin zu Internetzugang, warmem Ofen und kalter Dusche - von Jorge bereit gestellt bekommen. Er ist einfach nur Fahrrad begeistert und freut sich, den Reisenden helfen zu können. Er besorgt mir dann auch die Adresse des einzigen Fahrradgeschäftes in Coyhaique, der Provinzhauptstadt, die ich am nächsten Tag erreichen will - mein Fahrradcomputer hat aufgegeben - wahrscheinlich einfach überdreht :-(

Eine Unterkunft der besonderen Art: Die casa de bicicletista in Villa Mañiguales bei Jorge.

 

In Coyhaique versorge ich mich im Supermarkt mit Lebensmitteln für die nächsten Tage und einem neuen, sehr einfachen Fahrradcomputer - keine Höhenmeter, keine Steigung, keine Temperatur. Immerhin hilft er bei der Orientierung und bei der Gesamtfahrleistung. Ich verlasse die "Großstadt" wieder einmal im Regen. Nach einigen Kilometern schließt ein Radfahrer auf einem Klapprad - Verzeihung: Faltrad - zu mir auf. Es ist Bill, Pilot auf Colorado und genauso alt wie ich. Geschwindigkeit, tägliche Fahrleistung und auch das Interesse an der Fotografie stimmen und die Chemie zwischen uns stimmt auch und so fahren wir seither zusammen und wie es scheint, werden wir uns erst in El Chaiten in Argentinien verabschieden, da seine Tour dort enden wird. Noch immer auf der Betonpiste überqueren wir den höchsten Punkt der Tour, den Pass Porteyuelo Ibañez mit 1120m, der in dieser Richtung kein echtes Hindernis darstellt.

Auf dem höchsten Punkt angekommen...

... und in rasender Fahrt geht es talwärts bis Cerro Castillo

 

Ab jetzt folgt Neue Wege Teil 3:
Denn ab jetzt betrete ich Neuland auf der Carreterra Austral. Bei meiner ersten Tour bin ich hier in Richtung Puerto Ingeniro Ibañez abegebogen, jetzt geht's weiter Richtung Süden. Beton und Asphalt gehören von nun an der Vergangenheit an, dafür wird es landschaftlich noch einmal schöner als bisher und auch das Wetter spielt überwiegend mit - ganz ohne Regen geht die Carreterra Austral nun einmal nicht! Über die Qualität von Schotterpisten kann man viel schreiben - nachempfinden kann man sie nicht, man muss sie erleben! Und dabei gibt es auf einem ungefederten Fahrrad einen neuralgischen Punkt...

Der wichtigste Kontaktpunkt zwischen Mensch und Maschine - und Mensch und Maschine passen sich einander an - auch wenn's weh tut...

Auf der Carreterra Austral gibt es keine Ebenen, nur ein ständiges Auf...

... und Ab - und das gilt für alle! Die Art der abgebildeten Fahrzeuge variiert genauso wie die dargestellte Steigung oder das Gefälle. Ein System habe ich nicht erkannt.

Bill und ich vor der Kulisse des Cerro Castillo

 

Dafür entschädigt die Landschaft. Schnee bedeckte Berge, Gletscher, weite Täler mit mäandrierenden breiten Gletscherflüssen wechseln sich ständig ab und bald folgen wir dem Ufer des Lago General Carrera, des zweitgrößten Sees Suedamerikas, der auf der argentinischen Seite Lago Buenos Aires heißt. Spektakulaär ist sein türkisfarbes Wasser. Die Ursache für die Farbe sind die vielen Gletscherflüsse, die ihn speisen.

Weite Täler, Berge, Flüsse - und Sonnenschein!

Begegnung auf der Carreterra Austral

Und noch mehr Landschaft...

 

Die Höhlenmalereien bei Cerro Castillo bleiben uns verwehrt, diese nationale historische Monument ist bei unserer Ankunft noch geschlossen, der Umweg war vergeblich - und auch umsonst. Also fahren wir 150 km weiter nach Puerto Rio Tranquilo. Dieser kleine Ort mitten im Nirgendwo ist ein kleiner touristischer Kristallisationspunkt, weil man von hier zum einen an einen Gletscher des Campo Helio Norte fahren kann - 50 km Oneway - nein danke. Wir entscheiden uns für die bequemere Alternative, eine 1 1/2stündige Bootstour auf dem Lago General Carrera zu den Marmorgrotten - seht selbst und entscheidet, ob sich die 7,50 Euro gelohnt haben - mal abgesehen von der Pause.

Die Marmorgrotten bei Puerto Rio Tranquilo

Und man bekommt auch einen Eindruck von der Farbe des Wassers des Lago General Carrera

 

Wie (fast) immer, wenn man sich unterwegs solche kleinen Extratouren gönnt, steht man vor der Frage, den Tag an diesem Ort zu beenden oder ob sich die Weiterfahrt lohnt. Da Bill und ich zu den Vielfahrern gehören, radeln wir natürlich weiter. Der einsetzende Regen und die Aussichtslosigkeit, eine Ort mit Unterkünften oder einem richtigen Campingplatz zu erreichen, treiben uns in eine Scheune auf freiem Feld. Nur das Trinkwasser ist hier ein Problem und so müssen wir mit dem Eigentümer der Scheune aus dem Gemeindehaus Wasser für das Nötigste holen.

Immerhin trocken...

und in Deutschland würde man das ganze als Heuhotel bezeichnen und es wäre schon wieder schick, so zu übernachten...

...und so hat auch der Eigentümer der Scheune scheinbar diese Marktlücke entdeckt und hält am nächsten Morgen die Hand auf und verlangt von uns zusammen 5000 Pesos - geht in Ordnung!

 

Wir verlassen den Lago General Carrera und überqueren seinen Abfluss in Richtung Lago Bertrand, der seinerseits wieder in den Rio Baker entwässert wird. Dieser hat auch dieses einmalig schöne Türkis und windet sich durch die Landschaft. Seinem Lauf werden wird jetzt bis zu seiner Mündung bei Tortel folgen. Was aus der Karte so leicht und nett anzusehen ist, eine Straße immer am Flussufer entlang - man denkt fast automatisch an Weser- oder Donauradwanderweg - entpuppt sich als übelste Schinderei auf Steigungen, die zum Teil grenzwertig sind: Läßt man das Körpergewicht auf dem Hinterrad, droht das Vorderrad abzuheben, verlagert man Gewicht nach vorn, beginnt das Hinterrad durchzudrehen. Aber auch diese Hindernisse sind aus dem Weg geräumt und in Cochrane sind wir für zwei Nächte eine Hospedaje eingezogen und lassen es uns gut gehen - die Beine danken es!!!

Die Brücke überquert den Absfuss des Lago General Carrera in den Lago Bertrand

Die unglaubliche Farbe des Rio Baker!

Und er hat sich so tief in die Landschaft hineingefressen, dass die Straße - leider - immer weit über ihm durch die Berge geführt wird

 

Noch einmal eine kurze Rückblende zum Thema Hunde: Wie das Bild unten zeigt, kann man sich die Hunde hier auch zum Freund machen und sie auf sein Fahrrad aufpassen lassen. Okay. Ich würde aber nicht so weit gehen, wie ein italienischer Radfahrer, der uns entgegenkam und von einem Hund seit Cochrane begleitet wurde und der nach Angaben von Einheimischen wahrscheinlich zurück nach Hause wollte - nach Cerro Castillo, etwa 300km. Der Italiener war ein echter Tierfreund, versorgte den Hund doch mit ca. 1 kg Futter pro Tag und da das Tier eine schlechtere Kondition als der Radler hatte, durfte er, wenn er erschöpft war, im Anhänger Platz nehmen und die Packtasche wanderte auf das Fahrrad - 20 kg Zusatzgewicht. Wie gesagt: echte Tierliebe!!! Man trifft eben viele interessante Menschen auf so einer Tour.

Wach- oder Schlafhund fuer das Fahrrad?

 

Soviel für heute. Die nächsten Tage werde ich wohl wieder auf die Inseln der Internet- und GSM-freien Welt verschwinden - noch ca. 250 km bis zum Ende der Carreterra Austral liegen vor mir - Bill und ich sind guter Dinge und spätestens aus Argentinien gibt's dann wieder Neues in Wort und Bild. Bis dahin - hasta proxima

Und jetzt noch einer für Kenner der StVZO: Eisenbereifter Möbelwagen war gestern - heute ist gummibereifter Holzkarren :-)

 

El fin del mundo - das Ende der Welt

 

Bis ans Ende der Carreterra Austral

Es ist geschafft! Die Carreterra Austral bin ich von ihrem Anfang in Puerto Montt bis ans Ende ich Villa O'Higgins auf eigenem Reifen gefahren - 1250 km (und mit ein paar Extraschleifen sind es ca. 1500 km geworden).

