Weiter geht’s nicht – die letzten Stationen einer langen Reise


Am Ende meines letzten Berichts hatte ich es ja schon angedeutet, dass New Brunswick nicht zu meinen Favoriten unter den zehn Provinzen Kanadas zählt. Kanadier haben mir auch meinen Eindruck bestätigt, dass die Provinz zu den Ärmeren des Landes gehört, was man deutlich an der Infrastruktur erkennen kann. Reichtum hat nicht unbedingt etwas mit der Schönheit der Gegend oder der Freundlichkeit der Menschen zu tun. Vielleicht habe ich ja auch nur die falsche Route gewählt. Irgendwie sind alle Straßen hier Senic-Routes und ich habe mich für den River Valley Senic Drive entschieden, der sich im Wesentlichen am Saint John River entlang der Grenze zum US-Bundesstaat Maine orientiert und zugleich Trans Canada Highway ist. So großartig war die Landschaft nun auch nicht und eine Strecke entlang der Küste hätte mir andere Eindrücke beschert. Versuche, abseits der Hauptstraße auf Trails vom Navi empfohlene Trail zu fahren, enden wiederholt in Sackgassen, aus denen ich mein Rad wieder herausschieben muss. Auch die Provinzhauptstadt Fredericton hat mich überhaupt nicht vom Hocker gerissen – eine Kleinstadt im Irgendwo bei grauem Regenwetter – nur etwas essen und schnell weiter. Der Teil der Küste, den ich gesehen habe, bietet herrliche Dünen und Sandstrände und mit den Marschen erinnert er teilweise an die deutsche Nordseeküste. Allerdings gibt es auch hier ein Aber: Ich erreiche die Küste am ersten Septemberwochenende – Montag ist Labour Day und damit in ganz Nordamerika Feiertag. Danach fängt die auch die Schule wieder an und alle nutzen das lange Wochenende, um noch einmal rauszukommen. Dementsprechend voll ist es in den kleinen Touristenorten und auf den Campingplätzen, wo ich immerhin darauf hingewiesen werde, dass Feuerwerk verboten ist. Und danach geht hier das Licht aus und die Saison ist beendet, was ich vor allem daran merke, dass viele Campingplätze jetzt schließen.


Florenceville  Bristol erklärt sich mal eben zur Pommes-Hauptstadt der Welt, weil...
Florenceville Bristol erklärt sich mal eben zur Pommes-Hauptstadt der Welt, weil...
... hier irgendeine unbedeutende Frittenschmiede seinen Firmensitz und ein riesiges Werk hat
... hier irgendeine unbedeutende Frittenschmiede seinen Firmensitz und ein riesiges Werk hat
Aber eine anständige Pommesbude gibt es nicht in dem Ort
Aber eine anständige Pommesbude gibt es nicht in dem Ort
Schräge Typen gibt es wohl überall. Der Urheber dieses Schilderwaldes erklärt mir ausführlich, dass man wiederholt versucht hat, ihn umzubringen und dass ihm von keiner Seite Gerechtigkeit widerfährt - deswegen sein Protest
Schräge Typen gibt es wohl überall. Der Urheber dieses Schilderwaldes erklärt mir ausführlich, dass man wiederholt versucht hat, ihn umzubringen und dass ihm von keiner Seite Gerechtigkeit widerfährt - deswegen sein Protest
Nicht nur die Pommeshauptstadt der Welt liegt in New Brunswick, sondern auch die angeblich längste überdachte Holzbrücke der Welt
Nicht nur die Pommeshauptstadt der Welt liegt in New Brunswick, sondern auch die angeblich längste überdachte Holzbrücke der Welt


