Fehlstart in Alaska

Bekanntlich sind Fahrräder ja deutlich langsamer als Flugzeuge und können auch selten den kürzesten Weg - die Luflinie - nutzen. Wahrscheinlich ist es so zu erklären, dass ich hier in Anchorage in einem kleinen Hotel in Flughafennähe bei strahlendem Sonnenschein sitze und mich an meiner Homepage abarbeite, während mein Fahrrad noch in Hamburg auf dem Flughafen steht. Das ist nicht witzig und hat einige Nerven gekostet, bis ich die Information hatte, wo das Fahrrad ist und wann und wohin es nachgeliefert wird. Denn schließlich bin ich auch noch nicht an meinem Startpunkt angekommen, und es schon interessant, ob der Fahrradkarton nach Anchorage oder Prudhoe Bay befördert wird. Einen Tag später als vorgesehen komme ich jetzt im Norden an, mein Fahrrad hoffentlich dann zwei Tage nach mir. Bei allem Ärger und Frust hat das Ganze immerhin einen Vorteil: Die Temperaturen an der Nordmeerküste liegen aktuell noch immer um den Gefrierpunkt und es gibt gelegentlich auch noch Schneefall, aber im Verlauf der kommenden Woche sollen sie auf kuschelige acht bis zehn Grad steigen!  

Los geht's - auf dem Dalton Highway Richtung Süden

 

Nervenaufreibend war es schon. In Prudhoe Bay hatte ich mich in einem AirBnB einquartiert, eines von zwei kleinen Zimmern in einem Containerbau von Arctic Fox Environmental, einem Labor, in dem Umweltanalysen durchgeführt werden. Schlicht, aber ein super netter und hilfsbereiter Gastgeber zu einem für diesen "Ort" absolut fairen Preis. Prudhoe Bay ist eigentlich kein Ort, sondern nur ein Camp für die Ölindustrie, wo ca. 5000 Menschen im zwei- bis dreiwöchigen Wechsel arbeiten.

Dank einer unglaublich engagierten und äußerst bemühten Flughafenmitarbeiterin habe ich erfahren, dass mein Fahrrad noch in Anchorage bei Condor stand und nicht zu Alaska Airlines rübergeschafft wurde. Noch am selben Tag konnte ich den Karton in Empfang nehmen, das Rad zusammenschrauben und meine Sachen packen und endlich meine Reise beginnen.

Die Wartezeit habe damit gefüllt, einen Ausflug in die Ölfelder und an den Arktischen Ozean zu machen, was auf eigene Faust und ohne Erlaubnis nicht möglich ist. Für 89 Dollar wurde ich als Single-Reisegruppe durch die Weiten der Küstenregion gefahren. Viele Informationen und Eindrücke von diesem gigantischen Gebiet mit dem größten Erdölvorkommen der USA habe ich mitgenommen. Der Blick auf den zugefrorenen Ozean glich allerdings der flachen, schneebeckten Tundra - Eis und Schnee, so weit das Auge reichte. 

 

 

Die Temperaturen am Tag liegen inzwischen um den Gefrierpunkt und verwandeln die Straßen in matschige Schlaglochpisten. Zu Fuß gehen ist hier keine Option. Sobald man auf die Straße tritt, hält jemand an, um einen mitzunehmen. So komme ich mit einer Flughafenmitarbeiterin zum einzigen Geschäft in Prudhoe Bay, dem General Store. Lebensmittel gibt es hier nicht, alle Arbeiter werden in den Camps versorgt. Ich kaufe für 97 Dollar ein Bärenspray. Eine passende Gaskartusche für meinen Kocher bekomme ich nicht, aber mir wird eine Gallone Reinbenzin in die Hand gedrückt, ich soll mir so viel abfüllen, wie ich gebrauche und den Rest zurückbringen - kostenlos. Den Rücktransport übernimmt auch meine hilfsbereite Fahrerin - wie überhaupt alle Menschen hier oben unglaublich aufmerksam und hilfsbereit sind. 