Auf dem Weg nach Süden machen Bill und ich einen Abstecher nach Tortel - einem Ende der Welt, dass erst vor gut 10 Jahren durch eine Stichstraße an die Carreterra Austral angeschlossen wurde. Bis dahin war der Ort nur über den See- oder Luftweg erreichbar! Der Weg dorthin ist ganz gut zu fahren - allerdings gibt es unterwegs so ziemlich nichts. Der einzige "Campingplatz" an der Strecke war eine feuchte Wiese ohne Toiletten, Dusche oder sonstigen Comfort, sollte dafür aber 13.000 Pesos für zwei Zelte kosten! Nein Danke - da campen wir denn doch lieber wild an einer wunderschönen Flussbiegung.

Zum Glück gibt es überall fließendes Trinkwasser - direkt von den Felsen...

... das zwar aussieht, wie schon mal getrunken, aber nie Probleme bereit hat - auch ohne Filter oder Sterilisation

 

Warum Menschen sich in Tortel angesiedelt haben, bleibt mir ein Rätsel! Wir hatten richtig gutes Wetter, das heißt hier, es hat mal einen ganzen Tag nicht geregnet. Der Untergrund ist überall matschig und deswegen sind alle Häuser und Ortsteile über schier endlose Holzstege und Treppen miteinander verbunden - da ist es schon ganz gut, sich gleich am Ortseingang eine Unterkunft zu suchen - der Campingplatz befindet sich am entgegengesetzten Ende und ist daher mit dem Fahrrad unerreichbar! Das schöne Wetter gibt sogar Gelegenheit zu einer Wanderung auf den Hausberg, die nicht ohne nasse und matschige Füße abgeht, dafür aber mit einem schönen Ausblick auf die Mündung des Rio Baker belohnt wird.

Endlose Boardwalks erschließen den letzten Winkel von Tortel...

...nicht nur über die Berge, sondern auch über die Buchten, auf die sich der Ort erstreckt.

 

Wir verlassen die Sackgasse bei Tortel und fahren von dort zum Puerto Yungay. 43 km als Tagesetappe sind kein Problem - auch wenn auf der Strecke noch ein langer, giftiger Berg auf uns wartet - dafuer entschädigt wiederum die herrliche Berglandschaft und der Wind hilft auch. Die kostenlose Fähre zum Puerto Rio Bravo fährt erst am Abend und so sind ein paar Stunden Warten angesagt. Diese Pause wird unterbrochen durch eine Begegnung mit einer dieser kuriosen Fahrradtypen, die man unterwegs so trifft. Bill und ich sitzen bei Tee und Kaffee am Fähranleger als ein irischer Radler einen starken Auftritt hinlegt: BMX-Helm, 3/4-Camouflagehose, rasierter Schädel und extrem cooler Auftritt. Er ist in 19 Tage (!!!) von Santiago hierher gefahren - Respekt! Jetzt will er noch die letzte Etappe von hier nach Villa O'Higgins, um auch das Ende der Carreterra Autral zu sehen. Danach will er von hier mit der Fähre nach Chiloe! Diese Fährverbindung gibt es aber nicht und ein Blick auf sein Ticket verrät, dass er eine Überfahrt von einem Hafen gebucht hat, der gut 500 km weiter nördlich liegt - in drei Tagen! Genauso stark wie sein Auftritt war, ist auch sein Abgang. Nach einem Tee setzt er seinen Helm auf, setzt sich auf sein Rad und fährt wieder in die andere Richtung zurück...
Wir nehmen die Fähre und übernachten am Puerto Rio Bravo in dem Wartehaus - sehr komfortabel und das einzige Gebäude weit und breit. Am nächsten Tag wollen wir die knapp 100 km bis Villa O'Higgins angehen.
Zwei sehr lange und steile Berge liegen auf der Strecke, aber ein starker Rückenwind schiebt kräftig. Aber heute ist Pannentag! Zuerst hat Bill einen Platten, dann ich - Snakebite, diese elende Kombination aus Schotter, zu schneller Fahrt, Unaufmerksamkeit und zu niedrigem Luftdruck. Schließlich muss Bill noch ein zweites Mal zum Werkzeug greifen und einen zweiten Platten beheben.

Der Schotter fordert seine Opfer...

...zwei parallele Löcher, die die Felge in den Schlauch geschlagen hat: Snakebite - kein Beinbruch, nur nicht so einfach zu flicken.

 

Bei strahlendem Sonnenschein fahren wir dann in die letzte Ortschaft an der Carreterra Austral ein und quartieren uns im El Mosco ein - dem Treffpunkt aller 300 - 400 Radfahrer, die jährlich hier die Grenze zwischen Chile und Argentinien überqueren. Die Hiobsbotschaft ist allerdings, dass die Fähre über den Lago O'Higgins am übernaechsten Tag ausgebucht ist und eine Warteliste besteht - statt Mittwoch erst Sonnabend:-( Der erste Weg führt Bill und mich in die Agentur. Bill hat vor Wochen reserviert - alles klar. Ich auch ;-) und wir reisen zusammen und wollen gemeinsam ein Pferd für den Grenzübertritt mieten - Notlüge, aber erfolgreich. Ich verlasse die Agentur mit einem Ticket für den übernächsten Tag in der Tasche, inclusive einem Abstecher zum Gletscher O'Higgins und der Fähre über des Lago del Desierto in Argentinien! Glückes Geschick!
Im El Mosco sind schon andere Radfahrer untergekommen und so schließen wir uns mit Bud und Eric - ebenfalls in unserem Alter und auch beide aus den Staaten - zusammen und verbringen den Ruhetag mit einer Wanderung in der Umgebung von Villa O'Higgins.
Am kommenden Morgen verlassen wir gleichzeitig zu neunt das El Mosco und fahren die 8 km zur Fähre, die eigentlich ein Ausflugsschiff ist und eben auch Radfahrer und Trecker auf die andere Seite des Sees bringt.

Traumwetter und Traumland am Ende der Welt - mit etwas Phantasie kann man am Fuss des Berges auch den kleinen Ort Villa O'Higgins erkennen.

Neun Radler machen sich auf das letzte Stück zum Grenzübertritt nach Argentinien

Keine Wolke stört das Bild - strahlender Sonnenschein! Nur das Temperaturempfinden ist unterschiedlich ;-) Bud, Eric, ich und Bill

 

Die Fahrt über den See ist bei diesen Wetterverhältnissen ein Traum und am Ende wartet der Gletscher, der direkt in den See kalbt.

Am Ende eines der unendliche lange Seearme erwartet uns der Gletscher O`Higgins...

...und er tut uns auch den Gefallen, vor unseren Augen kleine Eisberge in den See zu kalben.

 

Am späten Nachmittag verlassen wir das Schiff bei Candelario Mansilla, einer einsamen und abgelegenen Estancia. Hier kommen wir für die letzte Nacht in Chile unter. Bud und Eric - Perfektionisten - haben vorgebucht und im Voraus gezahlt, aber auch Bill und ich kommen problemlos unter. Von hier aus beginnt der schwerste Teil der Strecke: 22 km die sich viel Arbeit bedeuten. Zugegeben, wir sind Weicheier. Wir haben zwei Pferde gebucht, die unser Gepäck die 22 km zum Lago del Desierto in Argentinien bringen sollen. Andere machen das allein. Aber für 10.000 Pesos pro Nase, umgerechnet ca. 15 Euro, wollen wir uns diese stundenlage zusätzliche Schinderei nicht antun. Die Entscheidung war richtig! Nur Bud und Eric habe diesmal Pech. Die im Voraus bezahlten Zimmer und der Preis für das Pferd stehen nicht auf der Quittung der Agentur und das heißt doppelt zahlen - Telefon, SMS, E-Mail zum Nachfragen sind hier ungefähr so weit weg wie der Mond...

Das Abendessen hängt (fast) fliegensicher draußen in der Sonne...

...und zum Frühstück auch noch einen Kostprobe des Mate

Es ist nicht alles fahrbar - der Straßenbelag, die Steigungen,

die Brücken...

 

Aber solange wir in Chile sind, gibt es immerhin noch so etwas wie einen Weg. Nach unserem Grenzübertritt nach Argentinien verläuft sich dieser in einen Trampelpfad im Wald, der sich über etwa 7 km hinzieht und nur noch zu schieben ist. Wasserläufe, Wurzeln, umgestürzte Bäume, Sumpf und steile Auf- und Abfahrten machen selbst das Schieben schwer. Dafür öffnet sich der Wald auf einem Mal und vor strahlend blauem Himmel schiebt sich spektakulär und schön der Monte Fitz Roy ins Bild - bessere Bedingungen kann man für dieses Traumziel von Bergsteigern aus aller Welt nicht haben - viele warten tagelang darauf, überhaupt einen Blick auf diesen Berg zu ergattern und wir radeln von jetzt an immer mit diesem Berg vor Augen einen ganzen Tag nach El Chalten!