New Brunswick liegt für mich auf dem Weg nach PEI, die gängige Abkürzung für Prince Edward Island. Die kleinste Provinz Kanadas liegt überhaupt nicht auf dem direkten Weg nach Neufundland, allerdings schwärmten alle, mit denen ich über die Insel sprach, von ihrer Schönheit, der Freundlichkeit der Menschen und dass die Uhren hier noch ein Stück langsamer gehen. Ein paar Tage Reserve habe ich noch im Gepäck und komme mit diesem Abstecher durch alle zehn Provinzen Kanadas. PEI ist seit gut 20 Jahren durch eine der längsten Brücken der Welt mit dem Festland verbunden, der 12,88 km langen Confederation Bridge, die ich allerdings nicht mit dem Fahrrad befahren darf. Es gibt aber einen Shuttle-Service, der Radfahrer und Fußgänger auf die Insel bringt. Den schlecht ausgeschilderten Abfahrtpunkt verpasse ich und fahre auf dem Trans Canada Highway direkt bis an den Brückenkopf, wo es aber in einem Informationszentrum eines Naturschutzgebietes ein spezielles Telefon gibt, um den Shuttle anzufordern. Alles kein Problem, kurze Zeit später kommt statt des erwarteten Busses ein Pickup mit Fahrradträger und bringt mich und einen weiteren Radler über die schier endlos wirkende Brücke – kostenlos, jedenfalls wie für alle die Hinfahrt. Bezahlt wird erst, wenn man die Insel wieder verlässt. Einen Vorgeschmack auf die Freundlichkeit der Menschen bekomme ich dann auf dem ersten Campingplatz des Provincial Parks – und von der unendlichen Geduld, auch wenn es mal wieder etwas umständlicher wird und damit viel länger dauert. Wie in anderen Teilen des Landes auch, wurden der Eisenbahnbetrieb auf PEI schon vor langer Zeit eingestellt und die Schienentrassen zu einem weitverzweigten Radwegenetz über die gesamte Insel ausgebaut, das in tollem Zustand ist. Trails dieser Art bin ich nun schon genug gefahren und aus der Erfahrung in New Brunswick ziehe ich es vor, an er Küste zu bleiben. Ist auch weiter kein Problem, denn obwohl der Tourismus hier auf der Insel eine wichtige Rolle spielt, sind die meisten Gegenden sehr ruhig und es ist wenig Verkehr auf den Straßen. Eine Inselrundfahrt werde ich nicht schaffen und so ist es fast egal, wohin ich fahre, um ein paar Eindrücke mitzunehmen.


 

12,88km! Die Confederation Bridge verbindet PEI seit gut 20 Jahren mit dem Festland
12,88km! Die Confederation Bridge verbindet PEI seit gut 20 Jahren mit dem Festland
Die Herzlichkeit der Menschen auf PEI ist Programm. Und so wird man am Ende der Brücke als Besucher begrüßt
Die Herzlichkeit der Menschen auf PEI ist Programm. Und so wird man am Ende der Brücke als Besucher begrüßt


In westlicher Richtung kommt nach Summerside erst einmal sehr viel Gegend. Wie auch schon an der Küste von New Brunswick sind hier sehr viele Häuser mit der französischen Tricolore geschmückt, die hier zusätzlich noch einen gelben Stern trägt. Einheimische hatten mir erklärt, dass es sich um die Akadier handelt, Nachfahren französischer Einwanderer, die nichts mit Quebéc zu tun haben und nach dem Sieg der Engländer über die Franzosen stark unterdrückt wurden und so in ihren eigenen Gemeinschaften ihre Sprache und Traditionen pflegen. Warum allerdings die Häuser und Grundstücke gerade jetzt so aufwändig und frisch dekoriert sind, erfahre ich, als ich in Abrams Village ankomme. Die Straße ist gesperrt und ein Fahrzeugkorso rollt um Schritttempo durch den Ort, der an eine skurrilen Karneval erinnert – einschließlich Kamellen. Es ist das jährliche „Agriculture Festival“, zu dem offenkundig Akadier von der ganzen Insel anreisen. Ein riesiges Spektakel und scheinbar einer der Höhepunkte des Jahres.


