Québec – eine andere Welt im selben Land


In meiner Unterkunft sehe ich weder am Abend noch am nächsten Morgen einen einzigen Menschen. Der Hausherr hatte schon angekündigt, dass er mit einer Schülerin in Montreal ein Konzert geben wollte. So bin ich ungestört und mache mich morgens auch auf den Weg dort hin und verlasse nach einem Monat Ontario. Nach einigen Kilometern überquere ich den Ottawa und bin in einer anderen Welt. Schon der Grenzfluss zwischen den beiden größten Provinzen des Landes trägt auf der anderen Seite einen anderen Namen. Ist in Kanada sonst fast alles zweisprachig bis hin zur Sinnlosigkeit, dominiert jetzt das Französische – auch bis hin zur Unsinnigkeit. Ein Beispiel? Überall auf der Welt heißt Kentucky Fried Chicken KFC – nicht so in Québec. Zum Schutz der französischen Sprache heißt die Kette hier PFK: Poulet Frit Kentucky… Und selbst in Sichtweite des englischsprachigen Ontarios passiert es mir immer wieder, dass ich Menschen antreffen, die entweder überhaupt kein Englisch sprechen oder dies verweigern. Damit habe ich nicht gerechnet, was es für mich nicht gerade einfacher macht, da ich mein Schulfranzösisch sehr erfolgreich verdrängt habe. Dafür ist die Infrastruktur für die vielen Radfahrer deutlich besser als ich überall sonst in Kanada erlebt habe und es sind hier auch wesentlich mehr Menschen mit dem Rad unterwegs, allerdings typisch französisch oder typisch amerikanisch, fast alle mit Rennrädern, auch wenn Figur und Fahrrad nicht immer zusammenpassen.

 

Nein - ein "STOP" würde hier wohl keiner verstehen. Mit dieser Reglung, Stopp-Schilder in allen Kreuzungszufahrten, hat Kanada wahrscheinlich die meisten Verkehrszeichen dieser Art auf der Welt
Nein - ein "STOP" würde hier wohl keiner verstehen. Mit dieser Reglung, Stopp-Schilder in allen Kreuzungszufahrten, hat Kanada wahrscheinlich die meisten Verkehrszeichen dieser Art auf der Welt


Gut zwei Tage benötige ich für die Strecke nach Montreal. Karten und Internet weisen mehrere Campingplätze im Stadtgebiet aus, und ich verlasse mich darauf, dort einen Platz zu finden. Ein Fehler! Denn entweder sind die Plätze bei genauerem Hinsehen für mich mit dem Rad auf den Inseln im St. Lorenz Strom nicht mit vertretbarem Aufwand zu erreichen oder sie haben nur Stellplätze für Wohnmobile und Wohnwagen. Kurzfristig am Wochenende ein Hotel zu finden ist illusorisch. Schon ein Bett im 12-Bett-Schlafsaal im Hostel soll an die 100 Dollar kosten, Hotels sind unter 300 Dollar pro Nacht nicht zu finden. Ziemlich frustriert bin ich schon drauf und dran, Montreal den Rücken zu kehren und es bei der Durchfahrt zu belassen. Dann finde ich auf den letzten Drücker doch noch ein Hotel zu einem vertretbaren Preis etwa 20km außerhalb. Diese Entfernung zu den Zentren der Großstädte ist mir ja schon vertraut. Was mir dort dann allerdings die Halsschlagadern anschwellen lässt, erspare ich mir hier, die Geschichte ist noch nicht ganz zu Ende. Jedenfalls habe ich mir so doch noch die Möglichkeit eröffnet, die Viermillionenstadt an einem Tag zu erkunden. Ich weiß, ist nicht gerade üppig. Wenn ich diesen Tag denn jedenfalls gehabt hätte! Nach einem Besuch der Ile Sainte-Hélène im Strom, dem Olympiastadion von 1976, der Kathedrale und einigen Schleifen mit dem Rad in der Stadt, beendet ein Platzregen mit Gewitter und Sturmböen die Sightseeingtour schlagartig und ich ziehe mich in meine Unterkunft zurück, von wo ich am nächsten Morgen in die Hauptstadt der Provinz aufmache.


Auch aus Montreal gibt es eine Auswahl von Eindrücken einer kurzen Stippvisite


Québec City gilt als die schönste Stadt Nordamerikas und ein Debakel wie in Montreal will ich mir sowohl hinsichtlich der Unterkunft als auch der Möglichkeit, mir die Stadt „in Ruhe“ anzusehen, deswegen reserviere ich mir auf einem Campingplatz am Stadtrand für drei Nächte einen Platz, so dass ich zwei volle Tage für das Stadtzentrum zur Verfügung habe.


In Kanada ist einfach alles groß - auch die Gartenzwerge oder -elche. Geschmack kann man eben nicht kaufen
In Kanada ist einfach alles groß - auch die Gartenzwerge oder -elche. Geschmack kann man eben nicht kaufen
Auch unterwegs gibt es immer wieder Hingucker, selbst in kleinen Orten in der Provinz
Auch unterwegs gibt es immer wieder Hingucker, selbst in kleinen Orten in der Provinz