Irgendwo im Niergends der Grenzverlauf zwischen Argentinien und Chile, der mit großen Tafeln gekennzeichnet ist.

Irgendwie muss man ja rüber!

Zum Glück geht's bergab - diese Rinne ist so tief wie das Fahrrad hoch und zu schmal um richtig zu schieben. Wie geht das in die andere Richtung mit Gepäck?

Monte Fitz Roy vor der Kulisse des Lago del Desierto

 

Direkt am See erwartet uns die argentinische Grenzkontrolle - die letzte Formalität des des Grenzübertritts. Um 18.15 Uhr kommen pünktlich die Pferde mit unseren Packtaschen und nur eine halbe Stunde später sitzten wir auf dem Schiff, das uns zum wieder fahrbaren Schotter in Argentinien bringt.

 

El Chalten wird in den meisten deutschen Reiseführern kaum erwähnt und wenn, dann nur als unbedeutendes Dorf, in dem es kaum etwas gibt und das Ausgangspunkt für Bergsteiger ist, die den Monte Fitz Roy besteigen wollen. Der ist allerdings so spektakulür, dass er inzwischen viele Besucher anlockt. Der Ort ist daher sehr touristisch geworden und es gibt gute Verbindungen nach El Calafate und anderen Touristen-Hotspots hier in der Gegend. Welch ein Unterschied zu der Abgeschiedenheit der südlichen Carreterra Austral, mit der es allerdings auch bald vorbei sein wird, denn von Villa O'Higgins wird an einer Straße gearbeitet, die die Carreterra Austral mit der Routa 40 in Argentinien verbinden wird und sie damit zur Durchgangsstraße macht - wer sie also noch so erleben möchte wie ich, sollte sich beeilen.
Der Monte Fitz Roy bleibt bei unserer Fahrt vom Lage del Desierto den ganzen Tag in vollem Sonnenschein unsere Wegmarke und wir erreichen El Chalten, wo die drei anderen in ihre vorgebuchten Hotels gehen und ich mich auf einem der Campingplätze im Ort einniste. Eine Tag will ich noch zum Wandern hier bleiben. Am Nachmittag gehen wir dann zu viert einen kurzen Weg zu einem Aussichtspunkt, der Berg liegt aber im Schatten der Abendsonne. Heute sind wir dann die insgesamt 24 km und 800 Höhenmeter zum Aussichtspunkt Tres Lagos gegangen. Obwohl das Wetter inzwischen schlechter geworden ist, noch immer ein überwaeltigerder Anblick - leider bisschen zu spät für das perfekte Licht!

Auf geht's...

Der Monte Fitz Roy (rechts) mit seinen Nachbar...

Mirador Tres Lagos - unglaublich die Farbe des Sees

 

Ich könnte jetzt noch viele Bergbilder zeigen - die Eindrücke sollen aber reichen. Heute Abend werde ich mich nach zwei Wochen von Bill verabschieden und dann allein weiter fahren. Der Himmel zieht sich zu und ich habe noch viel vor mir. Am Lage del Desierto stand ein Schild - gut 2600 km bis Buenos Aires, das werde ich auf eigenem Reifen nicht schaffen. Aber ich habe meinen Plan geändert und werde von hier direkt mit dem Wind an die Atlantikküste und dann auf der Routa 3 nach Norden fahren. Die Infos über die Routa 40, die eigentlich fahren wollte, waren zu abschreckend und irgendwie läuft mir die Zeit weg und auf der Routa 3 kann ich mir jederzeit einen Bus nehmen, der mich der Peninsula Vadéz näher bringt.
Also: Ich trausche Berge gegen die Ebene der Pampa, Regen gegen Wind und Wald gegen Steppe. Die Tagesetappen werden jetzt lang und wenn es gegen den ständigen starken Wind geht, auch sehr schwer. Ich werde berichten - bis dann...

 

Pampa, so weit das Auge reicht

Am Sonntagmorgen verlasse ich El Chalten Richtung Osten. Die Berge sind Wolken verhangen und so bleibe ich nicht einmal an dem Mirador stehen, von dem man den wohl spektakulärsten Blick auf den Monte Fitz Roy und seine Nachbarn bei Sonnenaufgang hat.
Kaum hat man den Ort verlassen, ist man in der endlosen Weite der Pampa. Erst noch von Bergen umrahmt und mit dem Lago Viedma zur Rechten, dann nur noch leere Landschaft. Ich habe es so gewollt - der Titel dieser Reise ist ja auch ein Teil des Programms. Ich habe starken Rückenwind und über etwa 140 km funkelnagelneuen Asphalt. Dann biege ich aber von der Ruta 40 ab auf die Nationalstraße 288. Das bedeutet Schotter, aber der Rückenwind bleibt mir erhalten. Und er wird immer stärker. Der Windmesser verrät Basiswind der Stärke 7 mit Sturmböen der Stärke 8.
In Tres Lagos, dem einzigen Ort unterwegs, habe ich bei der Polizei noch einmal Wasser mitgenommen und so kann ich gelassen der Nacht entgegenfahren. Etwas anderes bleibt hier ohnhin nicht zu tun. Es gibt nur ein Problem: Bei dem Wind kann ich das Zelt nicht ohne Schutz in der Weite aufbauen! Und Schutz gibt es hier nicht. Es dauert lange, bis sich ein paar Dornenbüsche am Straßenrand zeigen, hinter die ich mich verkrieche. Der Dung von Pferden und Schafen verrät, dass ich nicht der einzige bin, der diese seltene Deckung nutzt. 223 km hat mich der Wind geschoben! Tagesrekord! Und davon auch noch ein ziemlich großer Teil auf schlechtem Schotter. Elf Stunden im Sattel und ich fühle mich gut. Es ist unglaublich, welche beruhigende Wirkung diese Landschaft ausübt, wenn man genug Wasser und Lebensmittel dabei hat und nicht gegen den Wind kämpfen muss. Hier auf diesem Teil der Querung hin zur Atlantikküste gibt es nicht einmal die sonst üblichen Zäune, die sonst die Straßen säumen. Es ist mir ein Rätsel, wie die Eigentümer in dieser Weite die Schafe wiederfinden, die das Grau der Landschaft annehmen.
Am nächsten Morgen hat der Wind nachgelassen und ich kann das Zelt in Ruhe abbauen. Was dann kommt, habe ich aber noch nicht erlebt! Der Wind findet mich wieder und schiebt mich vor sich her. 8 - 9 Windstärken! Jede andere Windrichtung als direkt von hinten würde das Fahren unmöglich machen! 10 km bewege ich die Pedalen nicht eine einzige Umdrehung und werde mit 30 - 45 km/h geschoben! Auf Schotter! Selbst kleine Anstiege verringern die Geschwindigkeit auf immer noch flotte 20 km/h. Trotz aller Konzentration und trotz Bremsens zerreisst es mir dann doch den hinteren Schlauch. Also wieder Schutz hinter einem Dornenbusch suchen und flicken. Der Wind hat sich ausgetobt und bei Sonnenschein geht es etwas langsamer voran. Völlig überraschend gerate ich in eine 74 km lange Baustelle. Neben der alten Strassen wird eine neue Trasse in die Landschaft gebaut in einer Breite, als solle hier eine sechsstreifige Autobahn entstehen. Dabei fahren hier so wenige Fahrzeuge, dass man sie in der Stunde an den Fingern einer Hand abzaehlen kann. 40 km vor Puerto Piedra Buena ist die Strasse fertig und ich fahre wieder auf Asphalt den Rest der Tagesetappe. Nach nur  zwei Tagen bin ich an der Ruta 3 angekommen. Und der Ort ist auch noch eine positive Überraschung. Ich finde zudem noch einen Supermarkt, der mich nach den Einkaufsmöglichkeiten der letzten Wochen quasi in ein Schlaraffenland versetzt - frisches Obst und Gemüse, Backwaren und, und, und in bester Qualität und reicher Auswahl.
Am nächsten Morgen fahre ich dann auf der Ruta 3 in Richtung Norden - immer geradeaus. Es ist unglaublich, wie lange man einen LKW sieht, bis er irgendwann hinter dem Horizont verschwindet. Der Wind bleibt hilfreich, nur der Verkehr ist lästig bis gefährlich, insbesondere, wenn sich die wenigen Fahrzeuge auf meiner Höhe begegnen oder überholen. Und wenn ein LKW entgegenkommt, hat man das Gefühl, gegen eine Wand zu fahren.
Am Ende des Tages habe ich 500 km Pampa in drei Tagen hinter mich gebracht und bin in Puerto San Julian angekommen. Ich stehe vor der Entscheidung, weiter durch diese Landschaft zu fahren, ober einen Bus zu nehmen. Bis nach Puerto Madryn, wo ich auf die Peninsula Valdéz abbiegen will, sind es ca. 800 km. Wenn es gut läuft fünf Tage, wenn's schlecht läuft zehn oder mehr. Ich entscheide mich für den Bus. Ich habe noch vier Wochen und will nicht einen grossen Teil damit verbringen durch eine immer gleiche Landschaft ohne Abwechselung zu fahren. Der Fahrradtransport ist ein Problem. Die Busse sind voll und damit ist kein Platz im Gepäckabteil. Erst nachts um 03.00 Uhr bekomme ich einen Bus, der mich in 12 Stunden in das heiße, sonnige und von Badeurlaubern bevölkerte Puerto Madryn bringt. Die Entscheidung war richtig - 800 km und immer dieselbe Landschaft und dieselbe spärliche Vegetation! Unglaublich! Von hier sind es noch 100 km auf die Halbinsel Valdéz, wo ich mich ein paar Tage mit der Tierwelt befassen werde. Und da ein Ende der Pampa abzusehen ist, habe ich auch schon für den nächsten Mittwoch von hier Flüge nach Iguazu gebucht - dieses Land ist selbst für die komfortablen Überlandbusse zu groß. Die Fahrt würde bestimmt drei Tage dauern.
Die Bilder zu diesem Bericht werde ich nachliefern, da das Hochladen hier endlos dauert. Ich bin dann mal wieder in der Pampa!