 

Hier lässt man keine Zweifel über die eigene Herkunft aufkommen
Hier lässt man keine Zweifel über die eigene Herkunft aufkommen
Alles wird in den Farben der Akadier gestaltet
Alles wird in den Farben der Akadier gestaltet

"Bauernkarneval" auf PEI


Meine Hoffnung, hier etwas zu Essen zu bekommen, zerschlägt sich aber, nachdem der Korso durch ist, denn jetzt stehen hunderte von Menschen in langen Schlangen an den Kassen des eigentlichen Veranstaltungsgeländes. Und nur dort gibt es etwas für den Gaumen, alle anderen Läden im Ort sind, wie es sich für einen hohen Feiertag gehört, geschlossen. Weder das Eintrittsgeld noch die Wartezeit an der Kasse sind mir einen Imbiss wert und ich verlasse Abrams Village mit knurrendem Magen. Ob es daran liegt oder einfach an einer Orientierungslosigkeit, kann ich nicht sagen, allerdings gelingt es mir an diesem Tag grandioser Weise gleich zweimal, die falsche Richtung einzuschlagen. Das erste Mal lande ich in einem Nachbarort, wo immerhin am Sonntag der Supermarkt geöffnet hat, und ich eine warme Mahlzeit bekomme, danach fahre ich ein ganzes Stück auf dem Confederation Trail in die entgegengesetzte Richtung als eigentlich beabsichtigt. Egal, wenn man keinen Plan und kein Ziel hat, ist bekanntlich jede Richtung richtig.


 

Die Insel hat so viele reizvolle Küstenabschnitte...
Die Insel hat so viele reizvolle Küstenabschnitte...
...und nicht nur langweiligen Sandstrand
...und nicht nur langweiligen Sandstrand
Und Vögel gibt es auch
Und Vögel gibt es auch


So erreiche ich am Labour Day – dem Holy Monday – Cavandish an der Nordküste, dem absoluten Touristenzentrum der Insel mit seinen Sandstränden, Dünen und Nationalpark – und vor allem Anne of Green Gables. Die Autorin des berühmten Kinderbuchs wurde hier geboren und wuchs hier auf. Und auch die Handlung ihrer Geschichten versetzte sie in diese Gegend. Und das wird nach Kräften vermarktet. Die Kreuzfahrtschiffe im Hafen der Inselhauptstadt Charlottetown legen vermutlich nicht zuletzt deswegen hier an und bringen ihre Gäste ins riesige Green Gables Visitor Center, das um das Wohnhaus der Autorin errichtet wurde, und ins Theater der Stadt, wo Stücke rund um die Figur in Dauerschleife aufgeführt werden. Sie legen garantiert nicht hier an, wegen des Kartoffelanbaus, für den PEI auch kanadaweit bekannt ist. Ja, PEI ist schön, irgendwie anders als alle anderen Provinzen, die ich besucht habe, aber ich habe auch den Eindruck gewonnen, dass man dieses Anne-of-Green-Gables-Idyll nach Kräften fördert und bewahrt. Mancherorts wirken die Dörfer fast ein bisschen künstlich, wie Disneyland – und beides lockt die Menschen an!



Ihr ist es zu verdanken, dass viele Menschen herkommen, um auf den Spuren von Anne of Green Gables zu wandeln
Ihr ist es zu verdanken, dass viele Menschen herkommen, um auf den Spuren von Anne of Green Gables zu wandeln
Es gibt so viele reizvolle Orte und Häuser auf der Insel
Es gibt so viele reizvolle Orte und Häuser auf der Insel
Und gepflegt geht es zu - 5000qm akkurat gemährter Rasen sind nicht ungewöhnlich, eher schon dass da einer ein paar Blumenstreifen für Bienen, Schmetterlinge und Kolibris anlegt
Und gepflegt geht es zu - 5000qm akkurat gemährter Rasen sind nicht ungewöhnlich, eher schon dass da einer ein paar Blumenstreifen für Bienen, Schmetterlinge und Kolibris anlegt
Und selbst in den kleinen Fischereihäfen geht es malerisch zu
Und selbst in den kleinen Fischereihäfen geht es malerisch zu


Dass es auf PEI auch den einen oder anderen kuriosen Menschen gibt oder gab, habe ich nicht nur bei dem Bauernkarneval erfahren. Rein zufällig komme ich an dem Flaschenhaus vorbei. Inspiriert von einer Postkarte, die ihm seine Tochter von Vancouver Island von einem Flaschenschloss geschickt hat, fing der Erbauer an und sammelte 25.000 Flaschen, um daraus ein Kapelle, eine Bar und ein Wohnhaus – alles im Kleinformat – zu bauen. Die Tochter lebt heute anscheinend ganz gut vom Besucherzulauf und dem Souveniershop.