In zwei langen Etappen fahre ich von Montreal nach Québec und bei strahlendem Sonnenschein genieße ich eine Stadt, die wie die ganze Provinz so komplett anders ist als alles andere, was ich bisher in Kanada gesehen habe. Auf meinen beiden Reisen habe ich die zehn größten Städte des Landes besucht und nichts Vergleichbares gesehen. Je weiter man nach Westen kommt, desto weniger Geschichte haben die Orte, in dort oft kaum älter als 100 Jahre sind. Hier gibt es eine richtige Altstadt und noch dazu eine komplette, sehr gut erhaltene Zitadelle mit Stadtmauer. Alles ist auf Hochglanz poliert und in einigen Bereichen schon fast zu perfekt und zu glatt, dass es künstlich, wie Disneyworld wirkt. Aber irgend etwas ist ja immer. Nein, Québec ist schon etwas Besonderes – und natürlich sehr französisch. Auch hier war ich im Parlamentsgebäude, dass vor einigen Jahren eine Erweiterung erfahren hat, die man von außen kaum wahrnehmen kann, da vieles unterirdisch verborgen oder in den Altbau integriert ist. Auch hier hat mich die Kombination aus einem hochmodernen Eingangsbereich und sehr bewusst gestalteten Übergang zum äußerst auf Traditionspflege bedachten Altbau fasziniert. Oder, um es mit dem Motto der Provinz zu sagen: Se me souviens!


Es ist kaum zu glauben, dass es sich bei allen Fotos um dasselbe Gebäude handelt. Der farbige Tunnel (mit Musik) ist der Übergang von Neu zu Alt.



Wenn auch keine Wachwechsel, aber Wachen und eine Militärkapelle mit Bärenfellmützen, die ich in Ottawa verpasst hatte, habe ich hier bei einer Besichtigung der Zitadelle, in der nach wie vor ein Regiment des kanadischen Militärs stationiert ist, zu sehen bekommen. Irgendwie wirkt diese britische Traditionspflege hier in der durch und durch französisch geprägten Umgebung deplatziert. Aber auch das ist Ausdruck des Mottos Québecs: Die Niederlage Frankreichs gegen England wird man hier wohl nie so richtig verwinden. Ansonsten lasse ich mal wieder die Bilder sprechen, wobei es schwerfällt, sich bei der Fülle der Motive zu beschränken.



Nur ein kleines Stück außerhalb von Québec City im Parc de la Chute-Montmorency lockt noch ein sehenswerter Wasserfall und man versäumt es nie, zu betonen, dass er sogar höher als die Niagara-Fälle ist. Nur die Tour an der Zip-Line über den Wasserfall habe ich mir erspart.

 

Höher als die Niagarafälle - nur nicht ganz so spektakulär
Höher als die Niagarafälle - nur nicht ganz so spektakulär
Die Höhe kann man sich nach 471 Stufen ganz gut vorstellen
Die Höhe kann man sich nach 471 Stufen ganz gut vorstellen


Diesmal ist das Timing mit dem Wetter deutlich besser. Mit der Fähre über den St. Lorenz Strom verlasse ich Québec und hier setzt der Regen ein, der mich den Rest des Tages bei meiner Fahrt entlang des Flusses begleitet – nicht schön. Dabei gibt es hier viele sehr schöne, gepflegte Orte, von denen einige ihr 350jähriges Bestehen feiern. Der St. Lorenz Strom weitet sich östlich von Québec immer weiter auf, Ebbe und Flut sind schon deutlich wahrnehmbar und es riecht nach Meer. Nach drei Monaten nähere ich mich spürbar meinem Ziel. Nach einem weiteren Tag Genussfahrt bei angenehmen Temperaturen, leichtem Wind und toller Strecke, wende ich mich in Rivière-du-Loup vom Strom ab und folge dem Petit Témis, einem  130km Trail, der mich nach New Brunswick bringen soll. Wieder einmal ist es ein stillgelegter Bahndamm, der Teil eines weit verzweigten Radwegenetzes in Québec ist. Und dieser Trail ist mit Abstand der Beste, den ich hier in Kanada gefahren bin. 130km perfekte Oberfläche, wenn auch nicht asphaltiert, aber genauso gut zu befahren, viele Rastplätze an besonders schönen Stellen, Toiletten an der Strecke, mehreren Stellen Plattformen zum Zelten, Grillmöglichkeiten und Trinkwasserzapfstellen. Warum geht so etwas bei uns eigentlich nicht? Und damit habe ich New Brunswick erreicht, der einzigen offiziell zweisprachigen Provinz Kanadas. Unter anderem liegt die Nutzung der Bodenschätze in Händen der Provinzen. Die Bodenschätze New Brunswicks sind eher überschaubar: Kartoffeln und Wald, die von Großkonzernen wie McCain oder Irving vermarktet werden. Da bleibt für die Provinz offenkundig nicht mehr so viel übrig, denn nach den Luxusvarianten von Québec gehören Straßen, Radwege und Trails in New Brunswick zu den Schlechtesten, die ich hier in Kanada gefahren bin.

 

Die Infrastruktur und die Qualität des Petit Témis sind herausragend - und dabei ist auch noch die Landschaft sehr schön!
Die Infrastruktur und die Qualität des Petit Témis sind herausragend - und dabei ist auch noch die Landschaft sehr schön!
Sieht schon nach Küste aus, ist aber noch der St. Lorenz-Strom. Aber es gibt bereits Ebbe und Flut und auf der anderen Flussseite tummeln sich in einem Schutzgebiet die Wale
Sieht schon nach Küste aus, ist aber noch der St. Lorenz-Strom. Aber es gibt bereits Ebbe und Flut und auf der anderen Flussseite tummeln sich in einem Schutzgebiet die Wale


Inzwischen habe ich New Brunswick schon fast durchquert und bin bis jetzt mehr als 10.000km gefahren. Vor mir liegen noch die drei Küstenprovinzen P.E.I. (Prince Edward Island), Nova Scotia und das Finale auf Neufundland - knapp 2000km. Ich werde berichten.