 

Peninsula Valdéz

Am Ende des letzten Kapitels hatte ich Bilder versprochen, die das Geschriebene ein bisschen greifbarer machen sollen. Und es hat sich ein Schreibfehler eingeschlichen (für alle anderen bitte ich hiermit auch gleich um Entschuldigung - ich kämpfe hier mit meiner Feinmotorik und der spanischen Tastatur): Ich hatte geschrieben ein Ende ist abzusehen - falsch: kein Ende der patagonischen Steppe ist abzusehen!

Die Endlosigkeit der Steppe - mehr muss dazu wohl nicht gesagt werden!

Zu schnell für die Kamera! Der Wind schiebt mich mit unglaublicher Geschwindigkeit vor sich her - hier noch auf dem neuen Asphalt der Ruta 40, später mit 30 - 45 km/h über den Schotter der Ruta 288.

Bei Sturmböen wird ein einzelner Dornenbusch zu deinem Freund - anderer Windschutz ist in der Steppe nicht zu finden und auch diese Büsche sind hier eher eine Seltenheit

Bei Piedra Buena erreiche ich den Atlantik - noch nicht die offene Küste, aber immerhin schon mal den Eindruck von Meer. Und es gibt Super-Märkte - mit allem was Herz und Magen des Radlers erfreut :-)

Nachdem ich hier in Puerto Madryn mit dem Bus eingetroffen bin, habe ich mich auf den Weg zur Halbinsel Valdéz gemacht. Der Ausgangspunkt dort ist Puerto Pirámides, im südlichen Frühling bis Dezember ein Ort, der vom Whale-Watching lebt, denn hierher kommen die Südkapper aus der Antarktis, um ihre Jungen zur Welt zu bringen und aufzuziehen. Jetzt liegen alle Boote an Land und die Seelöwen, Seeelefanten und vor allem die Orcas stehen jetzt im Mittelpunkt des Besucherinteresses. Wegen ihres Tierreichtums an Land und im Wasser ist die Halbinsel Biosphärenreservat der UNESCO. Und auch ich bin hier, um die Orcas zu sehen, natürlich am liebsten, wenn sie bis auf den Strand schwimmen, um ein Seelöwenbaby zu vernaschen. Diese Angewohnheit der Orcas gibt es außer hier wohl sonst kaum irgendwo auf der Welt und die Zeit ist auch richtig, die Kinderstube der Seelöwen ist übervoll!
Ausser Puerto Pirámides gibt es keine Orte auf der Halbinsel. Nur einzelne Estancias und die Aussichtspunkte, die von Naturschutzrangern gewacht werden. Das Campen ist nicht erlaubt - alles in Privatbesitz. So mache ich mich am ersten Tag auf den Weg nach Punta Norte, dort, wo die Wahrscheinlichkeit bei Flut am Größten ist, Orcas zu sehen. Zuletzt wurde hier eine Gruppe von fünf Tieren vor drei Tagen gesehen. Im Informationszentrum hatte man mir den Tipp gegeben, 1/2 Stunde vor dem Hochwasser am Punta Norte zu sein. Hochwasser ist gegen 10.58 Uhr und Punta Norte vom Campingplatz 78 km Schotter entfernt - und der Wind ist auch noch gegen mich. Im Radrennsport nennt man das Einzelzeitfahren! Ohne große Pausen fahre ist durch und bin pünktlich zum Höhepunkt der Flut an Ort und Stelle. Nur die Orcas haben sich den Tidenkalender nicht notiert. So bleibt es bei ca. 1500 Seelöwen und einer Bande bettelnder Gürteltiere, die den Parkplatz bevölkert. War ich vorher schon froh, zwei dieser eigentümliche Wesen zu Gesicht und vor die Kamera bekommen zu haben, bevor sie das Weite gesucht und auch gefunden haben - was hier ja nicht so schwer ist - laufen sie einem hier buchstäblich über die Füße. Ein bisschen enttäuscht mache ich mich auf den Rückweg und komme nach 156 km auf dem Campingplatz ziemlich fertig an. Schotter ist übel, Wind auch - weicher Sand und Wind machen einen aber endgültig kaputt! Diese Hetze mache ich nicht noch einmal mit. Drei Tage habe ich mir für Valdéz vorgenommen - plus zwei Tage für An- und Abreise. Morgen wird alles gepackt, 10 Liter Wasser aufgeladen und wild gezeltet!

Eine Gruppe Seelöwen liegt faul am Strand herum...

... und die Babys spielen im Wasser, wo heute keine Orcas auf die kleinen Appetithäppchen lauern

So sieht es aus, wenn die Evolution genug Zeit bekommt, Lebenwesen den gnadenlosen Bedingungen in der Pampa anzupassen. Noch ein Grund, nicht noch mehr als die 1100 km (plus Bus) der letzten neun Tagen hier zu radeln

Sind die Gürteltiere sonst - wie alle anderen Steppenbewohner gegenüber dem Radfahrer - eher scheu, hoffen sie hier auf Fütterung durch die Besucher, die streng verboten ist und durch die Parkranger unterbunden wird.

Noch mehr Weite, dekoriert mit den wenigen Nutztieren, die das Land ernährt. Hier an Ostseite der Halbinsel wechselt der Bewuchs plötzlich und die niedrigen Büsche werden durch karges, hartes Gras ersetzt.

Glückliche Tiere - sie genießen hier die ganz große Freiheit

Windkraft - wenn bei uns mal der Platz für neue Windkraftanlagen knapp werden sollte, ich wüsste da eine Gegend, wo viel Platz und auch genug Wind ist... Aber für wen hier den Strom erzeugen? Den Schafen genügen die Windräder, die das lebensnotwendige Wasser aus der Tiefe holen.

 

Die Strecke zur Punta Delgado ist schwer. Und für die 80 km gebrauche ich fast den ganzen Tag. Dafür werde ich dort so kurz abgefertigt - man könnte auch sagen rausgeworfen - wie ich es noch nie erlebt habe. Ein Hotel- und Restaurantbetrieb am Ende der Welt, bei dem potenzielle Gäste außerhalb der Öffnungszeiten der Küche schon weit vor der Eingangstür abgefangen und des Grundstücks verwiesen werden - und dabei hatte ich mich am Abend vorher noch rasiert und geduscht - so schlimm kann der Anblick nicht gewesen sein!
Also geht es noch ein paar Kilometer weiter und in unmittelbarer Nähe der Steilküste finde ich am Straßenrand einen sehr schönen Platz mit Wind- und Sichtschutz, wo ich mein Zelt aufbaue. Autos fahren hier jetzt nicht mehr. Die Nächte in dieser Weite mit einem sternenklaren Himmel über mir und nur den Geräuschen den Windes, weitab von jeder Zivilisation gehören zu den eindrucksvollsten Momenten auf dieser Reise!