Weder in die Kategorie kuriose Menschen noch in die der freundlichen Insulaner passt allerdings der junge Nationalparkranger auf dem Campingplatz des Prince Edward Island National Park. Die Rezeption des Platzes erreiche ich exakt um 19.07 Uhr. Der Ranger ist gerade dabei, die Jalousien des Pavillons herunterzulassen und erklärt mir völlig emotionslos, dass man um 19.00 Uhr schließe, er nichts mehr für mich tun könne und verweist mich an andere, private Campingplätze, die mindestens acht Kilometer entfernt sind und von denen ich nicht weiß, ob sie Stellplätze für Zelte habe. Serviceorientierung geht anders. Da die Dämmerung schon recht weit fortgeschritten ist, nehme ich die nächste Stichstraße in den Küstenwald des Nationalparks und schlage eben dort mein Nachtlager auf – völlig ungestört und kostenlos. Wenn sie es denn so haben wollen – bitte!


 

Wild-romantisch und völlig ungestört: Eine Nacht im Nationalpark neben dem Campingplatz
Wild-romantisch und völlig ungestört: Eine Nacht im Nationalpark neben dem Campingplatz


Aber irgendwie passt dieses Nachtlager in eine ganze Reihe von ungewöhnlichen Orten, wo ich in den letzten beiden Wochen geschlafen habe. Angefangen hat es in Perth-Endover, noch in New Brunswick. Am späten Nachmittag will ich dort noch meine Lebensmittelvorräte auffüllen und fahre zum kleinen Supermarkt des Ortes. Während ich mein Fahrrad abstelle, werde ich von einer Frau angesprochen, die mir anbietet, in einem Appartement zu übernachten, das zwar nicht möbliert ist, aber sauber, trocken und eine heiße Dusche gibt es auch. Eigentlich will ich noch ein bisschen fahren, aber da nicht mehr viel Zeit bis zum Abend ist und ich auch noch keine Alternative habe, stimme ich zu und eine halbe Stunde später stehe ich vor der angegebenen Adresse, kann allerdings nicht so recht glauben, dass hier richtig zu sein, denn das Haus gleicht eher einer Ruine als einem Appartement und die Umgebung ist total vermüllt. Meine Gastgeberin erwartet mich schon, erklärt, dass sie noch 23 weitere Immobilien besitze und sie gerade dabei wären, dieses Haus zu renovieren. Immerhin sind die Holzfußböden schon abgeschliffen und neu versiegelt – keine Ahnung, warum man bei einer Renovierung damit anfängt, bei dem Haus wären mir ca. 100 andere Sachen eingefallen, die vorher dran gewesen wären. Auf die angebotene Matratze, die draußen am Treppengeländer lehnt und „trocken sein müsste“, verzichte ich gern. Mit der Bitte, das Haus am nächsten Morgen beim Verlassen abzuschließen, werde ich allein zurückgelassen. Immerhin: eine funktionierende Toilette und eine heiße Dusche gibt es, der Rest ist Improvisation und ich bin ganz froh, dass ich meine Isomatte auf dem frisch versiegelten Fußboden ausbreiten kann.


 

Nicht ganz so romantisch ist diese Bruchbude, hat aber immerhin eine heiße Dusche zu bieten
Nicht ganz so romantisch ist diese Bruchbude, hat aber immerhin eine heiße Dusche zu bieten


Auf Neufundland wird es immer schwieriger, auf der 900 km langen Strecke von Port aux Basques, wo die Fähre anlegt, bis St. John’s Campingplätze zu finden. Tatsächlich habe ich nur am Anfang und am Ende für meine Nachtlager bezahlt. Der einzige Campingplatz den ich ungefähr auf halber Strecke abends erreiche, hatte drei Tage vorher geschlossen, weil die Saison zu Ende ist. Am Eingang treffe ich zufällig einen Mann an, der dabei ist, alles winterfest zu machen. Ohne viele Umstände ruft dieser den Eigentümer an und holt sich dessen Zustimmung ab, dass ich trotzdem auf dem Platz mein Zelt aufschlagen darf und nicht nur, dass er mir ein Sanitärhaus aufschließt, er stellt sogar das heiße Wasser wieder an, damit ich eine warme Dusche bekomme. Und diese Sanitäreinrichtungen gehören ohne Zweifel zu den Besten auf der gesamten Tour. Das einzige, was geschlossen bleibt, ist die Kasse. Kostenlos verbringe ich die Nacht als einziger Gast auf einem riesigen Campingplatz.