 

 

Früh morgens setze ich mich aufs Rad und breche auf - ab jetzt immer südwärts. Am Ortsausgang beginnt für die nächsten 95km hervorragender Asphalt. Links und rechts schneebedeckte Tundra, so weit das Auge reicht, allerdings sind schon viele Zugvögel angekommen, die zum Brüten hierher kommen. Ab jetzt sind es ca. 400km bis zur nächsten Servicestation in Coldfood - dazwischen nichts außer einigen Pumpstationen für die Ölpipeline und zwei Straßenmeistereien. Und dann nach 30km die erste Begegnung mit einem Grizzly, der gleich zweimal die Straße in aller Ruhe kreuzt und dabei in meine Richtung kommt, bevor er in der Ebene verschwindet. Das Bärenspray ist zumindest eine kleine Beruhigung.

 

 

Nur sehr langsam kommen die schneebedeckten Berge der Brooks Range näher und irgendwo im Nirgendwo abseits der Straße schlage ich mein Zelt auf. Von jetzt an tausche ich Asphalt gegen Schotter und Staub. Die Sonne scheint 24 Stunden am Tag und nimmt zusammen mit dem permanenten Gegenwind alle Feuchtigkeit mit, was das Vorankommen mühsam macht. Neben den vielen Vögeln und gelegentlichen Caribous fern ab der Straße kommt am zweiten Tag kurz nach dem Start mein bisheriges absolutes Highlight: Nur 50 - 100m neben der Piste steht eine kleine Herde Moschusochsen mit zahlreichen Kälbern, die bei meinem Anblick auch nicht gleich die Flucht ergreift, sonder gleich beginnt einen Ring um die Kälber zu bilden - nur ein Moschusochse macht Front gegen mich, was mich dann auch sofort zur Weiterfahrt animiert - Tiere, die aus vollem Lauf ihre massigen Köpfe gegeneinander rammen, haben wohl eher keinen Respekt vor einem Radfahrer!

 

 

Die Landschaft steigt langsam aber kontinuierlich an. Der Gegenwind bleibt mir und ich merke schmerzlich, dass ich konditionell schlecht vorbereitet bin. Bei 100km pro Tag reicht es in der Regel und ich suche einen Platz zum übernachten. Vier Tage bis Coldfoot sind kein Problem, Nudeln, Haferflocken und Snacks habe ich reichlich im Gepäck. Und außerdem gibt es immer wieder diese unglaublich hilfsbereiten Menschen. Besonders erwähnen muss ich Greg von der Alaska Pipeline Security. Vier- oder fünfmal begegnen wir uns jedesmal hält er an und versorgt mich mit Wasserflaschen und reichlich Schoko- und Müsliriegeln und nimmt mir auch noch meinen Müll ab. Die letzte Begegnung liegt kurz vor dem Akigun Pass, wo wir noch länger reden und uns herzlich verabschieden. Vor mir liegt der höchste Pass auf dem Dalton Highway mit 1440m. Das ist noch einmal ein Stück arbeit, dafür geht es auf der anderen Seite genauso steil bergab und abwärts geht es am nächsten Tag auch bis nach Coldfoot, einem Truckstop, wo es außer einem riesigen Burger auch noch eine Dusche (für 14$) gibt - ist aber nach vier Tagen im Staub des Dalton Highway sehr gut investiertes Geld, denn bis hier habe ich erst die Hälfte der Strecke bis Fairbanks hinter mir - also weiter viel Staub und noch eine Tankstelle am Yukon. Gleich nach Überquerung des Atigun Passes ändert sich alles. Es ist warm, das Thermometer zeigt bis 25 Grad an, es tauchen die ersten Nadelbäume auf und Weiden und Pappeln tragen frisches Laub und überall am Straßenrad blüht es. Ich bin im Frühling im nördlichen Alaska angekommen - und mit mir die Mücken.