Und irgendwo hört die Weite des Landes einfach auf und geht in die Weite des Ozeans über...

Nur mein Zelt, die Endlosigkeit der Steppe, der Wind und sonst nichts...

 

Am nächsten Morgen fahre ich die kurze Strecke zum nächsten Aussichtspunkt - Caleta Valdéz. Ein paar Seeelefanten, eine schöne Aussicht auf eine lang gezogene Landzunge, die sich vor der Küste erstreckt, alle möglichen Tiere - aber wieder keine Orcas. Soll wohl auch auf dieser Reise nicht sein. Aber immerhin komme ich noch an einer Pinguinkolonie vorbei und obwohl es Mittagszeit ist, sind die Vögel zu Hause und nicht im Meer auf Futtersuche.

Posing auf der Klippe für den Fahrradtouristen - Pinguine sind sehr kooperative Motive ;-)

Ein Fuchs auf seiner morgendlichen Runde...

 

Während ich hier in Puerto Madryn im Internet-Café sitze und dieses Kapitel schreibe, passiert draußen gerade etwas Ungewöhnliches: Es regnet. Dabei wollte ich mich jetzt hier - im wahrsten Sinne des Wortes - aus dem Staub machen morgen mein Fahrrad einpacken und in den tropischen Norden des Landes fliegen. Das mit dem Staub hat sich dann für die nächsten Stunden erst einmal erledigt, die Weite lasse Patagoniens lasse ich trotzdem jetzt erst einmal hinter mir!

Der Staub der Piste  setzt sich überall fest - fast ein Wunder, was so ein Fahrrad - und sein Fahrer - ziemlich klaglos mitmachen

Und noch einmal für alle, die es nicht glauben wollen: Das Land ist flach und weit! Und wer keine langen Geraden mag, wer nicht tagelang die gleiche Landschaft mag, wer nicht mit sich allein sein kann, der sollte nicht herkommen - auch nicht mit dem Auto. Der Unterschied liegt nur in den Kilometern, die man zurücklegt.

Tropent(f)est - die Wasserfälle von Iguazú

Heute (1. März 2011) gibt es mal wieder einen Bericht ohne Fotos, da ich in einem Internetcafé gelandet bin, das zwar über einen recht schnellen Anschluss verfügt, dafür aber den Zugriff auf externe Dateien verweigert - ich liefere nach. Versprochen!
Erst einmal muss ich noch ein paar Sätze über Regen verlieren. Meinen letzten Bericht aus Puerto Madryn endete damit, dass es draußen zu regnen anfing. Dieser Regen hat sich zu einem Gewitter ausgewachsen, wie ich es selten erlebt habe - im Zelt schon gar nicht. Und es hat so gegossen, dass sich der Staub der Pampa als Schlamm auf den Straßen und Bürgersteigen der Stadt wiedergefunden hat. Und der Regen hat mich auch auf der Strecke nach Trelew, von wo ich geflogen bin, nicht mehr verlassen. So weit, so schlecht. Allerdings habe ich inzwischen zum Regen ein etwas zwiespältiges Verhältnis entwickelt. Von Trelew bin ich früh morgens nach Buenos Aires geflogen, nachmittags ging es dann weiter nach Puerto Iguazú. Wieder ein sehr problemloser Flug und obwohl man mir gesagt hatte, ich habe 15 kg Freigepäck, jedes Kilo mehr schlüge mit 12 Pesos zu Buche, habe ich für meine ca. 50 kg nichts extra bezahlt. Die Gründe will ich hier lieber nicht hinterfragen. Und das Fahrrad, diesmal in eine stabile Folie eingewickelt, kam wohlbehalten mit allem anderen Gepäck an und war in Windeseile zusammengebaut. Allerdings kam ich vor dem Flughafen dann auch gleich die tropische Schwüle des argentinischen Nordens zu spüren. Bevor jemand kleinlich wird: Es ist mir schon klar, dass die Tropen zwischen dem nördlichen und dem südlichen Wendekreis, also 23,5 Grad nördlicher Breite und 23,5 Grad südlicher Breite, liegen und dass Iguazú etwa auf dem 25. Breitengrad liegt. Trotzdem - die Vegetation sieht für mich tropisch aus und das Klima fühlt sich ziemlich tropisch an.
Schon auf dem Flug sagte mir meine Platznachbarin, eine Argentinierin aus der Gegend, mit Blick aus dem Fenster, dass ungewöhnlich viel Wasser in der Landschaft stehe und dass es in letzter Zeit sehr viel geregnet hatte. Deswegen ist es auch nicht so heiß, denn sonst erreichen die Temperaturen hier im Sommer 48 - 50 Grad. Nun gut, der Sommer neigt sich dem Ende zu, aber solche Temperaturen sind für micht nicht mehr fahrbar. So gesehen bin ich hier ganz froh über den Regen, der zudem warm ist und die dichte Wolkendecke die Sonne ein bisschen von meiner Haut fern hält.
Ich quartiere mich auf einem Campingplatz am Ortseingang für drei Nächte ein und am nächsten Morgen fahre ich mit dem Rad in den argentinischen Nationalpark. Das Braun-Grau der Pampa liegt hinter mir. Hier ist rundum Grün in allen Farbstufen! Und dazu eine Gräuschkulisse, die nur erahnen lässt, was sich alles in der üppigen Vegetation verbirgt (Viecher, Pilze, Blumen... werden auch im Bild nachgeliefert).
Die Wasserfaelle von Iguazú! Wohl mit die spektakulärsten Wasserfälle der Welt. Auf über zwei Kilometer Länge stürzt das Wasser hier in die Tiefe! Brasilien und Argentinien teilen sich die Wasserfälle, wobei der größere Teil in Argentinien liegt, die schönere Aussicht auf die Fälle sich aber von der brasilianischen Seite zeigt. Diese Attraktion gehört zu den meistbesuchten Touristenzielen in Südamerika - flugzeug- bzw. busseweise treffen sich hier die Touristen aus aller Welt - allen voran natürlich die Japaner. Obwohl ich gleich mit Parköffnung um 08.00 Uhr zur Stelle bin, bleibt das Gedränge nicht aus - aber es gibt nichts zu meckern, ich bin ja auch extra hergekommen, weil hier Wasser über ein Kante läuft. Und dabei bin ich in Chile wohl an bestimmt 100 Wasserfällen vorbeigefahren, ohne auch nur anzuhalten! Aber jeder Vergleich hinkt. Eindrücke lassen sich auch kaum in Worte fassen, insbesondere, wenn man auf der Aussichtsplattform über dem Teufelsrachen steht, wo das Wasser von drei Seiten tosend in die Tiefe stürzt. Unbeschreiblich!
Und jetzt kommt wieder mein Problem mit dem Regen. Nicht genug damit, dass die Kamera immer wieder dem Sprühwasser ausgesetzt ist, es fängt auch noch an zu regnen und die Licht- und Sichtverhältnisse werden schlechter. Zudem ist der Wasserstand des Rio Iguazú so hoch, dass die Bootpendelverkehr zur Isla San Martin, von der man beeindruckende Aussichtspunkte auf die Fälle haben muss, eingestellt wurde. Dieser Shuttle-Service ist im Eintrittspreis inbegriffen. Andere Bootstouren, die extra bezahlt werden müssen, finden statt... Wasserfälle ohne Wasser sind doof, aber auch die Wassermenge auf Wasserfällen hat wohl seine Grenzen.
Nach einer Wanderung sieben Kilometer durch den Regenwald (Pilze und Viecher sammeln) kehre ich in den Park zurück und die Sonne scheint - also alle Wege noch einmal gehen, mit deutlich besseren Bildern.
Am nächsten Morgen: Regen. Also nicht so früh aus dem Zelt, warten, bis es trocken ist und mal eben nach Brasilien radeln. Ca. 20 km zum Park mit der gesamten Ausreise- und Einreiseprozedur auf beiden Seiten - und nachmittags noch einmal das gleiche in die andere Richtung. Aber alles geht zügig und ohne Probleme. Vom Parkeingang - auch hier beträgt der Eintritt umgerechnet ca. 18 Euro - wird man mit Bussen zu den Wasserfällen gebracht. Und wirklich, das Panorama auf die Wasserkaskaden auf der anderen Seite des Grenzflusses ist ueberwältigend! Aber auch hier der Kampf gegen das Wasser auf der Kamera. Und als ich am Parkeingang angelange, kommt die Sonne durch und ich steige gleich in den nächsten Shuttlebus - auch hier eine zweite Runde für die besseren Bilder. Und auch hier hat es sich gelohnt! Man kann also nicht sagen, dass ich meinen Eintritt nicht ausgekostet hätte.