Ich zelte sonst mit Zustimmung der Eigentümer neben einem Restaurant, am feinen Sandstrand eines Sees, auf grobem Kiesel an der örtlichen Badestelle eines anderen Sees oder einfach irgendwo im Wald abseits des Trans Canada Highways, auf dem nachts gespenstische Ruhe herrscht. Kein Bär, kein Elch, noch nicht einmal die sonst allgegenwärtigen Mücken und hier auf Neufundland die berüchtigten Sandflies stören dabei.




Auf PEI bleibt noch etwas Zeit für einen Besuch der Inselhauptstadt Charlottetown – ohne Anne of Green Gables im Theater. Sie gilt, wenn auch nicht als Geburtsstätte Kanadas, dann doch als der Ort, wo im Jahr 1864 bei einer Zusammenkunft von Vertretern der Provinzen im Government House der Grundstein für die heutige Konföderation gelegt wurde – daher auch der Name für die Brücke und das Trailnetzwerk auf der Insel.



In diesem Gebäude wurde die Idee der kanadischen Nation erstmals formuliert
In diesem Gebäude wurde die Idee der kanadischen Nation erstmals formuliert


Nach dieser kurzen Stippvisite in der kleinen, gepflegten Hauptstadt der kleinsten kanadischen Provinz nehme ich dann den kürzesten und schnellsten Weg nach Wood Island. 55 km in drei Stunden mit vollem Gepäck sind schon recht sportlich. Für Pausen bleibt da keine Zeit. Aber ich will die Insel nicht wieder über die Brücke verlassen, sondern mit der Fähre nach Caribou in Nova Scotia. Nur zum Lösen eines Tickets halte ich kurz an und rolle dann auf das Schiff, das mich in einer guten Stunde über die Northumberlandstraße in die vorletzte Provinz meiner Reise bringt. Nicht nur im Namen, sondern auch im Alltag hält man hier die schottischen (und auch irischen) Traditionen der Vorfahren hoch. Und es sind nicht nur die Traditionen sondern auch die Sprache. Es gibt viele zweisprachige Ortsschilder und erstmals auf meiner Tour (außer in Quebéc) habe ich Probleme, den Akzent der Menschen zu verstehen.  



Auf dem Wasserweg verlasse ich Prince Edward Island
Auf dem Wasserweg verlasse ich Prince Edward Island


Die schottische Prägung fällt mir besonders in dem 4500-Einwohner-Ort Antigonish auf, was sicherlich auch daran liegt, dass die kleine Stadt eine Universität mit einigen markanten Gebäuden hat. Dort befindet sich auch ein kleiner „Park“, wo sich die schottischen Clans verewigt haben, die die Stadt gegründet haben. Antigonish wird mir aber aus einem ganz anderen Grund in Erinnerung bleiben. Auf dem Campingplatz treffe ich Robert aus Regensburg. Einen anderen Radreisenden aus Deutschland zu treffen, ist nun nicht so etwas Außergewöhnliches. Er spricht mich abends beim Aufbau meines Zeltes an, nachdem er in der Rezeption mitbekommen hatte, dass ich auch aus Deutschland bin. Es ist der übliche Austausch über das Woher und Wohin und die Erfahrungen auf der Tour. Die Begegnung lässt mir allerdings keine Ruhe, denn ich bin sicher, dass ich Robert schon einmal getroffen habe und gehe deswegen am nächsten Morgen zu ihm rüber und frage ihn direkt, ob es sein kann, dass wir uns auf Tasmanien schon einmal begegnet sind. Tatsächlich war er auch schon in dieser entlegenen Ecke der Welt auf Radtour, nur können wir beide das Jahr nicht mehr so richtig erinnern, grenzen es aber mit hoher Wahrscheinlichkeit auf 2010 ein. Ich kann nun wirklich nicht von mir behaupten, dass ich ein so gutes Personengedächtnis habe, um mich nach 12 Jahren an jede kurze Zufallsbekanntschaft zu erinnern. Bei Robert ist es allerdings etwas Anderes, denn er hat eine schwere Körperbehinderung und schon auf Tasmanien hat es mich tief beeindruckt, was er trotzdem auf dem Fahrrad leistet. Damals sagte er in Bezug auf die Fähigkeit, lange Radreisen zu unternehmen: „Wenn ich es kann, dann kann es jeder!“ Nach unserer Rückkehr in Deutschland werden wir beide noch einmal unsere Aufzeichnungen von der Tasmanientour wälzen, aber ich bin sicher, dass es unser zweites Zusammentreffen war. Lottoscheine fülle ich nie aus, weil ich bei einer Wahrscheinlichkeit von 1: 130 Millionen auf einen Hauptgewinn nicht davon ausgehe, dass mich dieser Zufall trifft. Die Wahrscheinlichkeit, denselben Menschen bei dieser Art zu Reisen zweimal an zwei völlig unterschiedlichen Orten zu begegnen, dürfte wesentlich kleiner sein. Vielleicht sollte ich die Sache mit dem Lottospiel doch noch einmal überdenken.