Iguazú liegt hinter mir, nicht abgehakt, sondern in vollen Zügen und mit allen Sinnen genossen. Jetzt kommt die lange Fahrt zurück nach Buenos Aires. Ich habe bei meinem Start in Puerto Iguazú noch gut zwei Wochen Zeit, bis mich Air France wieder nach Hamburg bringt und vor mir liegen ungefähr 1500 km. Noch einmal die Größe des Landes und dieses Kontinents mit dem Rad erleben. Nicht im Bus, nicht mit geschlossenen Augen und zugezogenen Vorhängen, sondern Kilometer für Kilometer die Wechsel der Landschaft, der Vegetation, des Klimas und der Lebensweise der Menschen erfahren. Das ist nicht immer interessant und besondere Highlights gibt es auf dem Weg auch nicht. Die ersten zwei Tage ging es nur bergauf und bergab. Einen Kilometer mit 40-50km/h runter, einen Kilometer mit 8-10km/h rauf. Das ist kraftraubend und man hat das Gefühl, nur bergauf zu fahren. Dazu die schwüle Waerme, sodass ich ständig im eigenen Saft fahre und an die acht Liter Wasser, Saft und Kaffee einfülle und über die Haut wieder verdampfe. Inzwischen bin ich vier Tage und ca. 500 km von Iguazú entfernt und in Santo Tomé angekommen. Muss man wirklich nicht kennen. Folgte ich zuerst dem Rio Paraná, dem Grenzfluss zwischen Argentinien und Paraguay, ohne ihn aber auch nur einmal zu Gesicht zu bekommen (außer an seinem Zusammenfluss mit dem Rio Iguazú am Dreiländereck Argentinien-Brasilien-Paraguay in Puerto Iguazú) bin ich jetzt am Rio Uruguay angekommen, der hier die Grenze zu Brasilien und flussabwärts zu Uruguay bildet. Ihm werde ich ab jetzt bis Buenos Aires folgen. Erst einmal noch auf dieser Seite, später dann in Brasilien und Uruguay, um hoffentlich in etwa 6 - 7 Tagen in mit der Fähre in die Hauptstadt überzusetzen und dort noch ein paar Tage auszuruhen und die Stadt zu erkunden (wann ist eigentlich Karneval???). Die Tropen, die Hügel liegen hinter mir und die Landschaft ist wieder flach und weit. Hier wachsen die argentinischen Steaks! Und heiß ist es auch, denn der Regen ist wieder von mir gewichen und ich kämpfe mit Holz- und Viehtransporten, mit denen ich mir die schmale Strasse teile. Und mit den Fahrern der Überlandbusse, von denen ich überzeugt bin, dass es sich um verurteilte Mörder handelt, die dazu verurteilt sind, den Rest ihres Lebens geradeaus zu fahren - und davon weichen sie keinen Millimeter ab - auch nicht für einen Radfahrer. Also immer Augen und Ohren offen halten und jederzeit bereit sein, auf den Grünstreifen zu flüchten...
Mein erster Ausflug mit dem Fahrrad an den Rand der Tropen liegt hinter mir mit dem Ergebnis, dass ich mich für einigermaßen tropentauglich halte, auch wenn ich als Auslaufmodell kaum genug trinken kann, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen. Die langen Tage auf dem Fahrrad, ich fahre zz. ca. 9 - 10 Stunden pro Tag, haben mich zudem faul gemacht. Ich suche mir abends lieber ein Bett und ein Restaurant, statt mein Zelt aufzubauen und den Kochen anzuwerfen. Aber das bisschen Komfort ist nach dem roten Staub, dem Schweiss und der langen Strampelei mehr als verdient!
Bis zum nächsten Mal - mit Fotos - Jörn

 

Nach einigen langen Tagen auf dem Rad bin ich heute (03.03.11) bei brennender Sonne in Uruguay angekommen und nachdem ich in den letzten sechs Tagen fast 800km gefahren bin, sind die Beine schwer und ich mache heute früher Schluss und habe Zeit, die versprochenen Bilder nachzuliefern. Also erst einmal ein paar Eindrücke vom Besuch in den Nationalparks auf beiden Seiten des Rio Iguazù.

Die Wasserfälle von Iguazù - mitten drin im Rachen des Teufels!

Die Kraft, mit der das Wasser hier in die Tiefe stürzt, ist mit Worten kaum zu beschreiben und auch Bilder stoßen an ihre Grenzen.

Immer nur Ausschnitte aus dem Gesamtspektakeld! Wohl nur aus der Luft lassen sich Wasserfälle in ihrer vollen Größe und Schönheit erfassen - dem Umweltschutz zuliebe verzichte ich darauf Es gibt schon Vogelarten, die sich wegen des Hubschauberlärms hier nicht mehr vermehren!

Auf insgesamt fast drei Kilometer Länge erstrecken sich die zahlreichen Einzelwasserfälle, die wiederum in mehreren Kaskaden in die Tiefe stürzen

Der Teufelrachen von der brasilianischen Seite

Im Flusssystem oberhalb der Wasserfälle haben sich ganz eigene Fischsarten entwickelt - diese Barriere überwindet kein Fisch flussaufwärts!

Füttern verboten - ist aber auch wirklich nicht nötig. Diese possierlichen Kerle sind frech genug und steigen auf die Tische und stehlen bevorzugt die Zuckertütchen zum Kaffee - aber auch sein Essen sollte man gut verteidigen...

Schmetterlinge - überall Schmetterlinge

Und die Echsen haben hier Armlänge und sind auch immer wieder anzutreffen

Die Farben- und Formenvielfalt der Tropen kennt kaum Grenzen!

Pilze suchen im Dschungel - wo Holz verfault, sind sie zum Stelle - und auch sie in einer unüberschaubaren Formenvielfalt

 

Wenn ich im letzten Bericht geschrieben habe, dass auf der Strecke in Richtung Buenos Aires nicht viel Interessantes zu sehen ist, dann habe ich vergessen, dass ich zwei Tage zuvor alte Steine beguckt habe. Bisschen despektierlich für ein UNESCO-Weltkulturerbe. Denn direkt an der Strecke liegt die besterhaltene Jesuitensiedlung, die hier vor ca. 500 Jahren gegründet und später auf Weisung des spanischen Königs verlassen werden musste. Reduktionen wurden diese Missionssiedlungen genannt und San Ignazio Mini ist die umfangreichste und in Teilen wieder rekonstruierte Siedlung mitten in der Ortschaft San Iganzio.

San Ignazio Mini - hier Teile des ehemaligen Kirchenportals - mitten im Urwald.

Die rekonstruierte Siedlung gibt einen guten Einblick in das Leben und das Wirken der Jesuiten - das Ganze wird zudem in einer gut gemachten Videoinszenierung in der Nacht dem Besucher näher gebracht.

Zahlreiche andere Reduktionen in der Region hat sich der Regenwald zurück geholt

Nicht nur Weltkulturerbe der UNESCO, sondern auch Biotop für zahlreiche Echsen...

 

Jetzt bin ich aber wirklich auf der Strecke und versuche, meine Tagesetappen so zu planen, dass ich abends immer in einer größeren Ortschaft ankommen - es ist mir in einem 10.000-Einwohner-Ort schon passiert, das es nichts, aber auch rein gar nichts an Übernachtungsmöglichkeiten gab. Außerdem möchte ich schnell nach Buenos Aires, um die Stadt noch ein bisschen zu erkunden und mich zu erholen. Also hier noch ein paar Bilder von unterwegs.

Nach den Wochen im Süden, wo gutes, frisches Obst und Gemüse Mangelware sind, komme ich an so einem Stand nicht vorbei...

...und eine frische Ananas im Gepäck ist immer eine gute Idee. Wie heißen eigentlich diese Früchte, die so ähnlich aussehen, wenn sie bei uns verkauft werden aber nach nichts schmecken? So wie diese müssen sie schmecken - auch wenn eine einzelne Ananas ein bisschen zu wenig ist :-)

Fahrrad fahren ist bei diesen Temperaturen eine Schweiß treibende Geschichte - und das wissen auch die Schmetterlinge, die mich bei einer Pause besetzen, um sich mit Mineralien zu versorgen

Südamerika ist für Oldtimerfreunde ein Paradies - und sie sind auch auf den Straßen zahlreich unterwegs!

Einen Reifenservice zu gründen, scheint eine gute Geschäftsidee zu sein. Wie ist sonst zu erklären, dass auf 1000 km ca. 500 Gomerias kommen - Reifen halten eben viel länger, als man in Europa denkt, allerdings nicht so lange, wie man in Südamerika hofft!