 

Robert durchquert Kanada bereits zum dritten Mal - Respekt!
Robert durchquert Kanada bereits zum dritten Mal - Respekt!
Hier in Neuschottland legt man großen Wert auf seine Herkunft und Traditionen
Hier in Neuschottland legt man großen Wert auf seine Herkunft und Traditionen


Unsere Wege trennen sich hier aber auch schon wieder. Hinsichtlich der Motivation für den Rest unserer Touren sind wir anscheinend etwa auf demselben Niveau angekommen, Robert hat sich allerdings für den Cabot Trail auf Cape Breton Island entschieden, der zu einer der schönsten Panoramastraßen wenigstens Nordamerikas zählen soll, aber auch sehr anspruchsvoll, während ich mein Ziel in Cape Spear, dem östlichsten Punkt auf des nordamerikanischen Kontinents auf Neufundland gesteckt habe. Da Robert auf Neufundland verzichtet, überlässt er mir zwei Straßenkarten der Insel. Nach wie vor bevorzuge ich echte Karten, die allerdings immer schwerer zu bekommen sind, auch wenn es hier in den kleinen östlichen Provinzen sehr gutes Kartenmaterial der Tourist-Information gibt. Wenn man sich sonst einmal richtig alt fühlen möchte, geht man in eine neue, moderne Tankstelle und fragt das fast noch jugendliche Personal nach einer Straßenkarte und der Blick sagt alles: „Was will der alte Mann?“


Für den Cabot Trail fehlen mir Zeit und Kraft. Aber um zum Fährhafen nach North Sydney zu gelangen, muss ich auch über Cape Briton Island. Und das ist, zumindest wenn man Google glaubt, fast unmöglich. Die Insel ist mit dem Festland durch einen kurzen Damm und eine kaum 50m lange Brücke verbunden. Und man kann machen was man will, Google Maps schickt Radfahrer immer auf eine 2500 km lange Runde um den St. Lorenz Golf mit etlichen langen Fährfahrten, selbst wenn man als Start und Ziel zwei Punkte eingibt, die nur einen Kilometer auseinander liegen. Und dabei gibt es keinerlei Verbote oder vernünftige Gründe, nicht ganz normal über diese Brücke zu fahren. Soll noch mal einer sagen, Google weiß alles!



Über diese kleine Brücke möchte Google keine Radfahrer lassen - das Rätsel warum nicht, werde ich wohl nie auflösen
Über diese kleine Brücke möchte Google keine Radfahrer lassen - das Rätsel warum nicht, werde ich wohl nie auflösen


Die Überfahrt nach Neufundland dauert ca. sieben Stunden und es gibt zwei Abfahrttermine: einen mittags und einen spät abends. Erstmals auf all meinen Reisen bekomme ich für die nächtliche Überfahrt kein Ticket, weil die Fähre angeblich ausgebucht ist, was ich bei der Größe der Schiffe kaum glauben kann. Also bleibt mir nur die Mittagsfähre am nächsten Tag. Bei strahlendem Sonnenschein und kräftigem Wind erreiche ich gegen Abend Port aux Basques wo die von Gletschern geschliffenen Felsen stark an das nördliche Skandinavien erinnern, obwohl viel weiter südlich gelegen. Und Whale Watching gab es unterwegs gratis auch noch dazu – allerdings nur in großer Entfernung und bei dem Seegang konnte man die Atemfontänen mehr erahnen als sehen. Nach einer Übernachtung auf dem Campingplatz eines nahen Provinzparks mache ich mich am nächsten Morgen auf den Weg nach St. John’s. 900 km. Auch Neufundland hat ein weit verzweigtes Trailnetzwerk auf stillgelegten Eisenbahntrassen, das als T-Railway sogar den Status eines Provinzparks hat. Liebend gern wäre ich auf diesen Trail abseits des Trans Canada Highways gefahren, der ansonsten die einzige Alternative ist, allein schon, weil Eisenbahntrassen keine steilen Anstiege haben. Und die Insel hat viel Auf und Ab zu bieten. Aber Neufundland mit diesen Trails ist offenbar der Spielplatz für Quad-Fahrer. In Massen kommen Menschen – Männer – hierher, nur um mit ihrem Spielzeug wilde Sau zu spielen. Dementsprechend sehen die Trail aus, die in einzelnen Abschnitten von Freiwilligen instand gehalten werden. Zweimal habe ich in Touristeninformationen nachgefragt und beide Male wurde mir abgeraten, die Trails mit dem Rad zu fahren. Also TCH. Nicht spannend und man bekommt nicht so viel von der Insel zu sehen. Wenn man die A7 von Flensburg nach Kempten fährt (die Strecke ist ähnlich lang), hat man von Deutschland ja auch noch nichts mitgekommen. Aber im Vordergrund steht für mich erst einmal, das gute Wetter zu nutzen und St. John’s zu erreichen. Hier werde ich von Susanne mit dem Auto abgeholt und wir haben noch eine Woche bis zum Rückflug von Halifax Zeit und die wollen wir für Abstecher an die Küste nutzen.



Auf diesen Schiffen soll es angeblich keinen Platz mehr für einen einzelnen Radfahrer gegeben haben!
Auf diesen Schiffen soll es angeblich keinen Platz mehr für einen einzelnen Radfahrer gegeben haben!
Ein erster Eindruck von der Küste Neufundlands...
Ein erster Eindruck von der Küste Neufundlands...
...aber es gibt auch feinste Sandstrände
...aber es gibt auch feinste Sandstrände
900 km TCH - eigentlich hatte ich schon genug Wald gesehen. Aber immerhin spielt das Wetter mit
900 km TCH - eigentlich hatte ich schon genug Wald gesehen. Aber immerhin spielt das Wetter mit


Bei meiner Ankunft auf Neufundland streift St. John’s der Ausläufer eines karibischen Hurricans mit Sturm und Regen, während ich bei makellos blauem Himmel, allerdings kräftigem Gegenwind, im Westen der Insel unterwegs bin. Bis auf einen Tag mit Nieselschauern bleibt mir das gute Wetter auch bis zum Schluss treu, was für Neufundland Mitte September ein absoluter Glücksfall ist. Nur die Nächte sind inzwischen recht frisch geworden und das Thermometer zeigt bei sternenklarem Himmel schon deutlich Richtung Gefrierpunkt. Inzwischen ist das alles egal. Ich sitze auf einem Campingplatz im Zentrum von St. John’s und schreibe in der Sonne meine Erlebnisse auf. Nach zwei Tagen relativer Ruhe nimmt mir die Oberschenkelmuskulatur die Strapazen der letzten dreieinhalb Monate auch nicht mehr ganz so übel. Denn mit dem zurückliegenden Pensum bin ich ein gutes Beispiel für die Trainingslehre, nämlich wie man durch fehlende Regeneration Kraft und Ausdauer nach und nach immer weiter runterfährt. Der letzte Tag, an dem ich nicht auf dem Fahrrad gesessen habe, war am 22. Juni in Fort Nelson am Alaska Highway, wo ich bei strömendem Regen im Zelt hockte und geschrieben habe. Es liegen 12.000 km und 68.000 Höhenmeter Kanada hinter mir, die ich in 106 Tagen mit durchschnittlich 115 km pro Tag gefahren bin. Das ist nicht immer spannend, aber man bekommt eine sehr konkrete Vorstellung von der Größe dieses Landes. Was ich vermisst habe, seit ich die Prärie in Alberta erreichte, waren die Begegnungen mit Tieren. Gut, er Luchs in Ontario war noch mal ein Highlight. Aber überall wird vor Elchen gewarnt, die es auch hier auf Neufundland sehr zahlreich geben soll, meistens steht aber ehrlicherweise unter den Warnschildern „Nightdanger“ und nachts bin ich nun mal nicht unterwegs. Zweimal habe ich hier auf der Insel Elche zu gesehen: Der eine lag erschossen auf einem Anhänger, der mich auf dem Highway passierte, denn die Jagdsaison hat begonnen, und der andere lag zu einem kleinen Teil als Frikadelle auf meinem Mooseburger an einem Imbiss am Highway – so kann das ja auch nichts mit den lebenden Tieren werden.  