Eine Teeplantage - die Landschaft ist flach wie in Patagonien, die Nutzung aber vielfältig. Reis, Hirse, Mate-Kräuter, Getreide und vor allem Rinderweiden wechseln sich ab. Und der Wald an der Strecke ist jetzt kein Regenwald mehr, sondern nur noch Pinienplantagen, die in zahlreichen Sägewerken zerkleinert werden.

Ohne Mate geht nichts! Kinder bekommen Mate schon ab dem 3. Lebensjahr und Menschen mit dem Matebecher und einer Thermoskanne heißem Wasser sind üblich im Straßenbild oder am Lenkrad ihres Autos. Ein Laden ohne eine reiche Auswahl an verschiedenen Matesorten kann wahrscheinlich dicht machen.

Nichts Ungewöhnliches - ein Heißwasserautomat, wo man für kleines Geld seine Thermoskanne für den Mate auffüllen kann

Landwirtschaft in anderen Maßstäben - einer von vielen Getreidespeichern in Brasilien. Zurzeit wird Reis gedroschen.

Die Brücke zwischen Brasilien und Uruguay bei Bella Uniòn am Dreiländereck Brasilien-Argentinien-Uruguay. Die letzten gut 500 km bis nach Buenos Aires will ich auf den ruhigen und sicheren Straßen Uruguays fahren und so auch den Großstadtverkehr der Millionenstadt umgehen. Mit einer Fähre werde ich dann mitten im Stadtzentrum ankommen.

Durch Uruguay nach Buenos Aires

 

Ich bin am Ziel angekommen! Die letzten Tage habe ich mir Buenos Aires angesehen und morgen geht es zurück in den Norden. Zeit, noch einmal über das Gesehene und Erlebte zu berichten.

Das letzte Mal hatte ich mich aus Bella Union gemeldet, als ich die Grenze zwischen Brasilien und Uruguay überquert hatte. Die Wahl ist deswegen auf diese Route gefallen, weil ich so linksseitig des Rio Uruguay bzw. nach seinem Zusammenfluss mit dem Rio Paranà des Rio de la Plata fast bis Buenos Aires fahren kann, ohne mich durch den  Großstadtverkehr quälen zu müssen. Diese Entscheidung war goldrichtig! Auf guten Straßen, ohne nennenswerten Verkehr, bin ich fünf Tage durch Uruguay gefahren. Zu berichten gibt es darüber wirklich nicht viel. Uruguay ist selbst gegenüber den ländlichen Gebieten Argentiniens noch einmal eine Entschleunigung. Hier gehen die Uhren anscheinend langsamer und zeitweise bleiben sie wohl auch mal stehen.

Uruguay bietet dem Auge auf der Strecke parallel zum Rio Uruguay nicht viel Abwechselung. So ist es immerhin angenehm, dass der Wind mich überwiegend sanft in Richtung Buenos Aires schiebt.

Der schwache Straßenverkehr stört nicht - auch nicht die Töpfervögel, die auf Strommasten und auch schon mal auf einem Verkehrszeichen ihre Nester bauen.

Nicht weniger kunstvoll, aber wesentlich größer sind die Mehrfamilienhäuser der Papageien in den Eukalyptusbäumen an der Strecke (oben rechts ist auch jemand zu Hause). Nur ruhig geht es bei ihnen nicht zu, eine Krähenkolonie ist dagegen ein Hort der Ruhe.

Morbider Charme ist wohl die freundliche Umschreibung dessen, wie sich in den älteren Teilen vieler Orte präsentieren.

Oldtimer gehören in Uruguay zum Straßenbild - nicht nur wie hier bei diesem Händler antiker Fahrzeuge. Darunter sind viele gepflegte Schmuckstücke zu finden

 

In Paysandù gelange ich wieder direkt an den Rio Uruguay, der hier auf die stattliche Breite von ca. 3 km angewachsen ist und auf dem große, seegängige Schiffe verkehren. Hier laden sie in den schier unüberschaubaren Getreidespeichern und -silos die Ernte der Bauern der Region. Gleichzeitig finden sich immer mehr Sandstrände und der Tourismus entlang des Flusses nimmt immer mehr zu. Auch wenn der Fluss beladen durch Sedimente braun ist, soll das Wasser - anders als in Buenos Aires - eine gute Qualität haben und viele Menschen baden und angeln hier.
Je näher man den Hauptstädten Montevideo und vor allem Buenos Aires kommt, desto vielfältiger und auch hochwertiger wird das touristische Angebot. Da finden sich schon mal Golf- und Poloplätze, eine Poloschule und verschiedene Luxushotels internationaler Hotelketten.
Das gilt auch für mein Ziel Colonia del Sacramento, das Buenos Aires am Rio de la Plata gegenüber liegt und von vielen Argentiniern dank der Fährverbindung gern für Kurzurlaube genutzt wird. Allerdings sind auch die Preise dementsprechend und wegen des Karnevals, der für viele Menschen arbeitsfreie Tage mit sich bringt, ist es schwer, eine Unterkunft zu finden. Mit etwas Glück komme ich in einem sehr gut geführten Hostel unter und am nächsten Tag geht es mit der Schnellfähre in einer Stunde nach Buenos Aires, wo ich mitten im Stadtzentrum ankomme.

Die Strecke von Puerto Iguazù nach Buenos Aires sieht auf der Gesamtkarte von Argentinien so kurz aus, ist aber tatsächlich gut 1400 km lang!

Eine aufwendig renovierte historische Altstadt, gepflegte Hotels und Restaurants und lange Sandstrände machen Colonia zu einem geliebten Ferienort

Sonnenuntergang am Rio de la Plata. Nur bei sehr guter Sicht kann man die Skyline der etwa 40 km entfernten Metropole Buenos Aires erkennen.

 

Versuch einer Annäherung an Buenos Aires

Vier Tage bleiben mir nach meiner Ankunft, um Buenos Aires zu erkunden. Das reicht, um einen Eindruck zu bekommen, ist aber auf jeden Fall viel zu wenig, um diese Stadt kennen zu lernen. Deswegen erspare ich es mir, diesen Versuch zu unternehmen und will hier nur einige Eindrücke und Impressionen wiedergeben, die ich in dieser Zeit gesammelt habe.
Buenos Aires ist groß! Auch mit Zahlen und Fakten will ich nicht langweilen, aber nur um die Dimensionen zu verdeutlichen: Argentinien ist ca. acht Mal so groß wie Deutschland, hat aber mit 39 Millionen Einwohnern leben hier weniger als halb so viele Menschen wie bei uns. Und von diesen 39 Millionen Argentiniern lebt wiederum fast jeder Dritte im Großraum Buenos Aires. Die Stadt selbst hat ca. 3 Millionen Einwohner, der Großraum weitere 9 Millionen! Und das merkt man! Argentinien, das ist Buenos Aires, wird von vielen behauptet - Ähnliches sagen die Chilenen auch über Santiago. Nach allem was ich gesehen habe, ist Argentinien deutlich mehr, als es auf die Hauptstadt zu reduzieren, allerdings ist hier die pulsierende Metropole und vieles ist wirklich nicht mit dem Rest des Landes vergleichbar! Eine Stadt der Kontraste: alt und neu, arm und reich, heruntergekommen und hochmodern und effizient. Nein, vier Tage reichen nicht aus, um diese Stadt zu ergründen und so bleibe ich auf den Touristenpfaden und nutze die Zeit auch, um mich ein bisschen von den Strapazen der letzten Wochen zu erholen.

 

Untergekommen bin ich in einem einfachen Hotel mitten im Stadtzentrum, in der Avenida de Mayo. Vieles lässt sich von hier gut zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen. Hier zahle ich zum ersten Mal für ein Hotelzimmer für mein Fahrrad! In einem Einzelzimmer ist angeblich nicht genug Platz für ein Fahrrad und auch sonst gibt es in dem Hotel keine Raum, um das Rad sicher unterzustellen - das ist sogar glaubhaft. Also zahle ich einen Aufpreis für ein Doppelzimmer für mich und mein Fahrrad. Ansonsten hat das Rad hier ausgedient. Diesem Verkehr setze ich mich nicht mit dem Rad aus. Nur ein Beispiel: Ca. 100 m vom Hotel entfernt kreuzt die Avenida de Mayo die Avenida 9 de Julio. Diese hat hier 20 Fahrstreifen, die noch einmal durch drei breite Grünstreifen unterteilt werden und so kommt die Straße auf eine Gesamtbreite von angeblich 125m - unglaublich, und die Straßen sind voll! Ich gehe davon aus, dass die im Straßenverkehr der Stadt ums Leben gekommenen Radfahrer nicht in der Verkehrsunfallstatistik auftauchen, sondern die Suizidrate der Stadt nach oben treiben.

Die U-Bahn, die hier Subte genannt wird, ist eine gute und preiswerte Alternative im Großstadtverkehr zum Fahrrad. Eine Fahrt kostet umgerechnet ca. 20 Cent und man kann beliebig oft umsteigen.

 

Im Zentrum findet man unendlich viele alte Gebäude, die den Glanz und den Reichtum vergangener Zeiten des Landes zeigen - Argentinien zählte einmal zu den reichsten Ländern der Erde. Zum Teil verfällt die Bausubstanz, dafür entstehen an anderer Stelle neue, hochmoderne Gebäude, wie sie in allen Metropolen der Erde zu finden sind und den neuen Reichtum symbolisieren, der trotz Wirtschaftskrise und Inflation auch hier sichtbar vorhanden ist.

Der Springbrunnen und eines der vielen Denkmäler der Stadt vor dem Kongressgebäude.

Ein Muss: Das Teatro Colon - eines der weltweit besten Opernhäuser, in dem mit Luxus geprotzt wurde. Die Besichtigung war aber ein bisschen enttäuschend - bis auf das Foyer Fotografierverbot, auf der Hauptbühne Beleuchtungsproben für die neue Spielzeit, deswegen der Raum im Dunkeln nur schemenhaft erkennbar und wegen der Produktion waren auch die Werkstätten und Magazine nicht Teil der Führung - aber all das erfährt man erst, wenn man sein Ticket gekauft hat und die Führung bereits angefangen hat.

Alt und neu - selten so direkt kombiniert, wie hier an der Plaza Lavalle, wo der Turm eines baufälligen Hauses in das neue, moderne Bürogebäude integriert wurde.

Eines der Symbole des neuen Reichtums im Land, die Konzernzentrale der Ölgesellschaft Repsol YPF, Teil der imposanten Skyline des neu gestalteten Stadtteils Puerto Madero

Ein neues Wahrzeichen für die Stadt, die Drehbrücke Puente de la Mujer im Puerto Madero, denn die alten Hafenbecken, um die herum neue Geschäfts- und Wohnhäuser entstanden sind, werden heute als extravagante Yachthäfen genutzt.

Man fühlt sich an die Hafencity in Hamburg erinnert, wenn man im Puerto Madero die Backstein-Lagerhäuser sieht, in denen heute sehr gute Restaurants ihre Gäste verwöhnen.

So wohnt man, wenn man es sich leisten kann - alle Häuser sind mit Zäunen gegen Unberechtigte abgeschirmt, der gesamte Stadtteil wird elektronisch überwacht und Dienstpersonal gewährleistet ein Rundum-sorglos-Paket.

Wer etwas auf sich hält, hält sich einen Hund - und lässt ihn von einem Profi Gassi führen. Ein alltägliches Bild, wenn man in den Wohngebieten der wohlhabenderen Teile der Bevölkerung Buenos Aires unterwegs ist.

Und noch eines der neuen Wahrzeichen der Stadt, die Floralis Generica, eine 18 m hohe Metall-Blume, die sich automatisch bei Dunkelheit schließt.

Eines der zahlreichen Denkmäler in der Stadt - und sie sind alle monumetal. Wer es in diesem Land zu etwas gebracht haben will, für den sollte mindestens ein Denkmal in der Hauptstadt herausspringen, eine Straße und/oder ein Platz sollte nach einem benannt worden sein und...

ein Begräbnis auf dem einzigartigen Friedhof von Recoleta sollte auch drin sein. Hier wurden Präsidenten, Generäle, Denker und Dichter und - natürlich - der Geldadel bestattet. Bis über den Tod hinaus wird so die eigene Bedeutung unterstrichen.

Eines der schlichteren, dafür aber mit am meisten besuchten Gräber, ist die Ruhestätte der Evita Peron.

Aber nicht nur Denkmäler und protzige Grabstätten sollen das Vergessen der Toten verhindern. Seit 1976 demonstrieren jeden Donnerstag die Madres de la Plaza de Mayo vor dem Präsidentenplalast, um auf das Verschwinden von 30.000 Menschen während der Militärdiktatur aufmerksam zu machen und die Aufklärung des Schiksals ihrer Männer und Söhne zu fordern.

Buenos Aires ist auch eine der bedeutendsten Kunst- und Kulturmetropolen Südamerikas, wenn nicht der Welt, und zahlreiche Theater, Museen und Ausstellungen bieten für jeden Geschmack etwas. Hier lockt das Recoleta Centro Cultural mit Kunst und Kommerz, denn in den Arkaden finden sich Geschäfte anspruchsvoller Ware.

 

Heute am Sonntag stand noch einmal Touristenprogramm auf dem Plan. Flohmarkt in San Telmo, La Boca mit seinen bunten Häuser, Tango auf der Straße und - natürlich, auch für einen Nichtfußballer - das Fußballstadion der Boca Juniors, mitten im Wohngebiet. La Boca, das ist Touristenjahrmarkt, nichts ist in den wenigen Straßenzügen, durch die die Touristen geschleust werden, echt, alles nur Kommerz. Und in diesem Stadtteil ist es mir am letzten Tag der Reise denn auch das erste Mal passiert, das ich von Einheimischen angesprochen werde, als ich, ein bisschen abseits des kleinen Touristenzentrums, meine Kamera herausholte, ich solle die Kamera doch lieber einstecken und zurück auf die Hauptstraße gehen, das Viertel sei gefährlich und ich könne ausgeraubt werden - Sonntagvormittag in La Boca!
Ein Thema darf ich wohl nicht verschweigen, wenn ich aus Buenos Aires berichte: den Tango! Ja, Tango ist hier an allen Ecken und Enden; in Tango-Shows, in Bars, Melongas, Tango-Schulen - und gelegentlich für die Touristen auf der Straße. Der Tango musste ohne mich stattfinden. Für Shows war ich in meinen Outdoor-Klamotten deutlich underdressed. Tango in Fahrradschuhen tanzen? Die Metallplatten unter den Sohlen eignen sich vielleicht, um ein Step-Solo aufs Parkett zu legen (aber nicht ich!!!). Potenzielle Tango-Partnerinnen werden mir ewig dankbar sein, dass ich diesen Versuch nicht unternommen habe!

 

Fazit

Ich bin durch! 4250 km mit dem Fahrrad liegen hinter mir und mit so vielen Eindrücken und Erinnerungen an imposante Landschaften, Begegnungen mit Menschen und Tieren und interessanten Erlebnissen trete ich die Heimreise an. Teilweise bin ich körperlich an meine Grenzen gestoßen, dafür habe ich ausschließlich gute Erfahrungen mit den Menschen gemacht, die mir begegnet sind.
Bedanken möchte ich mich bei allen, die mich per E-Mail, per SMS, im Gästebuch oder als Leser dieses Berichtes ein bisschen begleitet haben - auch am Schreiben und Aussuchen der Bilder für die Berichte habe ich meinen Spass und freue mich über Rückmeldungen.
Wem die so typischen Südamerika-Bilder von Armut, Gewalt, Slums usw. in diesem Bericht gefehlt haben, den muss ich enttäuschen. Natürlich bin ich unversehens in Gegenden gekommen, die nach unseren Maßstäben als Slums zu bezeichnen wären, ich habe vor allem Indios gesehen, die am Rande der Ortschaften, direkt an der Straße unter primitiven Bedingungen leben und vieles andere mehr. Einerseits verbietet es der Respekt vor den Menschen, hier die Kamera zu zücken, denn um im Gespräch ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und das Einverständnis der Menschen zu bekommen, reichen meine Sprachkenntnisse deutlich nicht aus. Andererseits verzichte ich auch zu meiner eigenen Sicherheit darauf (ich gehe ja auch nicht in der Jagdsaison als Hirsch verkleidet in den Wald). Und schließlich möchte ich nicht noch Vorurteile und Vorbehalte bedienen, die durch die Medien zur Genüge transportiert werden. Das Positive und das Schöne war so überwiegend, dass alles andere dagegen in den Hintergrund tritt. Wie sagte ein junger Radler aus Alaska, der die Strecke heruntergefahren war: Wenn man die Menschen fragt, ist es dort wo man sich gerade befindet, ruhig und sicher, aber das Nachbarland, das ist schlimm - man hört ja so viel in den Nachrichten!

Zum Abschluss möchte ich noch einen anderen Südamerikareisenden zitieren:

"... I see that plains of Patagonia pass frequently before my eyes; nevertheless, everybody says that they are the poorest and less useful. Why is it them that these arid desert have remained printed in my mind?"
Charles Darwin

Tja, Mister Darwin, da kann ich auch nicht helfen - mir geht's ganz genau so!