Glücklicherweise lassen mich die Vögel nicht ganz hängen...
Glücklicherweise lassen mich die Vögel nicht ganz hängen...
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...und die Eichhörnchen
...und die Eichhörnchen
Und das Fahrrad hat auch gut durchgehalten. Der Vorderreifen hatte beim Start schon etwa 3000 km runter. Jetzt, nach 15.000 km wird er langsam porös und das Profil ist auch schon ziemlich runter, besonders links außen: Das zeugt von vielen Kilometern auf abgeschrägten Seitenstreifen
Und das Fahrrad hat auch gut durchgehalten. Der Vorderreifen hatte beim Start schon etwa 3000 km runter. Jetzt, nach 15.000 km wird er langsam porös und das Profil ist auch schon ziemlich runter, besonders links außen: Das zeugt von vielen Kilometern auf abgeschrägten Seitenstreifen
So sieht eine Kette nach 12.000 km aus, wenn sie nur gelegentlich Öl bekommt und nachgespannt wird. Es hat sich gelohnt, etwas mehr für eine besonders gehärtete Kette auszugeben, normalerweise rechnet man ca. 3000 km bis Ersatz fällig ist
So sieht eine Kette nach 12.000 km aus, wenn sie nur gelegentlich Öl bekommt und nachgespannt wird. Es hat sich gelohnt, etwas mehr für eine besonders gehärtete Kette auszugeben, normalerweise rechnet man ca. 3000 km bis Ersatz fällig ist


Die Masse der Einwohner der Provinz Neufundland-Labrador lebt in und um St. John’s und so ist diese Stadt deutlich quirrliger als man von einem Ort dieser Größe erwarten kann. Ganz kann ich das Rad fahren nicht sein lassen und ohne Gepäck mache ich ein bisschen Sightseeing. Das Gepäck auf dem Campingplatz zu lassen, ist hier eine richtig gute Idee, denn Stadt und Umgebung sind sehr bergig mit Steigungen bis zu 19% und auf den 20 km zum Cape Spear, dem östlichsten Punkt des amerikanischen Kontinents kommen pro Richtung noch mal gut 450 Höhenmeter zusammen. Egal – dieser Leuchtturm ist ein absolutes Muss am Ende der Reise. Für die Eindrücke aus der Stadt lasse ich dann wieder einmal die Bilder sprechen und über die Rückfahrt mit dem Auto werde ich dann noch einmal extra berichten.  



Das Ende einer langen Reise: Der offizielle Beginn des ca. 8000 km langen Trans Canada Highways vor dem Rathaus von St. John's. Da ich nicht in Victoria sondern in Dawson City gestartet bin, kommen bei mir noch ein paar Kilometer dazu
Das Ende einer langen Reise: Der offizielle Beginn des ca. 8000 km langen Trans Canada Highways vor dem Rathaus von St. John's. Da ich nicht in Victoria sondern in Dawson City gestartet bin, kommen bei mir noch ein paar Kilometer dazu
Das eigentliche Ziel der Reise liegt aber hier: Cape Spear, östlichster Punkt Nordamerikas
Das eigentliche Ziel der Reise liegt aber hier: Cape Spear, östlichster Punkt Nordamerikas

Ein paar Bilder aus St. John's - bei Bilderbuchwetter